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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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seine Pferde ab, ritt nach Hanse und legte sich nieder, um nicht wieder aufzu-
stehn. Der Spaß hatte ernstliche Folgen, aber die Stimme von "boaven" war
nun wieder gehört worden, ohne daß MN ihren Ursprung kannte. Der gesunde
Sinn des Bauern bewahrt ihn meist vor dem mordus pieüswruin, die im
Wunderbaren ihre Stütze findet. Ist er jedoch erst nach dieser Seite gekapert
und festgemacht, dann giebt es kein verdrehteres und uulcnksameres Wesen. Er
schmeckt im Abendmahle den Leib und das Blut Christi mit der Zunge, er schickt
seine Kiuder uicht mehr in die unirte Schule, weil sie dort wie die Gänse zischen
(lauiiren) lernen, er geht nicht mehr zur Kirche, weil der Pastor unser Vater
statt Vater unser betet, weil der Teufel bei der Taufe nicht mehr ausgetrieben
und beim Abendmahle die Bekenntnißformel mit dem Worte Christi ohne den
lutherischen Zusatz ausgesprochen wird. Wer Interesse daran findet, solchen
Querkopf wieder zum gesunden Gebrauche seiner Vernunft zu bewegen, würde
bald von den Schwierigkeiten solchen Unternehmens zurückschrecken.

Der Gottesdienst gilt sonst als ein Werk der Ordnung, die Kirche wird
vom Gottesacker umgeben, ganze Generationen seit Gründung des Dorfes liegen
dort eng über einander, und die verblichenen Kränze und Todtenkronen längs
der Wände erinnern besonders an die Verstorbenen. Wer an dem Krankett- und
Sterbebette der sogenannten vornehmen Stände gestanden, weiß nur zu gut,
wie man die Kranken noch bis zum letzten Augenblicke zu hintergehen sucht, die
Weichlichkeit läßt unter den sichtbarsten Anzeichen den Tod nicht aufkommen,
wenn das Auge schon brechen will, hat der Arzt noch ganz gewiß die Genesung
des Patienten versprochen. Wie anders erscheint das Sterbebett eines pommer-
schen Bauern.' Aerztliche Hilfe wird meist nur in der Nähe von Städten bean-
sprucht, die Bauerfrau hat für sich und ihren Mann schon das Todtenhemde in
der Lade liegen, kramt sie in derselben, so holt sie auch ihr zukünftiges'Leichen-
gewand hervor, nud bestimmt außer eineir recht vollkommenen Sarge wol
noch den Gesang, mit dem sie zur Erde gebracht sein will. Ist die Krankheit
wirklich gefährlich, so sprechen dies die Angehörigen unbefangen aus, der Kranke
erinnert sich, wie alt Vater und Mutter geworden, wie und zu welcher Zeit sie
gestorben sind, bestellt einige Grüße, und nun wird er wie ein Held ruhig und
gefaßt zu seinen Vätern gesammelt. Starb Jemand im Kriege, so machte mau
nicht viel Aufhebens davon, während die Junker noch nach Jahrhunderten zu
prahlen pflegen, wenn einer ihrer Ahnen eine Wunde erhalten oder geblieben ist.

Am Geistlichen liebt der Bauer besonders die Stimme und bei Beurtheilungen
von geistlichen Leistungen macht man besonders diese geltend, weshalb bei Probe--
predigen der am lautesten schreiende Kandidat am besten zu gefallen pflegt.
Dem Inhalte der Predigten folgt der Bauer selten, bei Nennung des Namens
Jesu verbeugt er sich, und glaubt, daß der Herr Pfarrer seine sämmtlichen Reden
von der Universität fertig mitgebracht habe. Ein Pastor stellte die Behauptung


Grenzboten. III. 8 .

seine Pferde ab, ritt nach Hanse und legte sich nieder, um nicht wieder aufzu-
stehn. Der Spaß hatte ernstliche Folgen, aber die Stimme von „boaven" war
nun wieder gehört worden, ohne daß MN ihren Ursprung kannte. Der gesunde
Sinn des Bauern bewahrt ihn meist vor dem mordus pieüswruin, die im
Wunderbaren ihre Stütze findet. Ist er jedoch erst nach dieser Seite gekapert
und festgemacht, dann giebt es kein verdrehteres und uulcnksameres Wesen. Er
schmeckt im Abendmahle den Leib und das Blut Christi mit der Zunge, er schickt
seine Kiuder uicht mehr in die unirte Schule, weil sie dort wie die Gänse zischen
(lauiiren) lernen, er geht nicht mehr zur Kirche, weil der Pastor unser Vater
statt Vater unser betet, weil der Teufel bei der Taufe nicht mehr ausgetrieben
und beim Abendmahle die Bekenntnißformel mit dem Worte Christi ohne den
lutherischen Zusatz ausgesprochen wird. Wer Interesse daran findet, solchen
Querkopf wieder zum gesunden Gebrauche seiner Vernunft zu bewegen, würde
bald von den Schwierigkeiten solchen Unternehmens zurückschrecken.

Der Gottesdienst gilt sonst als ein Werk der Ordnung, die Kirche wird
vom Gottesacker umgeben, ganze Generationen seit Gründung des Dorfes liegen
dort eng über einander, und die verblichenen Kränze und Todtenkronen längs
der Wände erinnern besonders an die Verstorbenen. Wer an dem Krankett- und
Sterbebette der sogenannten vornehmen Stände gestanden, weiß nur zu gut,
wie man die Kranken noch bis zum letzten Augenblicke zu hintergehen sucht, die
Weichlichkeit läßt unter den sichtbarsten Anzeichen den Tod nicht aufkommen,
wenn das Auge schon brechen will, hat der Arzt noch ganz gewiß die Genesung
des Patienten versprochen. Wie anders erscheint das Sterbebett eines pommer-
schen Bauern.' Aerztliche Hilfe wird meist nur in der Nähe von Städten bean-
sprucht, die Bauerfrau hat für sich und ihren Mann schon das Todtenhemde in
der Lade liegen, kramt sie in derselben, so holt sie auch ihr zukünftiges'Leichen-
gewand hervor, nud bestimmt außer eineir recht vollkommenen Sarge wol
noch den Gesang, mit dem sie zur Erde gebracht sein will. Ist die Krankheit
wirklich gefährlich, so sprechen dies die Angehörigen unbefangen aus, der Kranke
erinnert sich, wie alt Vater und Mutter geworden, wie und zu welcher Zeit sie
gestorben sind, bestellt einige Grüße, und nun wird er wie ein Held ruhig und
gefaßt zu seinen Vätern gesammelt. Starb Jemand im Kriege, so machte mau
nicht viel Aufhebens davon, während die Junker noch nach Jahrhunderten zu
prahlen pflegen, wenn einer ihrer Ahnen eine Wunde erhalten oder geblieben ist.

Am Geistlichen liebt der Bauer besonders die Stimme und bei Beurtheilungen
von geistlichen Leistungen macht man besonders diese geltend, weshalb bei Probe--
predigen der am lautesten schreiende Kandidat am besten zu gefallen pflegt.
Dem Inhalte der Predigten folgt der Bauer selten, bei Nennung des Namens
Jesu verbeugt er sich, und glaubt, daß der Herr Pfarrer seine sämmtlichen Reden
von der Universität fertig mitgebracht habe. Ein Pastor stellte die Behauptung


Grenzboten. III. 8 .
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[0069] seine Pferde ab, ritt nach Hanse und legte sich nieder, um nicht wieder aufzu- stehn. Der Spaß hatte ernstliche Folgen, aber die Stimme von „boaven" war nun wieder gehört worden, ohne daß MN ihren Ursprung kannte. Der gesunde Sinn des Bauern bewahrt ihn meist vor dem mordus pieüswruin, die im Wunderbaren ihre Stütze findet. Ist er jedoch erst nach dieser Seite gekapert und festgemacht, dann giebt es kein verdrehteres und uulcnksameres Wesen. Er schmeckt im Abendmahle den Leib und das Blut Christi mit der Zunge, er schickt seine Kiuder uicht mehr in die unirte Schule, weil sie dort wie die Gänse zischen (lauiiren) lernen, er geht nicht mehr zur Kirche, weil der Pastor unser Vater statt Vater unser betet, weil der Teufel bei der Taufe nicht mehr ausgetrieben und beim Abendmahle die Bekenntnißformel mit dem Worte Christi ohne den lutherischen Zusatz ausgesprochen wird. Wer Interesse daran findet, solchen Querkopf wieder zum gesunden Gebrauche seiner Vernunft zu bewegen, würde bald von den Schwierigkeiten solchen Unternehmens zurückschrecken. Der Gottesdienst gilt sonst als ein Werk der Ordnung, die Kirche wird vom Gottesacker umgeben, ganze Generationen seit Gründung des Dorfes liegen dort eng über einander, und die verblichenen Kränze und Todtenkronen längs der Wände erinnern besonders an die Verstorbenen. Wer an dem Krankett- und Sterbebette der sogenannten vornehmen Stände gestanden, weiß nur zu gut, wie man die Kranken noch bis zum letzten Augenblicke zu hintergehen sucht, die Weichlichkeit läßt unter den sichtbarsten Anzeichen den Tod nicht aufkommen, wenn das Auge schon brechen will, hat der Arzt noch ganz gewiß die Genesung des Patienten versprochen. Wie anders erscheint das Sterbebett eines pommer- schen Bauern.' Aerztliche Hilfe wird meist nur in der Nähe von Städten bean- sprucht, die Bauerfrau hat für sich und ihren Mann schon das Todtenhemde in der Lade liegen, kramt sie in derselben, so holt sie auch ihr zukünftiges'Leichen- gewand hervor, nud bestimmt außer eineir recht vollkommenen Sarge wol noch den Gesang, mit dem sie zur Erde gebracht sein will. Ist die Krankheit wirklich gefährlich, so sprechen dies die Angehörigen unbefangen aus, der Kranke erinnert sich, wie alt Vater und Mutter geworden, wie und zu welcher Zeit sie gestorben sind, bestellt einige Grüße, und nun wird er wie ein Held ruhig und gefaßt zu seinen Vätern gesammelt. Starb Jemand im Kriege, so machte mau nicht viel Aufhebens davon, während die Junker noch nach Jahrhunderten zu prahlen pflegen, wenn einer ihrer Ahnen eine Wunde erhalten oder geblieben ist. Am Geistlichen liebt der Bauer besonders die Stimme und bei Beurtheilungen von geistlichen Leistungen macht man besonders diese geltend, weshalb bei Probe-- predigen der am lautesten schreiende Kandidat am besten zu gefallen pflegt. Dem Inhalte der Predigten folgt der Bauer selten, bei Nennung des Namens Jesu verbeugt er sich, und glaubt, daß der Herr Pfarrer seine sämmtlichen Reden von der Universität fertig mitgebracht habe. Ein Pastor stellte die Behauptung Grenzboten. III. 8 .

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/69>, abgerufen am 22.12.2024.