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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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sich heraus zu würdigen, so ist ein zu Grunde liegender feiner Sir", ein den
Künstler innerlich bewegendes Element unverkennbar. Aber es ist noch nicht zur
vollgiltigen Erscheinung gekommen. Zwischen ihm und dem Beschauer ruht noch
eine erlMeude Schränke, so daß das Werk selbst an seiner geistigen Wirkung
verliert und streng genommen eindruckslos dasteht. Diese WirkungSlosigkeit beruht
aber nicht etwa auf der technischen BeHandlungsweise allein, die vielmehr ziemlich
mit dem Inhalte harmonirt, da sie jedes Streben nach äußerlich wirkenden Effect
verschmäht und dem Gegenstande selbst sich unterordnet; auch beruht sie uicht auf
einzelnen Mängeln der Zeichnung, die sich besonders in der Gewandung, in der
Unschönheit der über dem linken Knie fallenden Masse, geltend machen; -- sie
bericht vielmehr in der Gesammtaufsassuug des Gegenständlichen, in dem sicht- und
fühlbaren Bestreben, dasselbe über die Sphäre des Sinnlichen erheben zu wollen.
Es ist dies überhaupt der Punkt, an dem die meisten modernen Heiligenbilder
in ihrer beabsichtigten religiösen Wirkung scheitern.

Bei allen wahrhaft wirkenden Heiligenbildern, namentlich des Mittelalters, läuft
es am Ende immer darauf hinaus, menschliche Situationen und Zustände zu versinn¬
lichen, sie gleichsam so zu Potenziren, daß sie uns in eine erhöhte Stimmung versetzen;
denn selbst die höchste geistige Spannung, soll sie ans unser Inneres wirken, darf
nicht die Greuze menschlicher Empfindungsweise überschreiten wollen. In dem
Erkennen dieser Grenze beruht die Macht jener mittelalterlichen Werke, jener
Schöpfungen eines Rafael, Tizian, Dürer u. f. w., aus denen uns, in der har¬
monischen Verkörperung des höchsten der Schöpfungswerke, die Allmacht des
Schöpfers erkennbar entgegentritt und uus zu ihm erhebt, aber nicht das Bestreben,
den doch nicht faßbaren göttlichen Geist als solchen verkörpern zu wollen. Aber
viele unsrer modernen Maler wollen die Existenz des rein Göttlichen formiren.
Da reicht nun freilich jene naiv menschliche Auffassung der Natur uicht aus, und
sofort greift man zur Allegorie. Der Heiligenschein, der von jeher nichts weiter
war, als ein -- aus dem Heidenthum überkommenes -- rein äußerliches Attribut,
wurde mit besonderer Achtung behandelt. Er gab zunächst dem Werke jene, es
als "heilig" charakterisirende Weihe. Aber man fühlte doch auch, daß mit dieser
Erlänteruugsformel nicht viel gewonnen sei, und so ging man weiter in der allego¬
rischen Darstellungsweise, indem man sich immer mehr von dem eigentlichen Kern
der Sache -- von der allein zur Erkenntniß führenden Natur -- entfernte. Daß
es auch Rafael nicht verschmähte, da, wo die natürliche Erscheinung nicht aus¬
reichte, zur Allegorie überzugehen, wissen wir sehr wohl, aber wir wissen auch,
wie er dabei zu Werke ging. Mau werfe nur einen Blick auf die sixtiuisch e
Madonna. Hier schauen wir die von Engelchören umgebene Gestalt der Maria
mit dem Jesuskinde im Arm, aus Wolken schwebend. Ernst und würdig, gleich
einem in sich abgeschlossenen Leben, schwebt sie hernieder -- jedem geistig Fühlen¬
den verständlich, denn sie tritt ihm entgegen als Weib, als Weib mit Fleisch und


sich heraus zu würdigen, so ist ein zu Grunde liegender feiner Sir«, ein den
Künstler innerlich bewegendes Element unverkennbar. Aber es ist noch nicht zur
vollgiltigen Erscheinung gekommen. Zwischen ihm und dem Beschauer ruht noch
eine erlMeude Schränke, so daß das Werk selbst an seiner geistigen Wirkung
verliert und streng genommen eindruckslos dasteht. Diese WirkungSlosigkeit beruht
aber nicht etwa auf der technischen BeHandlungsweise allein, die vielmehr ziemlich
mit dem Inhalte harmonirt, da sie jedes Streben nach äußerlich wirkenden Effect
verschmäht und dem Gegenstande selbst sich unterordnet; auch beruht sie uicht auf
einzelnen Mängeln der Zeichnung, die sich besonders in der Gewandung, in der
Unschönheit der über dem linken Knie fallenden Masse, geltend machen; — sie
bericht vielmehr in der Gesammtaufsassuug des Gegenständlichen, in dem sicht- und
fühlbaren Bestreben, dasselbe über die Sphäre des Sinnlichen erheben zu wollen.
Es ist dies überhaupt der Punkt, an dem die meisten modernen Heiligenbilder
in ihrer beabsichtigten religiösen Wirkung scheitern.

Bei allen wahrhaft wirkenden Heiligenbildern, namentlich des Mittelalters, läuft
es am Ende immer darauf hinaus, menschliche Situationen und Zustände zu versinn¬
lichen, sie gleichsam so zu Potenziren, daß sie uns in eine erhöhte Stimmung versetzen;
denn selbst die höchste geistige Spannung, soll sie ans unser Inneres wirken, darf
nicht die Greuze menschlicher Empfindungsweise überschreiten wollen. In dem
Erkennen dieser Grenze beruht die Macht jener mittelalterlichen Werke, jener
Schöpfungen eines Rafael, Tizian, Dürer u. f. w., aus denen uns, in der har¬
monischen Verkörperung des höchsten der Schöpfungswerke, die Allmacht des
Schöpfers erkennbar entgegentritt und uus zu ihm erhebt, aber nicht das Bestreben,
den doch nicht faßbaren göttlichen Geist als solchen verkörpern zu wollen. Aber
viele unsrer modernen Maler wollen die Existenz des rein Göttlichen formiren.
Da reicht nun freilich jene naiv menschliche Auffassung der Natur uicht aus, und
sofort greift man zur Allegorie. Der Heiligenschein, der von jeher nichts weiter
war, als ein — aus dem Heidenthum überkommenes — rein äußerliches Attribut,
wurde mit besonderer Achtung behandelt. Er gab zunächst dem Werke jene, es
als „heilig" charakterisirende Weihe. Aber man fühlte doch auch, daß mit dieser
Erlänteruugsformel nicht viel gewonnen sei, und so ging man weiter in der allego¬
rischen Darstellungsweise, indem man sich immer mehr von dem eigentlichen Kern
der Sache — von der allein zur Erkenntniß führenden Natur — entfernte. Daß
es auch Rafael nicht verschmähte, da, wo die natürliche Erscheinung nicht aus¬
reichte, zur Allegorie überzugehen, wissen wir sehr wohl, aber wir wissen auch,
wie er dabei zu Werke ging. Mau werfe nur einen Blick auf die sixtiuisch e
Madonna. Hier schauen wir die von Engelchören umgebene Gestalt der Maria
mit dem Jesuskinde im Arm, aus Wolken schwebend. Ernst und würdig, gleich
einem in sich abgeschlossenen Leben, schwebt sie hernieder — jedem geistig Fühlen¬
den verständlich, denn sie tritt ihm entgegen als Weib, als Weib mit Fleisch und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/24>, abgerufen am 19.10.2024.