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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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kommen und hat unter den am meisten reisenden Vergnügungen sogar jetzt schon
einzelne Kreise erobert. Gerade die exclusive Gesellschaft pflegt schon mehr als
ehedem die raschen Communicationsmittel blos zu benutzen, um sich nach irgend einem
schönen Punkte hiuzuversetzen, dann aber diesen in verhältnißmäßig kleinem Umfange
möglichst genan zu exploitiren und hierauf heimzukehren. Allein diese Gesellschaft,
welche eigentlich keine Heimath und keine Welt, außer der fliegenden ihrer Salons und
Sommerhitze hat, gewährt auch Niemandem ein Resultat ihres Reifens, welches in
seiner neuen Weise immer nur wieder die Exclustvetät als Hauptzweck verfolgt,
wie ursprünglich in ihrem Badeleben und nachher in ihren transatlantischen Aus¬
flügen. Jeue dagegen, denen die Reise und vollends die Vergnügungsreise ein
markantes Lebensereigniß ist, suchen heut möglichst große geographische Peripherien
in möglichst rascher Abthnüng zu umschreiben. Ihnen ist's ein genugthuendes
Gefühl, sich daheim zu vergewissern, daß die Post- und Neisekarte von Deutschland
nebst den angrenzenden Ländern noch bei ihren Lebzeiten so klein und die Meilen
der Reichardt'sche", Förster'schen oder Bädecker'scheu Normalreiserouten so kurz
geworden sind. Diese Reisenden werden nun immer die Mehrzahl ausmachen;
wenigstens siud unserer zeitgenössischen Generation Eisenbahnen und Dampfschiffe noch
zu neue, zu imponirende Erscheinungen, als daß nicht die ihnen verdankte Grenz-
erweiternng des Vergnügungsreisens fortwährend höher gestellt werden sollte, als
Genauigkeit der Bereisung. DaS Verlangen nach dem Contrast eines mehr inten¬
siven, als extensiven Kennenlernens der Ferne, der Reiz eines Einheimelns an
gewissen Punkten der Fremde, gleichsam das Bedürfniß einer entlegenen Villegiatur
im hohem Sinne -- dieses Bedürfniß kommt erst unseren Enkeln. Manche
noch ferne Umgestaltungen des socialen wie politischen Lebens müssen auch wol vor¬
angehen, ehe es überhaupt in der Weise wahrscheinlich wird, wie es z. B. in
der jüngern Generation Englands schon jetzt gewöhnlich.

Also für Reisende g"wohnlichen Schlages liegt Appenzell Jnnerrhoden zu
nahe an der deutscheu Grenze, und zu seitwärts von der xrancliz route. Den
Exclusiven behagt es nicht, weil für die Möglichkeit, der Exclustvetät im ganzen
dortigen Leben keine comfortablen Vorbereitungen gegeben sind, weil die idyllische
Demokratie des Hirtenstaates sich auch uicht wohl aus jener unnahbaren Per-
spective betrachten läßt, wie etwa vom Balkon des Hotels * oder " das Treiben
und Leben im Berner Oberland. Die Innerrhodcner "machen" nicht in Natnr-
wüchsigkeit, Eigenthümlichkeit, Nationaltrachten und Jodlern; sie sind. Da kaun
der exclusive Reisende doch nicht genau wissen, ob seine sotiveraine Objectivetät
immer intact erhalten bleibt. -- Andere Wanderer, welche den Tagen ihrer Reise¬
serien nicht ängstlich nachzurechnen, und dem heimischen Genuß entsagt haben, einen
möglichst großen Umfang ihrer Route mit dem Finger anf der Karte ihrer erstaun¬
ten Familie vorzumalen --- sie sollten doch nicht verfehlen die Bergringmauern zu
übersteigen, welche amphitheatralisch zur Säntisspitze aufsteigen. Für Postverbin-


kommen und hat unter den am meisten reisenden Vergnügungen sogar jetzt schon
einzelne Kreise erobert. Gerade die exclusive Gesellschaft pflegt schon mehr als
ehedem die raschen Communicationsmittel blos zu benutzen, um sich nach irgend einem
schönen Punkte hiuzuversetzen, dann aber diesen in verhältnißmäßig kleinem Umfange
möglichst genan zu exploitiren und hierauf heimzukehren. Allein diese Gesellschaft,
welche eigentlich keine Heimath und keine Welt, außer der fliegenden ihrer Salons und
Sommerhitze hat, gewährt auch Niemandem ein Resultat ihres Reifens, welches in
seiner neuen Weise immer nur wieder die Exclustvetät als Hauptzweck verfolgt,
wie ursprünglich in ihrem Badeleben und nachher in ihren transatlantischen Aus¬
flügen. Jeue dagegen, denen die Reise und vollends die Vergnügungsreise ein
markantes Lebensereigniß ist, suchen heut möglichst große geographische Peripherien
in möglichst rascher Abthnüng zu umschreiben. Ihnen ist's ein genugthuendes
Gefühl, sich daheim zu vergewissern, daß die Post- und Neisekarte von Deutschland
nebst den angrenzenden Ländern noch bei ihren Lebzeiten so klein und die Meilen
der Reichardt'sche», Förster'schen oder Bädecker'scheu Normalreiserouten so kurz
geworden sind. Diese Reisenden werden nun immer die Mehrzahl ausmachen;
wenigstens siud unserer zeitgenössischen Generation Eisenbahnen und Dampfschiffe noch
zu neue, zu imponirende Erscheinungen, als daß nicht die ihnen verdankte Grenz-
erweiternng des Vergnügungsreisens fortwährend höher gestellt werden sollte, als
Genauigkeit der Bereisung. DaS Verlangen nach dem Contrast eines mehr inten¬
siven, als extensiven Kennenlernens der Ferne, der Reiz eines Einheimelns an
gewissen Punkten der Fremde, gleichsam das Bedürfniß einer entlegenen Villegiatur
im hohem Sinne — dieses Bedürfniß kommt erst unseren Enkeln. Manche
noch ferne Umgestaltungen des socialen wie politischen Lebens müssen auch wol vor¬
angehen, ehe es überhaupt in der Weise wahrscheinlich wird, wie es z. B. in
der jüngern Generation Englands schon jetzt gewöhnlich.

Also für Reisende g«wohnlichen Schlages liegt Appenzell Jnnerrhoden zu
nahe an der deutscheu Grenze, und zu seitwärts von der xrancliz route. Den
Exclusiven behagt es nicht, weil für die Möglichkeit, der Exclustvetät im ganzen
dortigen Leben keine comfortablen Vorbereitungen gegeben sind, weil die idyllische
Demokratie des Hirtenstaates sich auch uicht wohl aus jener unnahbaren Per-
spective betrachten läßt, wie etwa vom Balkon des Hotels * oder " das Treiben
und Leben im Berner Oberland. Die Innerrhodcner „machen" nicht in Natnr-
wüchsigkeit, Eigenthümlichkeit, Nationaltrachten und Jodlern; sie sind. Da kaun
der exclusive Reisende doch nicht genau wissen, ob seine sotiveraine Objectivetät
immer intact erhalten bleibt. — Andere Wanderer, welche den Tagen ihrer Reise¬
serien nicht ängstlich nachzurechnen, und dem heimischen Genuß entsagt haben, einen
möglichst großen Umfang ihrer Route mit dem Finger anf der Karte ihrer erstaun¬
ten Familie vorzumalen -— sie sollten doch nicht verfehlen die Bergringmauern zu
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/94>, abgerufen am 22.12.2024.