Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

grassirt noch in seinen Spalten; gegen Bourgeois, Constitutionelle und Gothaer
hegt er natürlich in der Fülle seines demokratischen Bewußtseins eine unerme߬
liche Verachtung, der die pomphafte Trivialität seiner Ausdrucksweise eine gro¬
teske Komik verleiht. Es ist wahr, die Nationalzcitnng steht auf demselben Stand¬
punkt und ist in ihrer aschgrauen, Schablonenhaften Doctrin eben so langweilig,
wie der ehrliche Courier, der kuirrschend mit heiserer Entrüstung seine Verwün¬
schungen ausstößt. Sie docirt, er flucht, sie zuckt die Achseln, er ballt die Fäuste,
sie ist der demokratische Professor, er der demokratische Biertrinker Aber sie ist
wenigstens manierlich und soll mau schon gelangweilt werden, so ist es immer
noch besser im Gesellschaftszimmer, als in der Kneipe. Ich brauche nicht hinzu¬
zufügen, daß der Nürnberger Spießbürger den Courier mit wahrer Andacht zu
seinem Seidel Bier liest, entzückt von dessen Gesinnungstüchtigkeit ist, und seine
sittliche Entrüstung nicht blos an der Schändlichkeit der Heuler, sondern auch an
dem Verrath und der Feigheit der Bourgeois und Gothaer letzt.

Von auswärtigen Zeitungen habe ich an keinem öffentlichen Orte eine andere/
als das Frankfurter Journal gefunden, das die Lücken, welche man bei Lecture der
Localprefse empfindet, auszufüllen nicht sehr geeignet ist. Lesecabinette, wie man
sie im Norden mit den Konditoreien vereint trifft, sind dort gänzlich unbekannt.
Zwar besteht ein Museum, das eine größere Auswahl politischer und literarischer
Zeitungen bieten soll; dies gehört jedoch einer geschlossenen Gesellschaft an, und
bedarf es daher einer besondern Einführung, weshalb es sür einen Fremden, der
ohne Bekanntschaften und mir für kürzere Zeit sich in Nürnberg aufhält, so gut
wie nicht vorhanden ist. Der Schluß von diesem Mangel auf die geistige Reg¬
samkeit und allgemeiner Bildung der Einwohner ist gerade kein günstiger; und
in der That merkt man einen erheblichen Unterschied darin zu Guufieu Nord¬
deutschlands. Das bayerische Regiment ist der aufstrebenden Intelligenz überhaupt
nicht günstig, und die Nürnberger haben noch aus den letzten Zeiten ihrer reichs¬
städtischen Unabhängigkeit, in der jeder höhere Inhalt des öffentlichen Lebens in
pfahlbürgerlicher Engherzigkeit aufgegangen war, die Gewohnheit, sich auf einen
engen Kreis und die Interessen des Alltagslebens zu beschränken. Dazu kommt,
daß ihr jetziges Staatswesen, das bayerische, ihnen Nichts bieten kann, was ein
reges Interesse an öffentlichen Angelegenheiten zu wecken vermöchte. Eine kleine
Staatswirthschaft kann in ihren Angehörigen einen kräftigen Gemeingeist und
einen hohen Grad öffentlicher Theilnahme erzeugen; aber dann muß sie ihren
natürlichen Sympathien entsprechen, oder durch.althergebrachte, noch lebendige
Bande sie an sich fesseln und den bürgerlichen Freiheiten einen weiten Spielraum
gehalten. Ein Staat kann nen hinzugetretenen Theilen, die vielleicht in wich¬
tigen Beziehungen ihm nichts weniger als gewogen sind, lebhafte Anhänglichkeit
und warmen Antheil an seinen Geschicken einflößen, wenn er ihnen zur Entschä¬
digung dessen, was sie verloren, ein großes und reiches Staatsleben zu gewähren


grassirt noch in seinen Spalten; gegen Bourgeois, Constitutionelle und Gothaer
hegt er natürlich in der Fülle seines demokratischen Bewußtseins eine unerme߬
liche Verachtung, der die pomphafte Trivialität seiner Ausdrucksweise eine gro¬
teske Komik verleiht. Es ist wahr, die Nationalzcitnng steht auf demselben Stand¬
punkt und ist in ihrer aschgrauen, Schablonenhaften Doctrin eben so langweilig,
wie der ehrliche Courier, der kuirrschend mit heiserer Entrüstung seine Verwün¬
schungen ausstößt. Sie docirt, er flucht, sie zuckt die Achseln, er ballt die Fäuste,
sie ist der demokratische Professor, er der demokratische Biertrinker Aber sie ist
wenigstens manierlich und soll mau schon gelangweilt werden, so ist es immer
noch besser im Gesellschaftszimmer, als in der Kneipe. Ich brauche nicht hinzu¬
zufügen, daß der Nürnberger Spießbürger den Courier mit wahrer Andacht zu
seinem Seidel Bier liest, entzückt von dessen Gesinnungstüchtigkeit ist, und seine
sittliche Entrüstung nicht blos an der Schändlichkeit der Heuler, sondern auch an
dem Verrath und der Feigheit der Bourgeois und Gothaer letzt.

Von auswärtigen Zeitungen habe ich an keinem öffentlichen Orte eine andere/
als das Frankfurter Journal gefunden, das die Lücken, welche man bei Lecture der
Localprefse empfindet, auszufüllen nicht sehr geeignet ist. Lesecabinette, wie man
sie im Norden mit den Konditoreien vereint trifft, sind dort gänzlich unbekannt.
Zwar besteht ein Museum, das eine größere Auswahl politischer und literarischer
Zeitungen bieten soll; dies gehört jedoch einer geschlossenen Gesellschaft an, und
bedarf es daher einer besondern Einführung, weshalb es sür einen Fremden, der
ohne Bekanntschaften und mir für kürzere Zeit sich in Nürnberg aufhält, so gut
wie nicht vorhanden ist. Der Schluß von diesem Mangel auf die geistige Reg¬
samkeit und allgemeiner Bildung der Einwohner ist gerade kein günstiger; und
in der That merkt man einen erheblichen Unterschied darin zu Guufieu Nord¬
deutschlands. Das bayerische Regiment ist der aufstrebenden Intelligenz überhaupt
nicht günstig, und die Nürnberger haben noch aus den letzten Zeiten ihrer reichs¬
städtischen Unabhängigkeit, in der jeder höhere Inhalt des öffentlichen Lebens in
pfahlbürgerlicher Engherzigkeit aufgegangen war, die Gewohnheit, sich auf einen
engen Kreis und die Interessen des Alltagslebens zu beschränken. Dazu kommt,
daß ihr jetziges Staatswesen, das bayerische, ihnen Nichts bieten kann, was ein
reges Interesse an öffentlichen Angelegenheiten zu wecken vermöchte. Eine kleine
Staatswirthschaft kann in ihren Angehörigen einen kräftigen Gemeingeist und
einen hohen Grad öffentlicher Theilnahme erzeugen; aber dann muß sie ihren
natürlichen Sympathien entsprechen, oder durch.althergebrachte, noch lebendige
Bande sie an sich fesseln und den bürgerlichen Freiheiten einen weiten Spielraum
gehalten. Ein Staat kann nen hinzugetretenen Theilen, die vielleicht in wich¬
tigen Beziehungen ihm nichts weniger als gewogen sind, lebhafte Anhänglichkeit
und warmen Antheil an seinen Geschicken einflößen, wenn er ihnen zur Entschä¬
digung dessen, was sie verloren, ein großes und reiches Staatsleben zu gewähren


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0272" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/95253"/>
            <p xml:id="ID_797" prev="#ID_796"> grassirt noch in seinen Spalten; gegen Bourgeois, Constitutionelle und Gothaer<lb/>
hegt er natürlich in der Fülle seines demokratischen Bewußtseins eine unerme߬<lb/>
liche Verachtung, der die pomphafte Trivialität seiner Ausdrucksweise eine gro¬<lb/>
teske Komik verleiht. Es ist wahr, die Nationalzcitnng steht auf demselben Stand¬<lb/>
punkt und ist in ihrer aschgrauen, Schablonenhaften Doctrin eben so langweilig,<lb/>
wie der ehrliche Courier, der kuirrschend mit heiserer Entrüstung seine Verwün¬<lb/>
schungen ausstößt. Sie docirt, er flucht, sie zuckt die Achseln, er ballt die Fäuste,<lb/>
sie ist der demokratische Professor, er der demokratische Biertrinker Aber sie ist<lb/>
wenigstens manierlich und soll mau schon gelangweilt werden, so ist es immer<lb/>
noch besser im Gesellschaftszimmer, als in der Kneipe. Ich brauche nicht hinzu¬<lb/>
zufügen, daß der Nürnberger Spießbürger den Courier mit wahrer Andacht zu<lb/>
seinem Seidel Bier liest, entzückt von dessen Gesinnungstüchtigkeit ist, und seine<lb/>
sittliche Entrüstung nicht blos an der Schändlichkeit der Heuler, sondern auch an<lb/>
dem Verrath und der Feigheit der Bourgeois und Gothaer letzt.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_798" next="#ID_799"> Von auswärtigen Zeitungen habe ich an keinem öffentlichen Orte eine andere/<lb/>
als das Frankfurter Journal gefunden, das die Lücken, welche man bei Lecture der<lb/>
Localprefse empfindet, auszufüllen nicht sehr geeignet ist. Lesecabinette, wie man<lb/>
sie im Norden mit den Konditoreien vereint trifft, sind dort gänzlich unbekannt.<lb/>
Zwar besteht ein Museum, das eine größere Auswahl politischer und literarischer<lb/>
Zeitungen bieten soll; dies gehört jedoch einer geschlossenen Gesellschaft an, und<lb/>
bedarf es daher einer besondern Einführung, weshalb es sür einen Fremden, der<lb/>
ohne Bekanntschaften und mir für kürzere Zeit sich in Nürnberg aufhält, so gut<lb/>
wie nicht vorhanden ist. Der Schluß von diesem Mangel auf die geistige Reg¬<lb/>
samkeit und allgemeiner Bildung der Einwohner ist gerade kein günstiger; und<lb/>
in der That merkt man einen erheblichen Unterschied darin zu Guufieu Nord¬<lb/>
deutschlands. Das bayerische Regiment ist der aufstrebenden Intelligenz überhaupt<lb/>
nicht günstig, und die Nürnberger haben noch aus den letzten Zeiten ihrer reichs¬<lb/>
städtischen Unabhängigkeit, in der jeder höhere Inhalt des öffentlichen Lebens in<lb/>
pfahlbürgerlicher Engherzigkeit aufgegangen war, die Gewohnheit, sich auf einen<lb/>
engen Kreis und die Interessen des Alltagslebens zu beschränken. Dazu kommt,<lb/>
daß ihr jetziges Staatswesen, das bayerische, ihnen Nichts bieten kann, was ein<lb/>
reges Interesse an öffentlichen Angelegenheiten zu wecken vermöchte. Eine kleine<lb/>
Staatswirthschaft kann in ihren Angehörigen einen kräftigen Gemeingeist und<lb/>
einen hohen Grad öffentlicher Theilnahme erzeugen; aber dann muß sie ihren<lb/>
natürlichen Sympathien entsprechen, oder durch.althergebrachte, noch lebendige<lb/>
Bande sie an sich fesseln und den bürgerlichen Freiheiten einen weiten Spielraum<lb/>
gehalten. Ein Staat kann nen hinzugetretenen Theilen, die vielleicht in wich¬<lb/>
tigen Beziehungen ihm nichts weniger als gewogen sind, lebhafte Anhänglichkeit<lb/>
und warmen Antheil an seinen Geschicken einflößen, wenn er ihnen zur Entschä¬<lb/>
digung dessen, was sie verloren, ein großes und reiches Staatsleben zu gewähren</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0272] grassirt noch in seinen Spalten; gegen Bourgeois, Constitutionelle und Gothaer hegt er natürlich in der Fülle seines demokratischen Bewußtseins eine unerme߬ liche Verachtung, der die pomphafte Trivialität seiner Ausdrucksweise eine gro¬ teske Komik verleiht. Es ist wahr, die Nationalzcitnng steht auf demselben Stand¬ punkt und ist in ihrer aschgrauen, Schablonenhaften Doctrin eben so langweilig, wie der ehrliche Courier, der kuirrschend mit heiserer Entrüstung seine Verwün¬ schungen ausstößt. Sie docirt, er flucht, sie zuckt die Achseln, er ballt die Fäuste, sie ist der demokratische Professor, er der demokratische Biertrinker Aber sie ist wenigstens manierlich und soll mau schon gelangweilt werden, so ist es immer noch besser im Gesellschaftszimmer, als in der Kneipe. Ich brauche nicht hinzu¬ zufügen, daß der Nürnberger Spießbürger den Courier mit wahrer Andacht zu seinem Seidel Bier liest, entzückt von dessen Gesinnungstüchtigkeit ist, und seine sittliche Entrüstung nicht blos an der Schändlichkeit der Heuler, sondern auch an dem Verrath und der Feigheit der Bourgeois und Gothaer letzt. Von auswärtigen Zeitungen habe ich an keinem öffentlichen Orte eine andere/ als das Frankfurter Journal gefunden, das die Lücken, welche man bei Lecture der Localprefse empfindet, auszufüllen nicht sehr geeignet ist. Lesecabinette, wie man sie im Norden mit den Konditoreien vereint trifft, sind dort gänzlich unbekannt. Zwar besteht ein Museum, das eine größere Auswahl politischer und literarischer Zeitungen bieten soll; dies gehört jedoch einer geschlossenen Gesellschaft an, und bedarf es daher einer besondern Einführung, weshalb es sür einen Fremden, der ohne Bekanntschaften und mir für kürzere Zeit sich in Nürnberg aufhält, so gut wie nicht vorhanden ist. Der Schluß von diesem Mangel auf die geistige Reg¬ samkeit und allgemeiner Bildung der Einwohner ist gerade kein günstiger; und in der That merkt man einen erheblichen Unterschied darin zu Guufieu Nord¬ deutschlands. Das bayerische Regiment ist der aufstrebenden Intelligenz überhaupt nicht günstig, und die Nürnberger haben noch aus den letzten Zeiten ihrer reichs¬ städtischen Unabhängigkeit, in der jeder höhere Inhalt des öffentlichen Lebens in pfahlbürgerlicher Engherzigkeit aufgegangen war, die Gewohnheit, sich auf einen engen Kreis und die Interessen des Alltagslebens zu beschränken. Dazu kommt, daß ihr jetziges Staatswesen, das bayerische, ihnen Nichts bieten kann, was ein reges Interesse an öffentlichen Angelegenheiten zu wecken vermöchte. Eine kleine Staatswirthschaft kann in ihren Angehörigen einen kräftigen Gemeingeist und einen hohen Grad öffentlicher Theilnahme erzeugen; aber dann muß sie ihren natürlichen Sympathien entsprechen, oder durch.althergebrachte, noch lebendige Bande sie an sich fesseln und den bürgerlichen Freiheiten einen weiten Spielraum gehalten. Ein Staat kann nen hinzugetretenen Theilen, die vielleicht in wich¬ tigen Beziehungen ihm nichts weniger als gewogen sind, lebhafte Anhänglichkeit und warmen Antheil an seinen Geschicken einflößen, wenn er ihnen zur Entschä¬ digung dessen, was sie verloren, ein großes und reiches Staatsleben zu gewähren

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/272
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/272>, abgerufen am 27.09.2024.