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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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Oestreich und seine Hinterländer Ersatz für die Beeinträchtigungen finden könnten,
welche die deutsche Industrie auf anderen Weltmärkten durch die englische erleidet.
Wir können es nur für eine Illusion halten. Die Donau ist eine wichtige Wasser¬
straße, ihre Bedeutung für die deutsche Industrie wird aber dadurch sehr beein¬
trächtigt, daß sie im Kaiserstaat durch sehr dünnbevölkerte, und, wie wir gleich
zeigen werden, sehr wenig consumirendc Länder fließt, so wie durch den Umstand,
daß Oestreich diesen Strom nicht als Wasserweg nach Asien öffnen kann, da seine
schiffbare Mündung bereits Rußland unter seine Obhut genommen hat. Was
überhaupt das Eröffner des Orients betrifft, so würden wir dort jedenfalls als
Concurrenten dieselben Engländer treffen, deren industrielle Ueberlegenheit --
um nach den Ansichten der Herren, denen an der-Eröffnung des Orients beson-
ders viel gelegen ist, zu sprechen -- über uns so groß ist, daß sie ohne höhere
Schutzzölle bereits unsre heimische Industrie mit dem Untergang bedrohen. Wie
sollen wir es denn mit ihnen auf dem fremden Markt, wo wir keine Schutzzölle
haben, aufnehmen? Oder glaubt man in Dresden und München vielleicht, daß
Oestreichs Einfluß im Orient Handelsverträge zu Wege bringen konnte, welche
die deutsche Industrie auf Kosten der englischen begünstigten? Das wäre wahr¬
haft lächerlich. Im Orient kann Oestreich für deutsche Industrie so gut wie gar
Nichts thun, und die Straße von Trieft wird es uns schon ans eigenem Inter-
resse nicht verschließen.

Es^ bliebe also für die deutsche Industrie nur der östreichische Kaiserstaat
selbst übrig, allerdings mit 36 Millionen Einwohnern, gewiß eine beträchtliche
Anzahl. Wie steht es aber mit der Consumtionsfähigkeit dieser Bevölkerung?
Es ist uicht leicht hier zu einem Resultate zu gelangen. Da bei dem bis vor
Kurzem beibehaltenen Prohibitsystem die Deckung des Bedarfs fast ausschließlich
der einheimischen Industrie znftel, so können keine Einfuhrlisten als Maßstab
genommen werden; die Bausch- und Bogenangaben über die Fabrikproduction
bleiben immer mißlich, und über die gewiß ungeheure Menge der eingeschmuggelten
Güter fehlen alle Angaben, Wir müssen daher einen andern Weg einschlagen
um einen einigermaßen sichern Schluß ziehen zu können. Jeder Statistiker kennt
den Erfahrungssatz, daß die Einfuhr und das Verbleiben von Gewürzen, Kaffee,
Thee, Chocolade, Zucker, Reis z.e. in einem bestimmten Lande in Europa einen
ziemlich sichern Maßstab für die Consumtionsfähigkeit desselben abgeben, weil sie
nicht in demselben erzeugt werden, und weil sie zwar nicht zu den Lebensnoth¬
wendigkeiten, aber doch zu den überflüssigen Genüssen gehören, für die Jedermann
zuerst sorgt, wenn er es zu einem Ueberschuß in seinen Einnahmen gebracht hat.
Gewiß wird Niemand zuerst für einen neuen Rock oder ein neues Kleid, und
dann erst für seinen täglichen Kaffee und.den Zucker dazu sorgen. Verbrauche
daher ein Land von diesen Sachen auffallend mehr als ein Anderes, so wird es
auch an Fabrikaten mehr verbrauchen, mögen diese nun einheimisch oder aufkam-


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Oestreich und seine Hinterländer Ersatz für die Beeinträchtigungen finden könnten,
welche die deutsche Industrie auf anderen Weltmärkten durch die englische erleidet.
Wir können es nur für eine Illusion halten. Die Donau ist eine wichtige Wasser¬
straße, ihre Bedeutung für die deutsche Industrie wird aber dadurch sehr beein¬
trächtigt, daß sie im Kaiserstaat durch sehr dünnbevölkerte, und, wie wir gleich
zeigen werden, sehr wenig consumirendc Länder fließt, so wie durch den Umstand,
daß Oestreich diesen Strom nicht als Wasserweg nach Asien öffnen kann, da seine
schiffbare Mündung bereits Rußland unter seine Obhut genommen hat. Was
überhaupt das Eröffner des Orients betrifft, so würden wir dort jedenfalls als
Concurrenten dieselben Engländer treffen, deren industrielle Ueberlegenheit —
um nach den Ansichten der Herren, denen an der-Eröffnung des Orients beson-
ders viel gelegen ist, zu sprechen — über uns so groß ist, daß sie ohne höhere
Schutzzölle bereits unsre heimische Industrie mit dem Untergang bedrohen. Wie
sollen wir es denn mit ihnen auf dem fremden Markt, wo wir keine Schutzzölle
haben, aufnehmen? Oder glaubt man in Dresden und München vielleicht, daß
Oestreichs Einfluß im Orient Handelsverträge zu Wege bringen konnte, welche
die deutsche Industrie auf Kosten der englischen begünstigten? Das wäre wahr¬
haft lächerlich. Im Orient kann Oestreich für deutsche Industrie so gut wie gar
Nichts thun, und die Straße von Trieft wird es uns schon ans eigenem Inter-
resse nicht verschließen.

Es^ bliebe also für die deutsche Industrie nur der östreichische Kaiserstaat
selbst übrig, allerdings mit 36 Millionen Einwohnern, gewiß eine beträchtliche
Anzahl. Wie steht es aber mit der Consumtionsfähigkeit dieser Bevölkerung?
Es ist uicht leicht hier zu einem Resultate zu gelangen. Da bei dem bis vor
Kurzem beibehaltenen Prohibitsystem die Deckung des Bedarfs fast ausschließlich
der einheimischen Industrie znftel, so können keine Einfuhrlisten als Maßstab
genommen werden; die Bausch- und Bogenangaben über die Fabrikproduction
bleiben immer mißlich, und über die gewiß ungeheure Menge der eingeschmuggelten
Güter fehlen alle Angaben, Wir müssen daher einen andern Weg einschlagen
um einen einigermaßen sichern Schluß ziehen zu können. Jeder Statistiker kennt
den Erfahrungssatz, daß die Einfuhr und das Verbleiben von Gewürzen, Kaffee,
Thee, Chocolade, Zucker, Reis z.e. in einem bestimmten Lande in Europa einen
ziemlich sichern Maßstab für die Consumtionsfähigkeit desselben abgeben, weil sie
nicht in demselben erzeugt werden, und weil sie zwar nicht zu den Lebensnoth¬
wendigkeiten, aber doch zu den überflüssigen Genüssen gehören, für die Jedermann
zuerst sorgt, wenn er es zu einem Ueberschuß in seinen Einnahmen gebracht hat.
Gewiß wird Niemand zuerst für einen neuen Rock oder ein neues Kleid, und
dann erst für seinen täglichen Kaffee und.den Zucker dazu sorgen. Verbrauche
daher ein Land von diesen Sachen auffallend mehr als ein Anderes, so wird es
auch an Fabrikaten mehr verbrauchen, mögen diese nun einheimisch oder aufkam-


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[0079] Oestreich und seine Hinterländer Ersatz für die Beeinträchtigungen finden könnten, welche die deutsche Industrie auf anderen Weltmärkten durch die englische erleidet. Wir können es nur für eine Illusion halten. Die Donau ist eine wichtige Wasser¬ straße, ihre Bedeutung für die deutsche Industrie wird aber dadurch sehr beein¬ trächtigt, daß sie im Kaiserstaat durch sehr dünnbevölkerte, und, wie wir gleich zeigen werden, sehr wenig consumirendc Länder fließt, so wie durch den Umstand, daß Oestreich diesen Strom nicht als Wasserweg nach Asien öffnen kann, da seine schiffbare Mündung bereits Rußland unter seine Obhut genommen hat. Was überhaupt das Eröffner des Orients betrifft, so würden wir dort jedenfalls als Concurrenten dieselben Engländer treffen, deren industrielle Ueberlegenheit — um nach den Ansichten der Herren, denen an der-Eröffnung des Orients beson- ders viel gelegen ist, zu sprechen — über uns so groß ist, daß sie ohne höhere Schutzzölle bereits unsre heimische Industrie mit dem Untergang bedrohen. Wie sollen wir es denn mit ihnen auf dem fremden Markt, wo wir keine Schutzzölle haben, aufnehmen? Oder glaubt man in Dresden und München vielleicht, daß Oestreichs Einfluß im Orient Handelsverträge zu Wege bringen konnte, welche die deutsche Industrie auf Kosten der englischen begünstigten? Das wäre wahr¬ haft lächerlich. Im Orient kann Oestreich für deutsche Industrie so gut wie gar Nichts thun, und die Straße von Trieft wird es uns schon ans eigenem Inter- resse nicht verschließen. Es^ bliebe also für die deutsche Industrie nur der östreichische Kaiserstaat selbst übrig, allerdings mit 36 Millionen Einwohnern, gewiß eine beträchtliche Anzahl. Wie steht es aber mit der Consumtionsfähigkeit dieser Bevölkerung? Es ist uicht leicht hier zu einem Resultate zu gelangen. Da bei dem bis vor Kurzem beibehaltenen Prohibitsystem die Deckung des Bedarfs fast ausschließlich der einheimischen Industrie znftel, so können keine Einfuhrlisten als Maßstab genommen werden; die Bausch- und Bogenangaben über die Fabrikproduction bleiben immer mißlich, und über die gewiß ungeheure Menge der eingeschmuggelten Güter fehlen alle Angaben, Wir müssen daher einen andern Weg einschlagen um einen einigermaßen sichern Schluß ziehen zu können. Jeder Statistiker kennt den Erfahrungssatz, daß die Einfuhr und das Verbleiben von Gewürzen, Kaffee, Thee, Chocolade, Zucker, Reis z.e. in einem bestimmten Lande in Europa einen ziemlich sichern Maßstab für die Consumtionsfähigkeit desselben abgeben, weil sie nicht in demselben erzeugt werden, und weil sie zwar nicht zu den Lebensnoth¬ wendigkeiten, aber doch zu den überflüssigen Genüssen gehören, für die Jedermann zuerst sorgt, wenn er es zu einem Ueberschuß in seinen Einnahmen gebracht hat. Gewiß wird Niemand zuerst für einen neuen Rock oder ein neues Kleid, und dann erst für seinen täglichen Kaffee und.den Zucker dazu sorgen. Verbrauche daher ein Land von diesen Sachen auffallend mehr als ein Anderes, so wird es auch an Fabrikaten mehr verbrauchen, mögen diese nun einheimisch oder aufkam- 9*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/79>, abgerufen am 22.12.2024.