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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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Reisepläne im Sinne und würdigen, von der Ungeduld uach ihrem Endziel vor¬
wärts getrieben, es kaum eines flüchtigen Blickes. Die Gewerbthätigkeit in Nürn¬
berg ist freilich noch immer bedeutend; zahlreiche Fabriken und Manufacturen
werden hier betrieben. Damit die Fabrikindustrie aber allein einer Stadt ein gro߬
städtisches Gepräge geben kann, in"ß sie im größten Maßstabe Vorhemde" sein,
und das ist doch hier uicht der Fall. Die Mannichfaltigkeit der Thätigkeit ist
bemerkenswerthe.r, wie der Umfang. Dasselbe ist mit dem Buchhandel der Fall;
er betreibt ein kleines Geschäft. Denkt man so an die Verlagöhaudlungeu in
Leipzig, oder anch an viele derselben in Berlin, Brauuftbweig, Hamburg, Frank¬
furt a. M., Stuttgart :c>, so muß es komisch erscheinen, wenn mau auf dem
Schilde einer Nürnberger Firma liest "Verlags- und Spielwaaren-Handlung."
Die Eisenbahn hat in mancher Beziehung Nürnberg Schaden gebracht; ein ge-
winnreicher Transpvrthandel mit Gütern, der vorher durch Frachtfuhrwerk nach
allen Theilen Deutschlands, nach Oestreich und der Schweiz betrieben wurde,
ist ihm dadurch verloren gegangen.

Nürnberg nimmt eine Mittelstellung unter den jetzigen deutsche" Städten
ein; ihr ist ein günstigeres Loos geworden, als.denen, die mit deu Resten frü¬
hern Wohlstandes eine traurige Existenz hinfristend, uur uoch das Bild verfal¬
lener Größe^bieten; eden so wenig aber hat es sich des Stromes der neuen
Interessen so bemächtigen können, um gleisen Schritt mit denen zu halten,
welche die großen Brennpunkte unserer heutige" Cultur, die gewaltigen Herde der
Industrie oder Träger des Handels geworden sind. Es hat sich sür seinen An¬
theil so viel zu erringen gewußt, um in seinen Mauern eine behagliche Wohl¬
habenheit zu erhalten; es zehrt nicht blos von den Erinnerungen seiner Ver¬
gangenheit, sondern wirklich noch von den sehr reellen Vermächtnisse" derselben,
es ist mehr relativ, als absolut zurückgekommen. Für sich betrachtet ist es noch
immer eine wohlhabende, gewerbthätigc, belebte Stadt. Aber es steht jetzt unter
den Städten Deutschlands entschieden in zweiter Reihe, wahrend es einst einen
der ersten Plätze unter ihnen einnahm. ES hat den Charakter einer Provinzial-
stadt und kommt in mancher Beziehung norddeutschen Provinzialstädten von ge¬
ringerer Größe und Bevölkermig "och nicht gleich. Nach den Wahr"ehmuuge"
zu schließe", die ein Fremder während eines Aufenthaltes von noch nicht einer
Woche machen kann, hat sein geistiges und politisches Leben eine" ziemlich be¬
grenzten Horizont. Allerdings besitzt es'drei politische Tagesblätter, von denen
sogar der Nürnberger Korrespondent einige Verbreitung in Nvrddeutschlnnd hat.
Die anderen sind der Nürnberger und der Fräiikische Courier. Die beiden ersteren
gehören einem ziemlich vorgerückte" Liberalismus a", find verständig redigirt,
gebe" aber doch nur ein geringes Material. Der Fränkische Courier ist ein de¬
mokratischer Eiferer von wirklich spaßhaften Caliber. "Die chenlenden Organe der
Reaction", "die Henker", kurz die ganze Phraseologie der Clubbs von 1858


Reisepläne im Sinne und würdigen, von der Ungeduld uach ihrem Endziel vor¬
wärts getrieben, es kaum eines flüchtigen Blickes. Die Gewerbthätigkeit in Nürn¬
berg ist freilich noch immer bedeutend; zahlreiche Fabriken und Manufacturen
werden hier betrieben. Damit die Fabrikindustrie aber allein einer Stadt ein gro߬
städtisches Gepräge geben kann, in»ß sie im größten Maßstabe Vorhemde» sein,
und das ist doch hier uicht der Fall. Die Mannichfaltigkeit der Thätigkeit ist
bemerkenswerthe.r, wie der Umfang. Dasselbe ist mit dem Buchhandel der Fall;
er betreibt ein kleines Geschäft. Denkt man so an die Verlagöhaudlungeu in
Leipzig, oder anch an viele derselben in Berlin, Brauuftbweig, Hamburg, Frank¬
furt a. M., Stuttgart :c>, so muß es komisch erscheinen, wenn mau auf dem
Schilde einer Nürnberger Firma liest „Verlags- und Spielwaaren-Handlung."
Die Eisenbahn hat in mancher Beziehung Nürnberg Schaden gebracht; ein ge-
winnreicher Transpvrthandel mit Gütern, der vorher durch Frachtfuhrwerk nach
allen Theilen Deutschlands, nach Oestreich und der Schweiz betrieben wurde,
ist ihm dadurch verloren gegangen.

Nürnberg nimmt eine Mittelstellung unter den jetzigen deutsche» Städten
ein; ihr ist ein günstigeres Loos geworden, als.denen, die mit deu Resten frü¬
hern Wohlstandes eine traurige Existenz hinfristend, uur uoch das Bild verfal¬
lener Größe^bieten; eden so wenig aber hat es sich des Stromes der neuen
Interessen so bemächtigen können, um gleisen Schritt mit denen zu halten,
welche die großen Brennpunkte unserer heutige» Cultur, die gewaltigen Herde der
Industrie oder Träger des Handels geworden sind. Es hat sich sür seinen An¬
theil so viel zu erringen gewußt, um in seinen Mauern eine behagliche Wohl¬
habenheit zu erhalten; es zehrt nicht blos von den Erinnerungen seiner Ver¬
gangenheit, sondern wirklich noch von den sehr reellen Vermächtnisse» derselben,
es ist mehr relativ, als absolut zurückgekommen. Für sich betrachtet ist es noch
immer eine wohlhabende, gewerbthätigc, belebte Stadt. Aber es steht jetzt unter
den Städten Deutschlands entschieden in zweiter Reihe, wahrend es einst einen
der ersten Plätze unter ihnen einnahm. ES hat den Charakter einer Provinzial-
stadt und kommt in mancher Beziehung norddeutschen Provinzialstädten von ge¬
ringerer Größe und Bevölkermig »och nicht gleich. Nach den Wahr»ehmuuge»
zu schließe», die ein Fremder während eines Aufenthaltes von noch nicht einer
Woche machen kann, hat sein geistiges und politisches Leben eine» ziemlich be¬
grenzten Horizont. Allerdings besitzt es'drei politische Tagesblätter, von denen
sogar der Nürnberger Korrespondent einige Verbreitung in Nvrddeutschlnnd hat.
Die anderen sind der Nürnberger und der Fräiikische Courier. Die beiden ersteren
gehören einem ziemlich vorgerückte» Liberalismus a», find verständig redigirt,
gebe» aber doch nur ein geringes Material. Der Fränkische Courier ist ein de¬
mokratischer Eiferer von wirklich spaßhaften Caliber. „Die chenlenden Organe der
Reaction", „die Henker", kurz die ganze Phraseologie der Clubbs von 1858


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[0271] Reisepläne im Sinne und würdigen, von der Ungeduld uach ihrem Endziel vor¬ wärts getrieben, es kaum eines flüchtigen Blickes. Die Gewerbthätigkeit in Nürn¬ berg ist freilich noch immer bedeutend; zahlreiche Fabriken und Manufacturen werden hier betrieben. Damit die Fabrikindustrie aber allein einer Stadt ein gro߬ städtisches Gepräge geben kann, in»ß sie im größten Maßstabe Vorhemde» sein, und das ist doch hier uicht der Fall. Die Mannichfaltigkeit der Thätigkeit ist bemerkenswerthe.r, wie der Umfang. Dasselbe ist mit dem Buchhandel der Fall; er betreibt ein kleines Geschäft. Denkt man so an die Verlagöhaudlungeu in Leipzig, oder anch an viele derselben in Berlin, Brauuftbweig, Hamburg, Frank¬ furt a. M., Stuttgart :c>, so muß es komisch erscheinen, wenn mau auf dem Schilde einer Nürnberger Firma liest „Verlags- und Spielwaaren-Handlung." Die Eisenbahn hat in mancher Beziehung Nürnberg Schaden gebracht; ein ge- winnreicher Transpvrthandel mit Gütern, der vorher durch Frachtfuhrwerk nach allen Theilen Deutschlands, nach Oestreich und der Schweiz betrieben wurde, ist ihm dadurch verloren gegangen. Nürnberg nimmt eine Mittelstellung unter den jetzigen deutsche» Städten ein; ihr ist ein günstigeres Loos geworden, als.denen, die mit deu Resten frü¬ hern Wohlstandes eine traurige Existenz hinfristend, uur uoch das Bild verfal¬ lener Größe^bieten; eden so wenig aber hat es sich des Stromes der neuen Interessen so bemächtigen können, um gleisen Schritt mit denen zu halten, welche die großen Brennpunkte unserer heutige» Cultur, die gewaltigen Herde der Industrie oder Träger des Handels geworden sind. Es hat sich sür seinen An¬ theil so viel zu erringen gewußt, um in seinen Mauern eine behagliche Wohl¬ habenheit zu erhalten; es zehrt nicht blos von den Erinnerungen seiner Ver¬ gangenheit, sondern wirklich noch von den sehr reellen Vermächtnisse» derselben, es ist mehr relativ, als absolut zurückgekommen. Für sich betrachtet ist es noch immer eine wohlhabende, gewerbthätigc, belebte Stadt. Aber es steht jetzt unter den Städten Deutschlands entschieden in zweiter Reihe, wahrend es einst einen der ersten Plätze unter ihnen einnahm. ES hat den Charakter einer Provinzial- stadt und kommt in mancher Beziehung norddeutschen Provinzialstädten von ge¬ ringerer Größe und Bevölkermig »och nicht gleich. Nach den Wahr»ehmuuge» zu schließe», die ein Fremder während eines Aufenthaltes von noch nicht einer Woche machen kann, hat sein geistiges und politisches Leben eine» ziemlich be¬ grenzten Horizont. Allerdings besitzt es'drei politische Tagesblätter, von denen sogar der Nürnberger Korrespondent einige Verbreitung in Nvrddeutschlnnd hat. Die anderen sind der Nürnberger und der Fräiikische Courier. Die beiden ersteren gehören einem ziemlich vorgerückte» Liberalismus a», find verständig redigirt, gebe» aber doch nur ein geringes Material. Der Fränkische Courier ist ein de¬ mokratischer Eiferer von wirklich spaßhaften Caliber. „Die chenlenden Organe der Reaction", „die Henker", kurz die ganze Phraseologie der Clubbs von 1858

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/271>, abgerufen am 28.09.2024.