Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

nicht mehr ausreichte, aber Kanonen und Bayonnette reißen oft dem Staate noch
viel tiefere Wunden, als den Widerspänstigen, die sie bestrafen sollen, und Wellington
betrachtete die Frage der Katholikenemancipcitivn als eine Frage, wobei, so theuer
ihm die Herrschaft des Protestantismus im Herzen war, seine persönliche Ueber¬
zeugung sich vor den Forderungen des allgemeinen Wohles beugen mußte. So
wie der Herzog einmal seinen Entschluß gefaßt hatte, führte er ihn in höchst
charakteristischer Weise aus. Erstlich sollte die Concession, da sie einmal gemacht
werden mußte, aufrichtig und vollständig gemacht werden, um der Agitation keinen
Stoff zu weiteren Fortschritten übrig zu lassen. Zweitens durste der Feind nicht
durch vorzeitige Enthüllung des Kriegsplans etwa Nutzen ziehen, und der Plan
blieb ein strenges Geheimniß, bis die Stunde des Handelns kam. Nicht einmal
die höchsten Kronbeamten waren alle in's Vertrauen gezogen, und als nur sechs
Wochen vor der Eröffnung des Parlaments der Lordstatthalter von Irland, Lord
Anglesey, sich für die Emancipation aussprach, folgte die Strafe der Abberufung
seiner Indiscretion ans dem Fuße nach.

Endlich, am 3. Februar -1829, zerstreute die Thronrede alle Zweifel, und
die Ausführung ihrer Verheißungen ließ nicht ans sich warten. Der Herzog im Ober¬
hause und Sir R. Peel im Unterhause vertheidigte" die beschlossene Maßregel mit
männlicher, Offenheit und Entschiedenheit, und es war bei dieser Gelegenheit, wo
der Herzog, während er die möglichen Folgen des Nachgebens und des Wider¬
standes abwog, jeden Gedanken an letztern mit den denkwürdigen Worten zurück¬
wies: "Mylords, ich bin einer von denen, die vielleicht mehr Jahre als die meisten
anderen Menschen im Kriege verlebt haben, und hauptsächlich, kaun ich wol sagen,
im Bürgerkriege, aber das muß ich sagen, wenn ich dem Vaterlande durch irgend
ein Opfer nur einen Monat Bürgerkrieg ersparen to'unde, so würde ich gern
mein Leben darum geben." Gegen solche Argumente war nichts einzuwenden,
obgleich die Opposition sehr erbittert war; die Bill ging durch beide Häuser mit
starken Majoritäten, erhielt die königliche Zustimmung und wurde Landesgesetz.

Der Herzog bezahlte seine patriotische That theuer. Protestantische Vereine
jammerten über die Inconsequenz des großen Herzogs, -- der König war ver¬
letzt, die Tories dem Ministerium entfremdet. Selbst mit alten Freunden ent¬
spann sich so bitterer Hader, daß ein Duell mit Lord Wiuchilsea, das glücklicher
Weise ohne ernstere Folgen blieb, nicht vermieden werden konnte. Vermehrte
Popularität entschädigte ihn nicht dafür, die Liberalen schrieben ihren Sieg
weniger seinem Entschluß, als dem Andrang von außen zu, und die große Masse
des Volkes hatte er in seinem protestantischen Bewußtsein verletzt.

Zwei von den wichtigen Fragen des englischen Staatslebens waren nun
gelöst, und, die dritte schien erst in entlegener Ferne zu drohe". Anfang 1830
war die Reformbewegung noch ziemlich malt. Zwar saß ein neuer liberal gesinnter
König, Wilhelm IV. ans dem Thron; aber er hatte das Ministerium Wellington


28"

nicht mehr ausreichte, aber Kanonen und Bayonnette reißen oft dem Staate noch
viel tiefere Wunden, als den Widerspänstigen, die sie bestrafen sollen, und Wellington
betrachtete die Frage der Katholikenemancipcitivn als eine Frage, wobei, so theuer
ihm die Herrschaft des Protestantismus im Herzen war, seine persönliche Ueber¬
zeugung sich vor den Forderungen des allgemeinen Wohles beugen mußte. So
wie der Herzog einmal seinen Entschluß gefaßt hatte, führte er ihn in höchst
charakteristischer Weise aus. Erstlich sollte die Concession, da sie einmal gemacht
werden mußte, aufrichtig und vollständig gemacht werden, um der Agitation keinen
Stoff zu weiteren Fortschritten übrig zu lassen. Zweitens durste der Feind nicht
durch vorzeitige Enthüllung des Kriegsplans etwa Nutzen ziehen, und der Plan
blieb ein strenges Geheimniß, bis die Stunde des Handelns kam. Nicht einmal
die höchsten Kronbeamten waren alle in's Vertrauen gezogen, und als nur sechs
Wochen vor der Eröffnung des Parlaments der Lordstatthalter von Irland, Lord
Anglesey, sich für die Emancipation aussprach, folgte die Strafe der Abberufung
seiner Indiscretion ans dem Fuße nach.

Endlich, am 3. Februar -1829, zerstreute die Thronrede alle Zweifel, und
die Ausführung ihrer Verheißungen ließ nicht ans sich warten. Der Herzog im Ober¬
hause und Sir R. Peel im Unterhause vertheidigte« die beschlossene Maßregel mit
männlicher, Offenheit und Entschiedenheit, und es war bei dieser Gelegenheit, wo
der Herzog, während er die möglichen Folgen des Nachgebens und des Wider¬
standes abwog, jeden Gedanken an letztern mit den denkwürdigen Worten zurück¬
wies: „Mylords, ich bin einer von denen, die vielleicht mehr Jahre als die meisten
anderen Menschen im Kriege verlebt haben, und hauptsächlich, kaun ich wol sagen,
im Bürgerkriege, aber das muß ich sagen, wenn ich dem Vaterlande durch irgend
ein Opfer nur einen Monat Bürgerkrieg ersparen to'unde, so würde ich gern
mein Leben darum geben." Gegen solche Argumente war nichts einzuwenden,
obgleich die Opposition sehr erbittert war; die Bill ging durch beide Häuser mit
starken Majoritäten, erhielt die königliche Zustimmung und wurde Landesgesetz.

Der Herzog bezahlte seine patriotische That theuer. Protestantische Vereine
jammerten über die Inconsequenz des großen Herzogs, — der König war ver¬
letzt, die Tories dem Ministerium entfremdet. Selbst mit alten Freunden ent¬
spann sich so bitterer Hader, daß ein Duell mit Lord Wiuchilsea, das glücklicher
Weise ohne ernstere Folgen blieb, nicht vermieden werden konnte. Vermehrte
Popularität entschädigte ihn nicht dafür, die Liberalen schrieben ihren Sieg
weniger seinem Entschluß, als dem Andrang von außen zu, und die große Masse
des Volkes hatte er in seinem protestantischen Bewußtsein verletzt.

Zwei von den wichtigen Fragen des englischen Staatslebens waren nun
gelöst, und, die dritte schien erst in entlegener Ferne zu drohe«. Anfang 1830
war die Reformbewegung noch ziemlich malt. Zwar saß ein neuer liberal gesinnter
König, Wilhelm IV. ans dem Thron; aber er hatte das Ministerium Wellington


28"
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0229" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/95210"/>
            <p xml:id="ID_599" prev="#ID_598"> nicht mehr ausreichte, aber Kanonen und Bayonnette reißen oft dem Staate noch<lb/>
viel tiefere Wunden, als den Widerspänstigen, die sie bestrafen sollen, und Wellington<lb/>
betrachtete die Frage der Katholikenemancipcitivn als eine Frage, wobei, so theuer<lb/>
ihm die Herrschaft des Protestantismus im Herzen war, seine persönliche Ueber¬<lb/>
zeugung sich vor den Forderungen des allgemeinen Wohles beugen mußte. So<lb/>
wie der Herzog einmal seinen Entschluß gefaßt hatte, führte er ihn in höchst<lb/>
charakteristischer Weise aus. Erstlich sollte die Concession, da sie einmal gemacht<lb/>
werden mußte, aufrichtig und vollständig gemacht werden, um der Agitation keinen<lb/>
Stoff zu weiteren Fortschritten übrig zu lassen. Zweitens durste der Feind nicht<lb/>
durch vorzeitige Enthüllung des Kriegsplans etwa Nutzen ziehen, und der Plan<lb/>
blieb ein strenges Geheimniß, bis die Stunde des Handelns kam. Nicht einmal<lb/>
die höchsten Kronbeamten waren alle in's Vertrauen gezogen, und als nur sechs<lb/>
Wochen vor der Eröffnung des Parlaments der Lordstatthalter von Irland, Lord<lb/>
Anglesey, sich für die Emancipation aussprach, folgte die Strafe der Abberufung<lb/>
seiner Indiscretion ans dem Fuße nach.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_600"> Endlich, am 3. Februar -1829, zerstreute die Thronrede alle Zweifel, und<lb/>
die Ausführung ihrer Verheißungen ließ nicht ans sich warten. Der Herzog im Ober¬<lb/>
hause und Sir R. Peel im Unterhause vertheidigte« die beschlossene Maßregel mit<lb/>
männlicher, Offenheit und Entschiedenheit, und es war bei dieser Gelegenheit, wo<lb/>
der Herzog, während er die möglichen Folgen des Nachgebens und des Wider¬<lb/>
standes abwog, jeden Gedanken an letztern mit den denkwürdigen Worten zurück¬<lb/>
wies: &#x201E;Mylords, ich bin einer von denen, die vielleicht mehr Jahre als die meisten<lb/>
anderen Menschen im Kriege verlebt haben, und hauptsächlich, kaun ich wol sagen,<lb/>
im Bürgerkriege, aber das muß ich sagen, wenn ich dem Vaterlande durch irgend<lb/>
ein Opfer nur einen Monat Bürgerkrieg ersparen to'unde, so würde ich gern<lb/>
mein Leben darum geben." Gegen solche Argumente war nichts einzuwenden,<lb/>
obgleich die Opposition sehr erbittert war; die Bill ging durch beide Häuser mit<lb/>
starken Majoritäten, erhielt die königliche Zustimmung und wurde Landesgesetz.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_601"> Der Herzog bezahlte seine patriotische That theuer. Protestantische Vereine<lb/>
jammerten über die Inconsequenz des großen Herzogs, &#x2014; der König war ver¬<lb/>
letzt, die Tories dem Ministerium entfremdet. Selbst mit alten Freunden ent¬<lb/>
spann sich so bitterer Hader, daß ein Duell mit Lord Wiuchilsea, das glücklicher<lb/>
Weise ohne ernstere Folgen blieb, nicht vermieden werden konnte. Vermehrte<lb/>
Popularität entschädigte ihn nicht dafür, die Liberalen schrieben ihren Sieg<lb/>
weniger seinem Entschluß, als dem Andrang von außen zu, und die große Masse<lb/>
des Volkes hatte er in seinem protestantischen Bewußtsein verletzt.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_602" next="#ID_603"> Zwei von den wichtigen Fragen des englischen Staatslebens waren nun<lb/>
gelöst, und, die dritte schien erst in entlegener Ferne zu drohe«. Anfang 1830<lb/>
war die Reformbewegung noch ziemlich malt. Zwar saß ein neuer liberal gesinnter<lb/>
König, Wilhelm IV. ans dem Thron; aber er hatte das Ministerium Wellington</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> 28"</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0229] nicht mehr ausreichte, aber Kanonen und Bayonnette reißen oft dem Staate noch viel tiefere Wunden, als den Widerspänstigen, die sie bestrafen sollen, und Wellington betrachtete die Frage der Katholikenemancipcitivn als eine Frage, wobei, so theuer ihm die Herrschaft des Protestantismus im Herzen war, seine persönliche Ueber¬ zeugung sich vor den Forderungen des allgemeinen Wohles beugen mußte. So wie der Herzog einmal seinen Entschluß gefaßt hatte, führte er ihn in höchst charakteristischer Weise aus. Erstlich sollte die Concession, da sie einmal gemacht werden mußte, aufrichtig und vollständig gemacht werden, um der Agitation keinen Stoff zu weiteren Fortschritten übrig zu lassen. Zweitens durste der Feind nicht durch vorzeitige Enthüllung des Kriegsplans etwa Nutzen ziehen, und der Plan blieb ein strenges Geheimniß, bis die Stunde des Handelns kam. Nicht einmal die höchsten Kronbeamten waren alle in's Vertrauen gezogen, und als nur sechs Wochen vor der Eröffnung des Parlaments der Lordstatthalter von Irland, Lord Anglesey, sich für die Emancipation aussprach, folgte die Strafe der Abberufung seiner Indiscretion ans dem Fuße nach. Endlich, am 3. Februar -1829, zerstreute die Thronrede alle Zweifel, und die Ausführung ihrer Verheißungen ließ nicht ans sich warten. Der Herzog im Ober¬ hause und Sir R. Peel im Unterhause vertheidigte« die beschlossene Maßregel mit männlicher, Offenheit und Entschiedenheit, und es war bei dieser Gelegenheit, wo der Herzog, während er die möglichen Folgen des Nachgebens und des Wider¬ standes abwog, jeden Gedanken an letztern mit den denkwürdigen Worten zurück¬ wies: „Mylords, ich bin einer von denen, die vielleicht mehr Jahre als die meisten anderen Menschen im Kriege verlebt haben, und hauptsächlich, kaun ich wol sagen, im Bürgerkriege, aber das muß ich sagen, wenn ich dem Vaterlande durch irgend ein Opfer nur einen Monat Bürgerkrieg ersparen to'unde, so würde ich gern mein Leben darum geben." Gegen solche Argumente war nichts einzuwenden, obgleich die Opposition sehr erbittert war; die Bill ging durch beide Häuser mit starken Majoritäten, erhielt die königliche Zustimmung und wurde Landesgesetz. Der Herzog bezahlte seine patriotische That theuer. Protestantische Vereine jammerten über die Inconsequenz des großen Herzogs, — der König war ver¬ letzt, die Tories dem Ministerium entfremdet. Selbst mit alten Freunden ent¬ spann sich so bitterer Hader, daß ein Duell mit Lord Wiuchilsea, das glücklicher Weise ohne ernstere Folgen blieb, nicht vermieden werden konnte. Vermehrte Popularität entschädigte ihn nicht dafür, die Liberalen schrieben ihren Sieg weniger seinem Entschluß, als dem Andrang von außen zu, und die große Masse des Volkes hatte er in seinem protestantischen Bewußtsein verletzt. Zwei von den wichtigen Fragen des englischen Staatslebens waren nun gelöst, und, die dritte schien erst in entlegener Ferne zu drohe«. Anfang 1830 war die Reformbewegung noch ziemlich malt. Zwar saß ein neuer liberal gesinnter König, Wilhelm IV. ans dem Thron; aber er hatte das Ministerium Wellington 28"

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/229
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/229>, abgerufen am 20.10.2024.