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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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Daß wegen der Abwesenheit dieser Vereinigung von günstigen Verhältnissen keine
andere Stadt in Deutschland ein so wichtiger Meßplatz wie Leipzig werden kann,
ist aber für diese Stadt ein sehr schlechter Trost, wenn in Folge des Zerfalls des
Zollvereins die Bedeutung seiner Messe sinkt. Das Gefühl der Schadenfreude
mag manchen Leuten wohlthuend sein, für materielle Verluste ist es jedenfalls ein
höchst unzureichender Ersatz. Was nun die geographischen Vortheile Leipzigs
betrifft, so ist es damit eine eigene Sache. Diese Vortheile sind zwar durch die
angelegten Eisenbahnen noch erhöht worden, aber dieselben Eisenbahnen haben
auch die Alleinherrschaft der einzelnen Verkehrswege gestürzt, da der beschleunigte
Transport einen Umweg von mehreren Meilen leichter erträglich macht, als früher,
und wir halten es durchaus uicht für eine Unmöglichkeit, die Handelsbewegung
zwischen dem Westen und Osten vermittelst der thüringisch-hallischen Bahn durch
eine noch zu suchende Verbindung mit der schlesischen Bahn ganz von Sachsen
abzulenken. Der Verkehr zwischen dem Norden und Süden würde schon durch
die bedrängte Lage, in welche die sächsische und süddeutsche Industrie dnrch die
Aufrichtung neuer Zollschranken mitten durch Deutschland geriethe, sehr bedeutend
abnehmen. Uebrigens weiß Leipzig aus früherer trauriger Erfahrung zu gut,
wie sehr ein Zollkrieg -- vorzüglich wenn er mit der Leidenschaftlichkeit geführt
wird, die gegenwärtig in handelspolitischen. Verhältnissen herrscht --seinen Mcß-
handel Strolz aller natürlichen Vortheile beeinträchtigen kann. So viel wir uns
erinnern, waren die Leipziger Messen vor 183i eben in keinem besonders blü¬
henden Zustande, und sahen großen Jahrmärkten viel ähnlicher, als Weltmärkten,
und wir glauben sogar behaupten zu können, daß sich die Leipziger Ledermesse
viele Jahre lang bis zu Eintritt des Zollvereins in Lützen ausgehalten habe.
So leicht siud "geographische und anderweitige Vortheile" durch fteuudlichgesinnte
Nachbarn zu Nichte zu machen. Die Lage Leipzigs würde sich aber nach einer
Auflösung des Zollvereins noch viel schlimmer gestalten, als sie vor der Grün¬
dung desselben war. Die frühere Zerrüttung aller Verkehrsverhältnisse durch die
lange Kriegszeit und die darauf folgenden Nothjahre ließen die damaligen Zu¬
stände noch als eine Verbesserung der früheren erscheinen, und der Handel und
die Verhältnisse Leipzigs waren noch gar nicht nach der Beherrschung eines großen
Marktes zugeschnitten. Jetzt ist man dnrch sechzehnjähriger Gebrauch die Vor¬
theile eiues erweiterten Verkehrsfeldes gewohnt worden, der Meß- und Nicht-
meßhandel hat einen außerordentlichen Aufschwung genommen, der Werth der
Grundstücke ist außerordentlich gestiegen, ,der Wohlstand aller Klassen hat zuge¬
nommen, große Capitalien sind in Industriezweigen angelegt, die zu ihrem Ge¬
deihen das ganze Gebiet des Zollvereins bedürfen. Und dieser großartige Auf¬
schwung kommt nicht blos Leipzig zu Gute. Die Erhöhung des Wohlstands und
die außerordentliche Zunahme der Fremdenfrequenz vermehrt die Consumtions-
fähigkeit der Stadt, bietet dem ländlichen Grundbesitz in einem weiten Unikreis


Daß wegen der Abwesenheit dieser Vereinigung von günstigen Verhältnissen keine
andere Stadt in Deutschland ein so wichtiger Meßplatz wie Leipzig werden kann,
ist aber für diese Stadt ein sehr schlechter Trost, wenn in Folge des Zerfalls des
Zollvereins die Bedeutung seiner Messe sinkt. Das Gefühl der Schadenfreude
mag manchen Leuten wohlthuend sein, für materielle Verluste ist es jedenfalls ein
höchst unzureichender Ersatz. Was nun die geographischen Vortheile Leipzigs
betrifft, so ist es damit eine eigene Sache. Diese Vortheile sind zwar durch die
angelegten Eisenbahnen noch erhöht worden, aber dieselben Eisenbahnen haben
auch die Alleinherrschaft der einzelnen Verkehrswege gestürzt, da der beschleunigte
Transport einen Umweg von mehreren Meilen leichter erträglich macht, als früher,
und wir halten es durchaus uicht für eine Unmöglichkeit, die Handelsbewegung
zwischen dem Westen und Osten vermittelst der thüringisch-hallischen Bahn durch
eine noch zu suchende Verbindung mit der schlesischen Bahn ganz von Sachsen
abzulenken. Der Verkehr zwischen dem Norden und Süden würde schon durch
die bedrängte Lage, in welche die sächsische und süddeutsche Industrie dnrch die
Aufrichtung neuer Zollschranken mitten durch Deutschland geriethe, sehr bedeutend
abnehmen. Uebrigens weiß Leipzig aus früherer trauriger Erfahrung zu gut,
wie sehr ein Zollkrieg — vorzüglich wenn er mit der Leidenschaftlichkeit geführt
wird, die gegenwärtig in handelspolitischen. Verhältnissen herrscht —seinen Mcß-
handel Strolz aller natürlichen Vortheile beeinträchtigen kann. So viel wir uns
erinnern, waren die Leipziger Messen vor 183i eben in keinem besonders blü¬
henden Zustande, und sahen großen Jahrmärkten viel ähnlicher, als Weltmärkten,
und wir glauben sogar behaupten zu können, daß sich die Leipziger Ledermesse
viele Jahre lang bis zu Eintritt des Zollvereins in Lützen ausgehalten habe.
So leicht siud „geographische und anderweitige Vortheile" durch fteuudlichgesinnte
Nachbarn zu Nichte zu machen. Die Lage Leipzigs würde sich aber nach einer
Auflösung des Zollvereins noch viel schlimmer gestalten, als sie vor der Grün¬
dung desselben war. Die frühere Zerrüttung aller Verkehrsverhältnisse durch die
lange Kriegszeit und die darauf folgenden Nothjahre ließen die damaligen Zu¬
stände noch als eine Verbesserung der früheren erscheinen, und der Handel und
die Verhältnisse Leipzigs waren noch gar nicht nach der Beherrschung eines großen
Marktes zugeschnitten. Jetzt ist man dnrch sechzehnjähriger Gebrauch die Vor¬
theile eiues erweiterten Verkehrsfeldes gewohnt worden, der Meß- und Nicht-
meßhandel hat einen außerordentlichen Aufschwung genommen, der Werth der
Grundstücke ist außerordentlich gestiegen, ,der Wohlstand aller Klassen hat zuge¬
nommen, große Capitalien sind in Industriezweigen angelegt, die zu ihrem Ge¬
deihen das ganze Gebiet des Zollvereins bedürfen. Und dieser großartige Auf¬
schwung kommt nicht blos Leipzig zu Gute. Die Erhöhung des Wohlstands und
die außerordentliche Zunahme der Fremdenfrequenz vermehrt die Consumtions-
fähigkeit der Stadt, bietet dem ländlichen Grundbesitz in einem weiten Unikreis


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/76>, abgerufen am 22.12.2024.