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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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beibehalten, und trotz seiner Freundschaft mit den Whigs noch keinen störenden
Einfluß auf das Cabinet geübt. Aber die Julirevolution änderte mit einem
Schlage die Lage der Sachen. Eine gewaltige Agitation entstand im ganzen
Lande, und die Führer der Reformbewegung traten mit einer Entschiedenheit auf,
die ihren festen Willen, ihr Ziel zu erreichen, an den Tag legte. Diesmal täuschte
sich jedoch der Herzog in seinem Urtheil über die innere Kraft und das letzte
Ziel der Bewegung. Die schon vorhandenen Elemente beurtheilte er mit ge¬
wohntem Scharfblick -- er erkannte ganz richtig, daß die Parlamentsreform die
traditionellen Parteien auflösen, und eine Regierung in der bisher üblichen Weise
unmöglich machen werde. Aber daß an die Stelle der Negierung durch die
Parteien die Regierung durch die. öffentliche Meinung treten werde, sah er nicht,
weil er, so scharf sein Blick für das Vorhandene war, nichts weniger als ein
speculativer Politiker war. Er sah uach der Reform nur Anarchie kommen, weil
er die Expansivkraft der politischen und socialen Institutionen Englands unter¬
schätzte, und setzte der Reformbewegung daher den entschiedensten Widerstand ent¬
gegen. Damals stieg seine Unpopnlarität auf den höchsten Gipfel, der Pöbel
warf ihn in Piccadilly mit Steinen, und er mußte Aspleyhouse durch eiserne Laden
gegen augedrohte Angriffe schützen. Bei der Eröffnung des Parlaments erklärte
er ohne Umschweife, daß er jeder Veränderung des Repräsentationssystems den
entschiedensten Widerstand leisten werde, so lange er eine Stelle im Ministerium
bekleide, und in fünf Minuten war die Frage entschieden. Die Reform siegte,
und Wellington hörte auf, Minister zu sein. So lange die Frage noch vor
dem Parlament debattirt wurde, war seine Opposition unermüdlich; so wie aber
die Nefvrmbillj Landesgesetz geworden war, war die Frage für ihn abgeschlossen,
^ und das neue Gesetz war ihm so unabänderlich und so heilig, als wäre es eine
Verkörperung der Principien, die seinem Herzen am theuersten waren.

Die osstcielle staatsmännische Laufbahn des Herzogs war damit zu Ende.
Zwar wurde er uoch einmal Minister, als nach Lord Melbourne's Entlassung
Sir Robert Peel an's Ruder berufen wurde, und übernahm sogar bis zur An¬
kunft dieses Staatsmannes aus Italien nicht weniger als acht der wichtigeren
Cabinetsstellen provisorisch, und behielt das Staatssecretariat für die auswärtigen
Angelegenheiten definitiv; aber das Ministerium bestand nur fünf Wochen. Von da
an war er der beständige Rathgeber aller Regierungen, ohne eigentlich Mitglied
derselben zu sein, und keine Rolle paßte besser für seine politischen Fähigkeiten.
Er war nicht der Mann großer Conceptionen, welche neuen, noch ungebändigten
Kräften des Staats eine heilsame Richtung zu geben wissen, aber er konnte jede
einzelne, ihm vorgelegte Frage klar beurtheilen, und einen Beschluß der Negierung
mit unbeugsamer Entschlossenheit durchführen. In dieser Stellung zeigte er sich
nicht im mindesten engherzig. Er hatte zu viele Parteien sich auflösen sehen,
und hatte selbst dazu so viel mit beigetragen, als daß man bei ihm fanatische An-


beibehalten, und trotz seiner Freundschaft mit den Whigs noch keinen störenden
Einfluß auf das Cabinet geübt. Aber die Julirevolution änderte mit einem
Schlage die Lage der Sachen. Eine gewaltige Agitation entstand im ganzen
Lande, und die Führer der Reformbewegung traten mit einer Entschiedenheit auf,
die ihren festen Willen, ihr Ziel zu erreichen, an den Tag legte. Diesmal täuschte
sich jedoch der Herzog in seinem Urtheil über die innere Kraft und das letzte
Ziel der Bewegung. Die schon vorhandenen Elemente beurtheilte er mit ge¬
wohntem Scharfblick — er erkannte ganz richtig, daß die Parlamentsreform die
traditionellen Parteien auflösen, und eine Regierung in der bisher üblichen Weise
unmöglich machen werde. Aber daß an die Stelle der Negierung durch die
Parteien die Regierung durch die. öffentliche Meinung treten werde, sah er nicht,
weil er, so scharf sein Blick für das Vorhandene war, nichts weniger als ein
speculativer Politiker war. Er sah uach der Reform nur Anarchie kommen, weil
er die Expansivkraft der politischen und socialen Institutionen Englands unter¬
schätzte, und setzte der Reformbewegung daher den entschiedensten Widerstand ent¬
gegen. Damals stieg seine Unpopnlarität auf den höchsten Gipfel, der Pöbel
warf ihn in Piccadilly mit Steinen, und er mußte Aspleyhouse durch eiserne Laden
gegen augedrohte Angriffe schützen. Bei der Eröffnung des Parlaments erklärte
er ohne Umschweife, daß er jeder Veränderung des Repräsentationssystems den
entschiedensten Widerstand leisten werde, so lange er eine Stelle im Ministerium
bekleide, und in fünf Minuten war die Frage entschieden. Die Reform siegte,
und Wellington hörte auf, Minister zu sein. So lange die Frage noch vor
dem Parlament debattirt wurde, war seine Opposition unermüdlich; so wie aber
die Nefvrmbillj Landesgesetz geworden war, war die Frage für ihn abgeschlossen,
^ und das neue Gesetz war ihm so unabänderlich und so heilig, als wäre es eine
Verkörperung der Principien, die seinem Herzen am theuersten waren.

Die osstcielle staatsmännische Laufbahn des Herzogs war damit zu Ende.
Zwar wurde er uoch einmal Minister, als nach Lord Melbourne's Entlassung
Sir Robert Peel an's Ruder berufen wurde, und übernahm sogar bis zur An¬
kunft dieses Staatsmannes aus Italien nicht weniger als acht der wichtigeren
Cabinetsstellen provisorisch, und behielt das Staatssecretariat für die auswärtigen
Angelegenheiten definitiv; aber das Ministerium bestand nur fünf Wochen. Von da
an war er der beständige Rathgeber aller Regierungen, ohne eigentlich Mitglied
derselben zu sein, und keine Rolle paßte besser für seine politischen Fähigkeiten.
Er war nicht der Mann großer Conceptionen, welche neuen, noch ungebändigten
Kräften des Staats eine heilsame Richtung zu geben wissen, aber er konnte jede
einzelne, ihm vorgelegte Frage klar beurtheilen, und einen Beschluß der Negierung
mit unbeugsamer Entschlossenheit durchführen. In dieser Stellung zeigte er sich
nicht im mindesten engherzig. Er hatte zu viele Parteien sich auflösen sehen,
und hatte selbst dazu so viel mit beigetragen, als daß man bei ihm fanatische An-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/230>, abgerufen am 20.10.2024.