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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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bedingen einen bei weitem geringeren Gebrauch von Jndustricproducten im engern
Sinne als in Norddeutschland. Dann gehören mehrere seiner Landstriche zu den
ärmsten in Deutschland, wie ja schon die Züge von Auswanderer", die wir
Leipziger fast täglich sehen, beweisen. Ferner ergänzen sich ihre Industrien nicht
gegenseitig, sondern concurriren mit einander, und mehrere sehr ausgedehnte Zweige
haben ihren Hauptmarkt im nördlichen Deutschland. Ihre bloße Nennung genügt
um ans ihre belangreiche Wichtigkeit aufmerksam zu machen. Der Weinbau vou
Nassau, Rheinpfalz und Rheinhessen gedeiht nur durch den Absatz seiner besseren
' Weine nach Norddeutschland; der Tabak in Süddeutschland hat die schlechten Sorten
des Nordens so gut wie verdrängt und geht in Massen nach Amerika; die großen
Spinnereien und Webereien Bayerns und Badens finden ihren Hauptabsatz in
Preußen; das Gleiche ist mit den Bijouterie- und kurzen Waaren, der Leder¬
fabrikation und der ganzen sächsischen Industrie der Fall. Selbst der bayersche
und schwäbische Käse, das Vieh aus Franken und Nassau hat seinen Hauptmarkt
nordwärts. Und alle diese Industrien spielen in dem-Verkehrsleben dieser Staaten
eine sehr bedeutende Rolle. Das allertraurigste Loos aber würde Sachsen zufallen.
Mehr als ein Viertel seiner Bewohner könnte gar -nicht existiren ohne eine In¬
dustrie, für die die freieste Verbindung mit den überseeischen Märkten eine Lebens¬
frage ist, und die nun vou ihrem bisherigen ZollvercinSmarkt die größere'und
wohlhabendere Hälfte aufgeben und mit der kleinern und ärmern vorlieb nehmen
soll, die selbst gleichartige Industrien zu ernähren hat. Und mit diesem verkleinerten
Handelsgebiet stieße es nur ans einer Breite von wenigen Meilen zusammen,
während es sonst rings von zollfeindlichcn Staaten eingeschlossen ist/ und seine
einzige Verbindung mit dem Hinterkante wäre auf einer Eisenbahn zu bewerk¬
stelligen, die mehrere Meilen durch zollfeindliches Gebiet geht! Und was sollte aus
dem Meßplatz Leipzig werden? Ein - Meßplatz am äußersten Rande des
Gebietes, von dössen Verkehr er der Mittelpunkt sein soll! Ein Tanschplatz
für den Weltverkehr, wenige Stunden vor dessen Thoren sich feindliche Schlag-
bäume erheben, -- welche-Absurdität! Gläubige Seelen lassen sich freilich mit der
Versicherung beruhigen, daß die natürlichen Wege des Weltverkehrs über Leipzig gehen,
und dienstbeflissene Federn finden es im höchsten Grade lächerlich, daß man an
anderen Orten, als in Leipzig, eine Messe anzulegen sich unterfangen will. DaS
wissen wir recht gut, daß sich ein neuer Meßplatz uicht leicht anlegen läßt; aber
eben so fest steht es, daß ein alter Meßplatz sich sehr rasch zu Grunde richten
läßt. Wahr ist es, Leipzigs geographische Lage eignet sich wie keine andere zu
einem Hauptplatz für deu Welthandel, so weit er sich ans den Straßen Bimien-
deutschlands bewegt; die Eisenbahnen haben die Vortheile dieser geographischen
Lage uoch erhöht, und durch das lange Bestehen der Messen haben sich mancherlei
den Meßverkehr besonders begünstigende Verhältnisse entwickelt, die sich aller¬
dings uicht künstlich schassen lassen, und die anderwärts nicht zu finden sind.


bedingen einen bei weitem geringeren Gebrauch von Jndustricproducten im engern
Sinne als in Norddeutschland. Dann gehören mehrere seiner Landstriche zu den
ärmsten in Deutschland, wie ja schon die Züge von Auswanderer», die wir
Leipziger fast täglich sehen, beweisen. Ferner ergänzen sich ihre Industrien nicht
gegenseitig, sondern concurriren mit einander, und mehrere sehr ausgedehnte Zweige
haben ihren Hauptmarkt im nördlichen Deutschland. Ihre bloße Nennung genügt
um ans ihre belangreiche Wichtigkeit aufmerksam zu machen. Der Weinbau vou
Nassau, Rheinpfalz und Rheinhessen gedeiht nur durch den Absatz seiner besseren
' Weine nach Norddeutschland; der Tabak in Süddeutschland hat die schlechten Sorten
des Nordens so gut wie verdrängt und geht in Massen nach Amerika; die großen
Spinnereien und Webereien Bayerns und Badens finden ihren Hauptabsatz in
Preußen; das Gleiche ist mit den Bijouterie- und kurzen Waaren, der Leder¬
fabrikation und der ganzen sächsischen Industrie der Fall. Selbst der bayersche
und schwäbische Käse, das Vieh aus Franken und Nassau hat seinen Hauptmarkt
nordwärts. Und alle diese Industrien spielen in dem-Verkehrsleben dieser Staaten
eine sehr bedeutende Rolle. Das allertraurigste Loos aber würde Sachsen zufallen.
Mehr als ein Viertel seiner Bewohner könnte gar -nicht existiren ohne eine In¬
dustrie, für die die freieste Verbindung mit den überseeischen Märkten eine Lebens¬
frage ist, und die nun vou ihrem bisherigen ZollvercinSmarkt die größere'und
wohlhabendere Hälfte aufgeben und mit der kleinern und ärmern vorlieb nehmen
soll, die selbst gleichartige Industrien zu ernähren hat. Und mit diesem verkleinerten
Handelsgebiet stieße es nur ans einer Breite von wenigen Meilen zusammen,
während es sonst rings von zollfeindlichcn Staaten eingeschlossen ist/ und seine
einzige Verbindung mit dem Hinterkante wäre auf einer Eisenbahn zu bewerk¬
stelligen, die mehrere Meilen durch zollfeindliches Gebiet geht! Und was sollte aus
dem Meßplatz Leipzig werden? Ein - Meßplatz am äußersten Rande des
Gebietes, von dössen Verkehr er der Mittelpunkt sein soll! Ein Tanschplatz
für den Weltverkehr, wenige Stunden vor dessen Thoren sich feindliche Schlag-
bäume erheben, — welche-Absurdität! Gläubige Seelen lassen sich freilich mit der
Versicherung beruhigen, daß die natürlichen Wege des Weltverkehrs über Leipzig gehen,
und dienstbeflissene Federn finden es im höchsten Grade lächerlich, daß man an
anderen Orten, als in Leipzig, eine Messe anzulegen sich unterfangen will. DaS
wissen wir recht gut, daß sich ein neuer Meßplatz uicht leicht anlegen läßt; aber
eben so fest steht es, daß ein alter Meßplatz sich sehr rasch zu Grunde richten
läßt. Wahr ist es, Leipzigs geographische Lage eignet sich wie keine andere zu
einem Hauptplatz für deu Welthandel, so weit er sich ans den Straßen Bimien-
deutschlands bewegt; die Eisenbahnen haben die Vortheile dieser geographischen
Lage uoch erhöht, und durch das lange Bestehen der Messen haben sich mancherlei
den Meßverkehr besonders begünstigende Verhältnisse entwickelt, die sich aller¬
dings uicht künstlich schassen lassen, und die anderwärts nicht zu finden sind.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/75>, abgerufen am 22.12.2024.