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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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einen vortheilhaften Markt für seine Erzeugnisse dar, und hat dadurch den Werth
der Landgüter bedeutend erhöht. Dieselbe Folge hat in anderen Gegenden des
Landes die Zunahme der Fabrikindustrie, auf welche der Meßhandel Leipzigs,
wie auf die des ganzen Deutschlands, befruchtend zurückwirkt. Welch' ungeheure
Verluste Leipzig durch ein Zurücksinken der Messen aus ihre frühere Bedeutungs¬
losigkeit erleiden müßte, kann Niemandem verborgen sein, und wenn auch Leipzig
noch nicht ganz Sachsen ist, so hängt doch von der Blüthe seines Handels der
Wohlstand fast des ganzen Landes direct oder indirect ab. Der Werth der
Häuser in Leipzig würde um mehr als die Hälfte sinken, viele Hypothekengläubiger
würden gar nicht befriedigt werden können, ganze Industriezweige würden stocken
und die darin angelegten Capitalien verloren gehen. Das Gleiche wäre in den
Fabrikstädten der Fall, und mit dem verminderten Verdienste der Handels- und
Jndnstriemittelpnnkte würde zugleich ihre Consumtionsfähigkeit sinken, so daß auch
die Landgüter ihren Absatz und ihren Werth bedeutend verringert sehen würden.
Unsägliches Elend würde sich über das ganze, ohnedies schon mit hohen Steuern
belastete Land verbreiten. Man wird dieser düstern Prophezeihung mit der gewöhn¬
lichen Antwort zu begegnen suchen, daß die Leipziger Kaufleute von dem Ein¬
tritt in den Zollverein ganz Aehnliches prophezeiht und sich doch vollständig getäuscht
hätten. Es lagen jedoch damals ganz andere Motive zu Grunde. Die Gestaltung
des Verkehrs auf dem erweiterten Markte ließ sich noch nicht mit Sicherheit beur¬
theilen, da es an aller Erfahrung fehlte; man verkannte die Vortheile des grö¬
ßeren Marktes nicht, glaubte aber, sie würden nicht der sächsischen, sondern der
anßersächsischen Industrie zu Gute kommen, da es an Gelegenheit gefehlt hatte,
über ihren gegenseitigen Werth Vergleiche anzustellen; außerdem hatte man in
Sachsen bis dahin sehr niedrige Zollsätze, gehabt, und die Zollverwaltnng war
etwas lax, so daß der Kaufmann manche Extraerleichternngen hatte, von denen
im Gesetz Nichts stand. Ganz natürlich fürchtete er die durch höhere Steuersätze
nothwendig werdende vermehrte Capitalauslage, und die exactere preußische Zoll¬
verwaltung nannte er Plackerei. Jetzt haben wir eher höhere Zölle, als bisher,
also auch eine vermehrte Aufsicht und eine größere Capitalauslage zu erwarten,
sollen ein Handelsgebiet aufgeben, das wir früher aus Unkenntniß nicht für
vortheilhaft für uns hielten, ans dem wir uns aber recht gut eingerichtet haben,
und uns ans eines beschränken, von dem wir aus Erfahrung wissen, daß es
ärmer ist und weniger consumirt, als das aufzugebende Gebiet. Damals pro-
phezeihten die Leipziger Kaufleute nach Voraussetzungen und nach dem beschränkten
Gesichtspunkte eines provinciellen Geschäftskreises; jetzt urtheilen sie uach viel¬
jähriger Erfahrung und mit der erweiterten Auschanung von Männern, die mit
dem Welthandel zu thun haben. Das ist der große Unterschied.

Für allen diesen Jammer soll uns die sehr ferne Aussicht auf die Zolleini¬
gung mit Oestreich entschädigen. Die auf den Wiener Zollconferenzen vertretenen


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einen vortheilhaften Markt für seine Erzeugnisse dar, und hat dadurch den Werth
der Landgüter bedeutend erhöht. Dieselbe Folge hat in anderen Gegenden des
Landes die Zunahme der Fabrikindustrie, auf welche der Meßhandel Leipzigs,
wie auf die des ganzen Deutschlands, befruchtend zurückwirkt. Welch' ungeheure
Verluste Leipzig durch ein Zurücksinken der Messen aus ihre frühere Bedeutungs¬
losigkeit erleiden müßte, kann Niemandem verborgen sein, und wenn auch Leipzig
noch nicht ganz Sachsen ist, so hängt doch von der Blüthe seines Handels der
Wohlstand fast des ganzen Landes direct oder indirect ab. Der Werth der
Häuser in Leipzig würde um mehr als die Hälfte sinken, viele Hypothekengläubiger
würden gar nicht befriedigt werden können, ganze Industriezweige würden stocken
und die darin angelegten Capitalien verloren gehen. Das Gleiche wäre in den
Fabrikstädten der Fall, und mit dem verminderten Verdienste der Handels- und
Jndnstriemittelpnnkte würde zugleich ihre Consumtionsfähigkeit sinken, so daß auch
die Landgüter ihren Absatz und ihren Werth bedeutend verringert sehen würden.
Unsägliches Elend würde sich über das ganze, ohnedies schon mit hohen Steuern
belastete Land verbreiten. Man wird dieser düstern Prophezeihung mit der gewöhn¬
lichen Antwort zu begegnen suchen, daß die Leipziger Kaufleute von dem Ein¬
tritt in den Zollverein ganz Aehnliches prophezeiht und sich doch vollständig getäuscht
hätten. Es lagen jedoch damals ganz andere Motive zu Grunde. Die Gestaltung
des Verkehrs auf dem erweiterten Markte ließ sich noch nicht mit Sicherheit beur¬
theilen, da es an aller Erfahrung fehlte; man verkannte die Vortheile des grö¬
ßeren Marktes nicht, glaubte aber, sie würden nicht der sächsischen, sondern der
anßersächsischen Industrie zu Gute kommen, da es an Gelegenheit gefehlt hatte,
über ihren gegenseitigen Werth Vergleiche anzustellen; außerdem hatte man in
Sachsen bis dahin sehr niedrige Zollsätze, gehabt, und die Zollverwaltnng war
etwas lax, so daß der Kaufmann manche Extraerleichternngen hatte, von denen
im Gesetz Nichts stand. Ganz natürlich fürchtete er die durch höhere Steuersätze
nothwendig werdende vermehrte Capitalauslage, und die exactere preußische Zoll¬
verwaltung nannte er Plackerei. Jetzt haben wir eher höhere Zölle, als bisher,
also auch eine vermehrte Aufsicht und eine größere Capitalauslage zu erwarten,
sollen ein Handelsgebiet aufgeben, das wir früher aus Unkenntniß nicht für
vortheilhaft für uns hielten, ans dem wir uns aber recht gut eingerichtet haben,
und uns ans eines beschränken, von dem wir aus Erfahrung wissen, daß es
ärmer ist und weniger consumirt, als das aufzugebende Gebiet. Damals pro-
phezeihten die Leipziger Kaufleute nach Voraussetzungen und nach dem beschränkten
Gesichtspunkte eines provinciellen Geschäftskreises; jetzt urtheilen sie uach viel¬
jähriger Erfahrung und mit der erweiterten Auschanung von Männern, die mit
dem Welthandel zu thun haben. Das ist der große Unterschied.

Für allen diesen Jammer soll uns die sehr ferne Aussicht auf die Zolleini¬
gung mit Oestreich entschädigen. Die auf den Wiener Zollconferenzen vertretenen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/77>, abgerufen am 22.12.2024.