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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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Thore befindlich sind und deren Aussehen ziemlich dürftig ist, gleichen weht ab¬
gesonderten Flecken. Um die Mauern selbst läuft ein Kiesweg, der nur an
wenigen Stellen von Anlagen umgeben ist, die klein und noch ziemlich jung und
unbedeutend sind.

Ich würde mich ihres Vorhandenseins nicht mehr erinnern ohne ein Placat,
das ich an einem der Bänme angeheftet sand. Es rührte von dem hohen Senat
her, dem in Nürnberg die Leitung der städtischen Polizei obliegt. Wer die Ge-
müthlosigkeit kennt, wodurch sich in Norddeutschland die Polizeiverwaltungeu aus¬
zeichnen, die trockene und gebieterische Kürze ihrer Gebote und Verbote, ja wem
die härtere Prüfung auferlegt worden, in irgend welche Verhandlungen mit
diesen Wächtern des öffentlichen Wohles zu kommen, der wird sich die Rührung vor¬
stellen können, mit der ich eine Bekanntmachung las, in welcher eine hohe Po¬
lizeibehörde zum Publicum in dem weichen und liebevollen Tone eines Pfarrers
zu seiner Gemeinde spricht, geschmückt mit allen lyrischen Zuthaten eines soge¬
nannten blühenden Styles. Der Anschlag beklagte sich über die Beschädigung
der Anlagen, ermahnte zu deren Schonung, und warnte vor eventueller Strafe.
Zu diesem Zweck ergoß er sich aber in einen Vortrag von der Länge zweier gu¬
ten Druckseiten etwa in dem von "lieblichen Schmuck des Frühlings", "Wouue-
mondcn", "Helden Sprößlingen des erwachenden Lenzes." Die Rede war, als
ob das poetische Wörterbuch der weiland Negnitz-Schäfer dazu in Contribution
gezogen wäre. Es war ein Polizeiplacat i" idyllischer Form, die sich stellenweise
bis zu einer Art von prosaischen Dithyrambenschwung steigerte, eine Ode an den
Frühling in ungebundener Rede. Der Gegenstand der Begeisterung, einige noch
sehr kümmerliche Sträucher und Bäume standen sehr beschämt darüber, daß man
so viel Aufhebens um sie mache, in der Runde. In einer Ecke dieses" ergreifen¬
den Gedichtes stand "Quedl"; wirtlich "Quedl", es war keine Täuschung, wie
ich anfangs zu meine.in Troste glauben wollte. Die ganze Frühlingöpoeste des
hochlöblichen Senats war an mir verschwendet; nicht jede Erinnerung an die
Heimat!) ist angenehm, und vom Ufer der Spree, wie von dem der Garonne,
können auch Klänge in die Ferne dringen, die dem Ohr nicht "süß" ertönen.

Wenn man von dem heutigen Nürnberg das Interesse abzieht, das die Ver¬
gangenheit ihm Übermacht hat, so bleibt für den Fremden wenig, ja kaum noch
irgend etwas übrig. Die Stadt ist keineswegs unbelebt und öde, wie manche
der alten Städte, die im Mittelalter sich eines hohen Flors erfreuten, und. jetzt
zu einem hinsiechenden Dasein verurtheilt sind; aber es mangelt ihr doch jeder
großstädtische Zug. Selbst der Fremdenverkehr steht in keinem Verhältniß zu
den vielen Sehenswürdigkeiten, die man hier findet, und. ist mit dem belebten
Treiben der rheinischen Städte in gar keinen Vergleich zu stellen. Franken mit
seinen malerische" Landschaften und schönen, alten Städten ist nicht das Mvdeland
der Touristen. Die Meisten, die überhaupt diese Straße einschlagen, haben weitere


Thore befindlich sind und deren Aussehen ziemlich dürftig ist, gleichen weht ab¬
gesonderten Flecken. Um die Mauern selbst läuft ein Kiesweg, der nur an
wenigen Stellen von Anlagen umgeben ist, die klein und noch ziemlich jung und
unbedeutend sind.

Ich würde mich ihres Vorhandenseins nicht mehr erinnern ohne ein Placat,
das ich an einem der Bänme angeheftet sand. Es rührte von dem hohen Senat
her, dem in Nürnberg die Leitung der städtischen Polizei obliegt. Wer die Ge-
müthlosigkeit kennt, wodurch sich in Norddeutschland die Polizeiverwaltungeu aus¬
zeichnen, die trockene und gebieterische Kürze ihrer Gebote und Verbote, ja wem
die härtere Prüfung auferlegt worden, in irgend welche Verhandlungen mit
diesen Wächtern des öffentlichen Wohles zu kommen, der wird sich die Rührung vor¬
stellen können, mit der ich eine Bekanntmachung las, in welcher eine hohe Po¬
lizeibehörde zum Publicum in dem weichen und liebevollen Tone eines Pfarrers
zu seiner Gemeinde spricht, geschmückt mit allen lyrischen Zuthaten eines soge¬
nannten blühenden Styles. Der Anschlag beklagte sich über die Beschädigung
der Anlagen, ermahnte zu deren Schonung, und warnte vor eventueller Strafe.
Zu diesem Zweck ergoß er sich aber in einen Vortrag von der Länge zweier gu¬
ten Druckseiten etwa in dem von „lieblichen Schmuck des Frühlings", „Wouue-
mondcn", „Helden Sprößlingen des erwachenden Lenzes." Die Rede war, als
ob das poetische Wörterbuch der weiland Negnitz-Schäfer dazu in Contribution
gezogen wäre. Es war ein Polizeiplacat i» idyllischer Form, die sich stellenweise
bis zu einer Art von prosaischen Dithyrambenschwung steigerte, eine Ode an den
Frühling in ungebundener Rede. Der Gegenstand der Begeisterung, einige noch
sehr kümmerliche Sträucher und Bäume standen sehr beschämt darüber, daß man
so viel Aufhebens um sie mache, in der Runde. In einer Ecke dieses" ergreifen¬
den Gedichtes stand „Quedl"; wirtlich „Quedl", es war keine Täuschung, wie
ich anfangs zu meine.in Troste glauben wollte. Die ganze Frühlingöpoeste des
hochlöblichen Senats war an mir verschwendet; nicht jede Erinnerung an die
Heimat!) ist angenehm, und vom Ufer der Spree, wie von dem der Garonne,
können auch Klänge in die Ferne dringen, die dem Ohr nicht „süß" ertönen.

Wenn man von dem heutigen Nürnberg das Interesse abzieht, das die Ver¬
gangenheit ihm Übermacht hat, so bleibt für den Fremden wenig, ja kaum noch
irgend etwas übrig. Die Stadt ist keineswegs unbelebt und öde, wie manche
der alten Städte, die im Mittelalter sich eines hohen Flors erfreuten, und. jetzt
zu einem hinsiechenden Dasein verurtheilt sind; aber es mangelt ihr doch jeder
großstädtische Zug. Selbst der Fremdenverkehr steht in keinem Verhältniß zu
den vielen Sehenswürdigkeiten, die man hier findet, und. ist mit dem belebten
Treiben der rheinischen Städte in gar keinen Vergleich zu stellen. Franken mit
seinen malerische» Landschaften und schönen, alten Städten ist nicht das Mvdeland
der Touristen. Die Meisten, die überhaupt diese Straße einschlagen, haben weitere


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[0270] Thore befindlich sind und deren Aussehen ziemlich dürftig ist, gleichen weht ab¬ gesonderten Flecken. Um die Mauern selbst läuft ein Kiesweg, der nur an wenigen Stellen von Anlagen umgeben ist, die klein und noch ziemlich jung und unbedeutend sind. Ich würde mich ihres Vorhandenseins nicht mehr erinnern ohne ein Placat, das ich an einem der Bänme angeheftet sand. Es rührte von dem hohen Senat her, dem in Nürnberg die Leitung der städtischen Polizei obliegt. Wer die Ge- müthlosigkeit kennt, wodurch sich in Norddeutschland die Polizeiverwaltungeu aus¬ zeichnen, die trockene und gebieterische Kürze ihrer Gebote und Verbote, ja wem die härtere Prüfung auferlegt worden, in irgend welche Verhandlungen mit diesen Wächtern des öffentlichen Wohles zu kommen, der wird sich die Rührung vor¬ stellen können, mit der ich eine Bekanntmachung las, in welcher eine hohe Po¬ lizeibehörde zum Publicum in dem weichen und liebevollen Tone eines Pfarrers zu seiner Gemeinde spricht, geschmückt mit allen lyrischen Zuthaten eines soge¬ nannten blühenden Styles. Der Anschlag beklagte sich über die Beschädigung der Anlagen, ermahnte zu deren Schonung, und warnte vor eventueller Strafe. Zu diesem Zweck ergoß er sich aber in einen Vortrag von der Länge zweier gu¬ ten Druckseiten etwa in dem von „lieblichen Schmuck des Frühlings", „Wouue- mondcn", „Helden Sprößlingen des erwachenden Lenzes." Die Rede war, als ob das poetische Wörterbuch der weiland Negnitz-Schäfer dazu in Contribution gezogen wäre. Es war ein Polizeiplacat i» idyllischer Form, die sich stellenweise bis zu einer Art von prosaischen Dithyrambenschwung steigerte, eine Ode an den Frühling in ungebundener Rede. Der Gegenstand der Begeisterung, einige noch sehr kümmerliche Sträucher und Bäume standen sehr beschämt darüber, daß man so viel Aufhebens um sie mache, in der Runde. In einer Ecke dieses" ergreifen¬ den Gedichtes stand „Quedl"; wirtlich „Quedl", es war keine Täuschung, wie ich anfangs zu meine.in Troste glauben wollte. Die ganze Frühlingöpoeste des hochlöblichen Senats war an mir verschwendet; nicht jede Erinnerung an die Heimat!) ist angenehm, und vom Ufer der Spree, wie von dem der Garonne, können auch Klänge in die Ferne dringen, die dem Ohr nicht „süß" ertönen. Wenn man von dem heutigen Nürnberg das Interesse abzieht, das die Ver¬ gangenheit ihm Übermacht hat, so bleibt für den Fremden wenig, ja kaum noch irgend etwas übrig. Die Stadt ist keineswegs unbelebt und öde, wie manche der alten Städte, die im Mittelalter sich eines hohen Flors erfreuten, und. jetzt zu einem hinsiechenden Dasein verurtheilt sind; aber es mangelt ihr doch jeder großstädtische Zug. Selbst der Fremdenverkehr steht in keinem Verhältniß zu den vielen Sehenswürdigkeiten, die man hier findet, und. ist mit dem belebten Treiben der rheinischen Städte in gar keinen Vergleich zu stellen. Franken mit seinen malerische» Landschaften und schönen, alten Städten ist nicht das Mvdeland der Touristen. Die Meisten, die überhaupt diese Straße einschlagen, haben weitere

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/270>, abgerufen am 28.09.2024.