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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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/auf der Dorfstraße an Pfühlen, Bächen und Seen fand, sieht man heute nicht
mehr, da die Gemeinde-Weiden getheilt und die Beaufsichtigung und Hütung
der Gans auf einzelnen Feldern zu umständlich ist. In Vorpommern sehen wir
noch viele Gänse, in Hinterpommern ziehen die kleineren Leute noch die meisten
auf, da sie an den Gutsbesitzer, an den Prediger bei Einsegnungen solche zu
liefern haben. Seit zwanzig Jahren hat sich der Preis einer magern lebendigen
Gans fast um zwei Drittel erhöht. Nächst den Dorshunden, welche einen Knüttel
zwischen den Beinen führen, wird man von diesen Gänsen zuerst in den Dörfern
begrüßt, und im Frühjahre, wo die.Zuchtgänse mit ihren Gässeln auf der Dorf¬
straße sich aufhalten, sieht man um diese zugleich die ganze kleine Dorfjugend
versammelt, die mit den älteren Geschwistern die junge Brut bewachen müssen.
Die kleinen Kinder kriechen oft ohne Strümpfe mit einem kleinen Unterrocke auf
dem Boden herum, aber die rothen Backen beweisen, daß Abhärtung gegen die
Einflüsse der Witterung von Jugend auf geübt wird. Mancher dieser FlachS-
köpfe kriecht auf allen Vieren umher, und der Blick zeigt nicht selten an, daß
Vater und Mutter noch nicht Zeit gehabt haben, den Geist durch Fragen, Vor¬
sprechen ze. zu beschäftigen. Der Sand ist das Hauptspielwerk dieser Kinder,
in dein sie allerlei Figuren bilden, bis allmählich der Schulmeister sie mit dem Ka¬
techismus, dem Tafelrechnen und Schreiben bekannt macht. In der Kirschenernte
fanden wir einst die ganze Dorfjugend am Abend um die gefüllten Körbe stehen,
die sie für den Gutsbesitzer hatten pflücken müssen. Die Backen und der Mund
waren vollständig mit Kirschsaft geröthet, so daß man leicht bemerken konnte,
welchen Festtag die Kinder gefeiert hatten. Die älteren Kinder bis zum vier¬
zehnten Jahre, müssen die kleineren warten und beaufsichtigen, und sonstige Dienste
verrichten. Nicht selten sahen wir die Kinder einer Familie im Walde dürres
Holz lesen, das dann ans einer Karre mit Mühe nach Hause gebracht wurde.
Solch' Dorsjunge von acht Jahren wirst meist einen Stadtknaben, der vier bis
sechs Jahre älter ist; Arbeit ist sein frühes Loos, sieht man aber den Lehrapparat
manches Schulhauses, ein zerbrochenes Federmesser, eine vergclbte Karte von
Palästina, nebst einigen frischgeschnittencn Haselstöcken, so macht man bald den
Schluß, welche Stärke der Geist erhalten muß.

Das Aeußere der pommerschen Dörfer ist nach dem Wohlstande, der Acker¬
fläche verschieden. Am meisten fallen die Güter mit ihren großen Wirthschafts¬
gebäuden, dem Brennerei-Schornsteine, dein Herrnhause in die Augen, die kleinen
Tagelöhner-Wohnungen heben den Contrast. Bei der großen Linnenfabrikation
findet man an jedem Dorfe Bleichen, deren weiße Streifen im grünen Grase am
Wasser sich malerisch ausnehmen. In Vorpommern fällt es namentlich unange¬
nehm aus, daß der größere Grundbesitz den bäuerlichen immer mehr verschlungen
hat. Wo Gutsbesitzer und Bauern in einem Dorfe wohnen, da endete in
vielen Dörfern das nachbarliche Zusammenwohnen damit, daß die Bauerhöfe in


/auf der Dorfstraße an Pfühlen, Bächen und Seen fand, sieht man heute nicht
mehr, da die Gemeinde-Weiden getheilt und die Beaufsichtigung und Hütung
der Gans auf einzelnen Feldern zu umständlich ist. In Vorpommern sehen wir
noch viele Gänse, in Hinterpommern ziehen die kleineren Leute noch die meisten
auf, da sie an den Gutsbesitzer, an den Prediger bei Einsegnungen solche zu
liefern haben. Seit zwanzig Jahren hat sich der Preis einer magern lebendigen
Gans fast um zwei Drittel erhöht. Nächst den Dorshunden, welche einen Knüttel
zwischen den Beinen führen, wird man von diesen Gänsen zuerst in den Dörfern
begrüßt, und im Frühjahre, wo die.Zuchtgänse mit ihren Gässeln auf der Dorf¬
straße sich aufhalten, sieht man um diese zugleich die ganze kleine Dorfjugend
versammelt, die mit den älteren Geschwistern die junge Brut bewachen müssen.
Die kleinen Kinder kriechen oft ohne Strümpfe mit einem kleinen Unterrocke auf
dem Boden herum, aber die rothen Backen beweisen, daß Abhärtung gegen die
Einflüsse der Witterung von Jugend auf geübt wird. Mancher dieser FlachS-
köpfe kriecht auf allen Vieren umher, und der Blick zeigt nicht selten an, daß
Vater und Mutter noch nicht Zeit gehabt haben, den Geist durch Fragen, Vor¬
sprechen ze. zu beschäftigen. Der Sand ist das Hauptspielwerk dieser Kinder,
in dein sie allerlei Figuren bilden, bis allmählich der Schulmeister sie mit dem Ka¬
techismus, dem Tafelrechnen und Schreiben bekannt macht. In der Kirschenernte
fanden wir einst die ganze Dorfjugend am Abend um die gefüllten Körbe stehen,
die sie für den Gutsbesitzer hatten pflücken müssen. Die Backen und der Mund
waren vollständig mit Kirschsaft geröthet, so daß man leicht bemerken konnte,
welchen Festtag die Kinder gefeiert hatten. Die älteren Kinder bis zum vier¬
zehnten Jahre, müssen die kleineren warten und beaufsichtigen, und sonstige Dienste
verrichten. Nicht selten sahen wir die Kinder einer Familie im Walde dürres
Holz lesen, das dann ans einer Karre mit Mühe nach Hause gebracht wurde.
Solch' Dorsjunge von acht Jahren wirst meist einen Stadtknaben, der vier bis
sechs Jahre älter ist; Arbeit ist sein frühes Loos, sieht man aber den Lehrapparat
manches Schulhauses, ein zerbrochenes Federmesser, eine vergclbte Karte von
Palästina, nebst einigen frischgeschnittencn Haselstöcken, so macht man bald den
Schluß, welche Stärke der Geist erhalten muß.

Das Aeußere der pommerschen Dörfer ist nach dem Wohlstande, der Acker¬
fläche verschieden. Am meisten fallen die Güter mit ihren großen Wirthschafts¬
gebäuden, dem Brennerei-Schornsteine, dein Herrnhause in die Augen, die kleinen
Tagelöhner-Wohnungen heben den Contrast. Bei der großen Linnenfabrikation
findet man an jedem Dorfe Bleichen, deren weiße Streifen im grünen Grase am
Wasser sich malerisch ausnehmen. In Vorpommern fällt es namentlich unange¬
nehm aus, daß der größere Grundbesitz den bäuerlichen immer mehr verschlungen
hat. Wo Gutsbesitzer und Bauern in einem Dorfe wohnen, da endete in
vielen Dörfern das nachbarliche Zusammenwohnen damit, daß die Bauerhöfe in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/65>, abgerufen am 22.12.2024.