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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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so ick (soll ich), weeß nich (weiß nicht) pflegte in anderen Provinzen einen komi¬
schen Eindruck zu machen, wenigstens machten wir diese Erfahrung in Schlesien,
wo ein Pommer mit diesem provinziell-localen Deutsch mehrere Stunden eine
Gesellschaft angenehm erheiterte.

Das Platt-Deutsche ist zuerst nach der Scheidung der Provinz in Vor- und
Hinterpommern, nach den Flußgrenzen, selbst nach Dörfern, die kaum eine Pfeife
Tabak oder einen Hundebleff auseinander liegen, verschieden. Auf Rügen in
Neuvorpommern bis zur Peene spricht Jeder ohne Ausnahme, wie in Mecklen¬
burg, am liebsten platt, aber dieses Platt ist rund, leicht rollend, behend, gewandt,
traulich und gemüthlich, während das hiuterpommersche Platt breit/ gedehnt, voll,
trage klingt. In jenem arbeiten Zunge und Lippe, in diesem Brust, Kehle und
Kinnbacken. Der Vorpommer sagt de, Pierd, Steen, Koh, klook, der Hiuter-
pommer dei, Peird, Steihn, Kaub, klauk (der, Pferd, Stein, Kuh, klug). Be¬
kannt ist, daß erst mit der lutherischen Bibelübersetzung, den hochdeutschen Ge¬
sangbüchern und Kalendern der hochdeutsche Dialekt auch auf dem Lande sich
verbreitete; da in demselben gepredigt, unterrichtet und Recht gesprochen wird, so
hält ihn der Landbewohner für feierlicher, obwol er sich selber nur schwer darin
ausdrücken kann. Auf dem platten Lande gehören die Lieder durchschnittlich dem
hochdeutschen Dialekt an, während Sagen und Märchen in Platt sich erhalten
haben. Das Hochdeutsche gilt aus dem Lande wie fremdes Gold und Silber¬
geld, das der Landmann erst in plattdeutsche Scheidemünze verwandeln muß.
Richter ans fremden Provinzen nach Pommern versetzt, können sich nur schwer den
Bauern verständlich machen, bei Verhören und Zeugenaussagen sehen wir oft die
Verhandlung stocken, weil Richter und Zeugen einander nicht verstanden. Auch
von der hochdeutschen Predigt behält der Dorfbewohner meist nur die angeführten
Bibelsprüche und die handgreiflichsten Bilder, die Sprache mit abstracten Schnl-
ansdrücken geht über seinen Gesichtskreis hinaus, eine Rede in seiner eigenen
Sprache würde ihn ganz anders aufmerken lassen. Das breiteste hiuterpommersche
Platt fanden wir in den Dörfern Ball und Rehwinkel, deren Bewohner Vieh¬
handel treiben und Holzwaaren verfertigen. Der verstorbene Pfarrer Meinhold,
Verfasser der Bernstcinhexe', war dort im Amte, aber mit seinem Hochdeutschen
konnte er eben keinen Hund hinter dem Ösen hervorlocken.

Die pommerschen Dörfer haben seit der Aufhebung der Leibeigenschaft, seit
der. Verbesserung der Viehzucht und Landwirthschaft, überhaupt sich wesentlich ver¬
ändert. Damals meist verfallene Gebäude, ohne Schornsteine, hohe, schwer
herabhängende, mit Moos bewachsene Strohdächer, die Wände ohne Anstrich,
während jetzt die angestrichenen Wände von Tagelöhner-Wohnungen schon ein
freundlicheres And gewähren. Freilich ist die Farbe nicht das Wesentliche, aber
sie verräth doch schon einen gewissen Sinn für das Aeußere, das eine Folge von
verbesserter Lage ist. Die vielen Gänse, welche man sonst auf den. Feldern und


so ick (soll ich), weeß nich (weiß nicht) pflegte in anderen Provinzen einen komi¬
schen Eindruck zu machen, wenigstens machten wir diese Erfahrung in Schlesien,
wo ein Pommer mit diesem provinziell-localen Deutsch mehrere Stunden eine
Gesellschaft angenehm erheiterte.

Das Platt-Deutsche ist zuerst nach der Scheidung der Provinz in Vor- und
Hinterpommern, nach den Flußgrenzen, selbst nach Dörfern, die kaum eine Pfeife
Tabak oder einen Hundebleff auseinander liegen, verschieden. Auf Rügen in
Neuvorpommern bis zur Peene spricht Jeder ohne Ausnahme, wie in Mecklen¬
burg, am liebsten platt, aber dieses Platt ist rund, leicht rollend, behend, gewandt,
traulich und gemüthlich, während das hiuterpommersche Platt breit/ gedehnt, voll,
trage klingt. In jenem arbeiten Zunge und Lippe, in diesem Brust, Kehle und
Kinnbacken. Der Vorpommer sagt de, Pierd, Steen, Koh, klook, der Hiuter-
pommer dei, Peird, Steihn, Kaub, klauk (der, Pferd, Stein, Kuh, klug). Be¬
kannt ist, daß erst mit der lutherischen Bibelübersetzung, den hochdeutschen Ge¬
sangbüchern und Kalendern der hochdeutsche Dialekt auch auf dem Lande sich
verbreitete; da in demselben gepredigt, unterrichtet und Recht gesprochen wird, so
hält ihn der Landbewohner für feierlicher, obwol er sich selber nur schwer darin
ausdrücken kann. Auf dem platten Lande gehören die Lieder durchschnittlich dem
hochdeutschen Dialekt an, während Sagen und Märchen in Platt sich erhalten
haben. Das Hochdeutsche gilt aus dem Lande wie fremdes Gold und Silber¬
geld, das der Landmann erst in plattdeutsche Scheidemünze verwandeln muß.
Richter ans fremden Provinzen nach Pommern versetzt, können sich nur schwer den
Bauern verständlich machen, bei Verhören und Zeugenaussagen sehen wir oft die
Verhandlung stocken, weil Richter und Zeugen einander nicht verstanden. Auch
von der hochdeutschen Predigt behält der Dorfbewohner meist nur die angeführten
Bibelsprüche und die handgreiflichsten Bilder, die Sprache mit abstracten Schnl-
ansdrücken geht über seinen Gesichtskreis hinaus, eine Rede in seiner eigenen
Sprache würde ihn ganz anders aufmerken lassen. Das breiteste hiuterpommersche
Platt fanden wir in den Dörfern Ball und Rehwinkel, deren Bewohner Vieh¬
handel treiben und Holzwaaren verfertigen. Der verstorbene Pfarrer Meinhold,
Verfasser der Bernstcinhexe', war dort im Amte, aber mit seinem Hochdeutschen
konnte er eben keinen Hund hinter dem Ösen hervorlocken.

Die pommerschen Dörfer haben seit der Aufhebung der Leibeigenschaft, seit
der. Verbesserung der Viehzucht und Landwirthschaft, überhaupt sich wesentlich ver¬
ändert. Damals meist verfallene Gebäude, ohne Schornsteine, hohe, schwer
herabhängende, mit Moos bewachsene Strohdächer, die Wände ohne Anstrich,
während jetzt die angestrichenen Wände von Tagelöhner-Wohnungen schon ein
freundlicheres And gewähren. Freilich ist die Farbe nicht das Wesentliche, aber
sie verräth doch schon einen gewissen Sinn für das Aeußere, das eine Folge von
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/64>, abgerufen am 22.12.2024.