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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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auf, man könne die pikantesten Stellen ans dem Koran vortragen, nur dürfe das
Vaterunser und der Segen nicht fehlen, und der Bauer würde nichts Böses
denken. Als einst ein bequemer Pfarrer einen Sonntag um den andern dieselbe
Predigt vortrug, beschwerten sich endlich die Bauern beim Superintendenten, aber sie
waren nicht im Stande den Inhalt näher anzugeben, nnn bezeichneten sie uach
langem Nachsinnen die eine Rede als die Hirschpredigt, weil dieselbe mit den
Worten des Psalmisten: wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser ze^ begonnen
hatte. Bei Einführung der Agende rief ein patriotischer Pfarrer den Bauern
zu, wenn Euch der König statt dieses Buches einen Stiefelschaft schickte, so
müßtet ihr ihn annehmen und man nahm das schwarze Buch mit seinem goldenen
Schnitte ruhig entgegen. So gefügsam diese Leute und so tolerant sie gegen
anders Gläubige sind, so duldsam sind sie auch gegen die Geistlichen, wenn diese
selbst durch ihren Wandel Anstoß geben. Er vergiebt uns unsre Sünden, ver¬
geben wir ihm die seinigen, ist dann das Beruhiguugswort. Nur wenn der Geist¬
liche zu sehr uach der Wolle seine'r Heerde die Hände ausstreckt, sich habgierig
zeigt, erregt er Widerwillen und dauernde Abneigung.

In der Kindererziehung nimmt der Bauer uoch eine niedrige Stufe ein;
er verwendet nicht mehr aus deren Ausbildung wie der ärmste Katenmann, und
nur höchst selten wagt er es ans Zureden des Predigers oder Schullehrers einen
seiner Sohne in die Stadt zu schicken. Die Aeltern treten bei guten Jahren
schon ihren Hof an den ältesten Sohn oder Schwiegersohn ab, und beschließen
ihre Tage im Speicher (Spinker), einer zum Bauerhof gehörige" kleinen Woh¬
nung. Da sie el" nicht unbedeutendes Deputat an Korn, Holz, Flachs, baarem
Gelde erhalten, leben sie meist ihren Kindern zu lange, was ein schlechter Zug
im Charakter des Bauer" ist. Wenn bei den Nachfolgern emeritirter Beamten
sich eine gleiche Stimmung zu zeigen pflegt, so fehlt hier das verwandtschaftliche
Band und die Erscheinung ist weniger widerlich.

Gehen wir zu den großen Grundbesitzern über, so ist an reichen grundbe-
sitzenden Familien, wie wir sie in Böhmen und Schlesien finden, ein großer Mangel,
da zwar die meisten alten schloßgesessenen Geschlechter, die Flemminge, die Bvrcken,
die v. Dewitz, die v. Wedell, die v. d. Oster und Blücher, die Mauteufel, die
Glaseuappe noch' heute bestehen, ihr Besitz aber sehr zerstückelt ist. Nach diesen
hauptsächlich mit Grundbesitz einst gesegnet gewesenen Familien gab es einen
Dcwitzer, einen Flemming'schen, einen Osten und Blücher'schen, einen Berater und
einen Wedeller Kreis. Die Bvrckeu das mächtigste Geschlecht unter den Schloß-
gesesseneu Hinterpommerns, ursprünglich eine nordische Familie, leistete die zahl¬
reichste Heeresfolge, besaß zwischen SO bis 60 Dörfer, viele Burgen, mehrere
Städte und hatte einige adelige Familien zu Afterlehuöleuten, die ihnen Heeres¬
folge leisten mußten. Durch den letzten französischen Krieg ist dieses Geschlecht
wie die übrigen heruntergekommen, und wer die Grosse einer Besitzung mit nach


auf, man könne die pikantesten Stellen ans dem Koran vortragen, nur dürfe das
Vaterunser und der Segen nicht fehlen, und der Bauer würde nichts Böses
denken. Als einst ein bequemer Pfarrer einen Sonntag um den andern dieselbe
Predigt vortrug, beschwerten sich endlich die Bauern beim Superintendenten, aber sie
waren nicht im Stande den Inhalt näher anzugeben, nnn bezeichneten sie uach
langem Nachsinnen die eine Rede als die Hirschpredigt, weil dieselbe mit den
Worten des Psalmisten: wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser ze^ begonnen
hatte. Bei Einführung der Agende rief ein patriotischer Pfarrer den Bauern
zu, wenn Euch der König statt dieses Buches einen Stiefelschaft schickte, so
müßtet ihr ihn annehmen und man nahm das schwarze Buch mit seinem goldenen
Schnitte ruhig entgegen. So gefügsam diese Leute und so tolerant sie gegen
anders Gläubige sind, so duldsam sind sie auch gegen die Geistlichen, wenn diese
selbst durch ihren Wandel Anstoß geben. Er vergiebt uns unsre Sünden, ver¬
geben wir ihm die seinigen, ist dann das Beruhiguugswort. Nur wenn der Geist¬
liche zu sehr uach der Wolle seine'r Heerde die Hände ausstreckt, sich habgierig
zeigt, erregt er Widerwillen und dauernde Abneigung.

In der Kindererziehung nimmt der Bauer uoch eine niedrige Stufe ein;
er verwendet nicht mehr aus deren Ausbildung wie der ärmste Katenmann, und
nur höchst selten wagt er es ans Zureden des Predigers oder Schullehrers einen
seiner Sohne in die Stadt zu schicken. Die Aeltern treten bei guten Jahren
schon ihren Hof an den ältesten Sohn oder Schwiegersohn ab, und beschließen
ihre Tage im Speicher (Spinker), einer zum Bauerhof gehörige« kleinen Woh¬
nung. Da sie el» nicht unbedeutendes Deputat an Korn, Holz, Flachs, baarem
Gelde erhalten, leben sie meist ihren Kindern zu lange, was ein schlechter Zug
im Charakter des Bauer» ist. Wenn bei den Nachfolgern emeritirter Beamten
sich eine gleiche Stimmung zu zeigen pflegt, so fehlt hier das verwandtschaftliche
Band und die Erscheinung ist weniger widerlich.

Gehen wir zu den großen Grundbesitzern über, so ist an reichen grundbe-
sitzenden Familien, wie wir sie in Böhmen und Schlesien finden, ein großer Mangel,
da zwar die meisten alten schloßgesessenen Geschlechter, die Flemminge, die Bvrcken,
die v. Dewitz, die v. Wedell, die v. d. Oster und Blücher, die Mauteufel, die
Glaseuappe noch' heute bestehen, ihr Besitz aber sehr zerstückelt ist. Nach diesen
hauptsächlich mit Grundbesitz einst gesegnet gewesenen Familien gab es einen
Dcwitzer, einen Flemming'schen, einen Osten und Blücher'schen, einen Berater und
einen Wedeller Kreis. Die Bvrckeu das mächtigste Geschlecht unter den Schloß-
gesesseneu Hinterpommerns, ursprünglich eine nordische Familie, leistete die zahl¬
reichste Heeresfolge, besaß zwischen SO bis 60 Dörfer, viele Burgen, mehrere
Städte und hatte einige adelige Familien zu Afterlehuöleuten, die ihnen Heeres¬
folge leisten mußten. Durch den letzten französischen Krieg ist dieses Geschlecht
wie die übrigen heruntergekommen, und wer die Grosse einer Besitzung mit nach


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/70>, abgerufen am 22.12.2024.