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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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haben hier vor allen Dingen Schumann'ö Lieder vor Angen, die trotz ihrer künst¬
lerischen Schönheit, trotz ihrer Fülle von Geist und Empfindung, doch immer das
Gefühl in uns erregen: noch einen Schritt weiter, und mit der Musik ist es zu
Ende/ Wir können diesen Punkt natürlich hier nur ganz oberflächlich berühren,
und fügen nur die Bemerkung hinzu, daß Uhland's Poesie dieser Art Musik
nicht nur großen Vorschub geleistet hat, sondern in gewissem Sinn ihr Vorbild
war. Wir denken hier freilich zunächst an solche Lieder, in denen das Verhalten
des Gefühls unmittelbar hervortritt (z. B. "Man hat mir nicht den Rock zerrissen,
es wäre auch Schade um das Kleid n. s. w.") aber ein ähnlicher Zug der Resig¬
nation breitet sich, wenn auch nnr wie ein leichter Flor, fast über alle seine Lieder.
Sie sehen unscheinbar aus, "ut doch kann man sich dahinter allerlei denken. So
liegt es denn nur zu nahe, daß der Komponist diesen Nebengedanken auszuführen
sucht, und dadurch wird der Charakter des Liedes vollständig aufgehoben.

Man könnte die Einwirkung Uhland's auf die bildende Kunst fast eben so weit
ausdehnen, oder wenn mau strenger sei" wollte, man müßte die analogen Erscheinun¬
gen in der Poesie und in der Plastik aus derselben Quelle herleiten, woraus dann eine
Wechselwirkung nicht ausbleiben könnte. Wir beziehen uns hier ans die Düssel¬
dorfer Genremalerei, die übrigens nicht' bei kleinen Bildchen stehen bleibt, sondern
sich auch ans große, angeblich historische Gemälde ausdehnt, wo sie geradezu un¬
erträglich wird. Die Genremalerei hat ihre wesentliche Berechtigung in der schar¬
fen Beobachtung des Kleinlebens, wie sie bei den Holländern in so reichem Maße
vorhanden war, und wie sie bei neueren französischen Zeichnern, z. B. bei Gavarnh,
eine so unerschöpfliche Fülle von komischen Darstellungen hervorruft. Bei uns
versteht man aber in neuerer Zeit das Genre anders. Man idealisirt die Natur,
d. h. mau setzt sie zu einem bloßen Träger irgend einer sinnigen Idee, oder
einer Empfindung, oder einer Stimmung herab. Diese neueren Genrebilder haben
zu der Natur ungefähr das nämliche Verhältniß, wie Uhland's Lieder zu ihren
echten Quellen, den Volksliedern. Was sich aber in der Poesie rechtfertigen läßt,
wird in der bildenden Kunst, die mit dem Leben und mit der Bewegung steht
und fällt, zur unerträglichen Geschmacklosigkeit. Diese reflectirte Kindlichkeit,
diese stereotype Manier des Gemüths, diese Coquetterie mit frommen, nichtssa¬
genden Gesichtern und theatralisch gedachten Stellungen ist eine eben solche Ver-
irrung der Kunst, wie auf der andern Seite das Haschen nach Contrasten, na¬
mentlich bei den französischen Malern. Die Virtuosität in kleinen, niedlichen
Phrasen, in leblosen Arabesken, hat sich über sämmliche Künste verbreitet, und
wenn das lange so fortgeht, so werden wir zuletzt nur noch für den Putz des
Nippestisches arbeiten können.

Was von Uhland gilt, trifft seine Nachahmer in noch viel höherem Grade.
Justinus Kerner, Schwab, Geibel, Eichendvrf, Chamisso, Herwegh n. s. w, haben
im Einzelnen viele recht hübsche Sachen ersonnen, aber kein Einziger ist im Stand'e


haben hier vor allen Dingen Schumann'ö Lieder vor Angen, die trotz ihrer künst¬
lerischen Schönheit, trotz ihrer Fülle von Geist und Empfindung, doch immer das
Gefühl in uns erregen: noch einen Schritt weiter, und mit der Musik ist es zu
Ende/ Wir können diesen Punkt natürlich hier nur ganz oberflächlich berühren,
und fügen nur die Bemerkung hinzu, daß Uhland's Poesie dieser Art Musik
nicht nur großen Vorschub geleistet hat, sondern in gewissem Sinn ihr Vorbild
war. Wir denken hier freilich zunächst an solche Lieder, in denen das Verhalten
des Gefühls unmittelbar hervortritt (z. B. „Man hat mir nicht den Rock zerrissen,
es wäre auch Schade um das Kleid n. s. w.") aber ein ähnlicher Zug der Resig¬
nation breitet sich, wenn auch nnr wie ein leichter Flor, fast über alle seine Lieder.
Sie sehen unscheinbar aus, »ut doch kann man sich dahinter allerlei denken. So
liegt es denn nur zu nahe, daß der Komponist diesen Nebengedanken auszuführen
sucht, und dadurch wird der Charakter des Liedes vollständig aufgehoben.

Man könnte die Einwirkung Uhland's auf die bildende Kunst fast eben so weit
ausdehnen, oder wenn mau strenger sei» wollte, man müßte die analogen Erscheinun¬
gen in der Poesie und in der Plastik aus derselben Quelle herleiten, woraus dann eine
Wechselwirkung nicht ausbleiben könnte. Wir beziehen uns hier ans die Düssel¬
dorfer Genremalerei, die übrigens nicht' bei kleinen Bildchen stehen bleibt, sondern
sich auch ans große, angeblich historische Gemälde ausdehnt, wo sie geradezu un¬
erträglich wird. Die Genremalerei hat ihre wesentliche Berechtigung in der schar¬
fen Beobachtung des Kleinlebens, wie sie bei den Holländern in so reichem Maße
vorhanden war, und wie sie bei neueren französischen Zeichnern, z. B. bei Gavarnh,
eine so unerschöpfliche Fülle von komischen Darstellungen hervorruft. Bei uns
versteht man aber in neuerer Zeit das Genre anders. Man idealisirt die Natur,
d. h. mau setzt sie zu einem bloßen Träger irgend einer sinnigen Idee, oder
einer Empfindung, oder einer Stimmung herab. Diese neueren Genrebilder haben
zu der Natur ungefähr das nämliche Verhältniß, wie Uhland's Lieder zu ihren
echten Quellen, den Volksliedern. Was sich aber in der Poesie rechtfertigen läßt,
wird in der bildenden Kunst, die mit dem Leben und mit der Bewegung steht
und fällt, zur unerträglichen Geschmacklosigkeit. Diese reflectirte Kindlichkeit,
diese stereotype Manier des Gemüths, diese Coquetterie mit frommen, nichtssa¬
genden Gesichtern und theatralisch gedachten Stellungen ist eine eben solche Ver-
irrung der Kunst, wie auf der andern Seite das Haschen nach Contrasten, na¬
mentlich bei den französischen Malern. Die Virtuosität in kleinen, niedlichen
Phrasen, in leblosen Arabesken, hat sich über sämmliche Künste verbreitet, und
wenn das lange so fortgeht, so werden wir zuletzt nur noch für den Putz des
Nippestisches arbeiten können.

Was von Uhland gilt, trifft seine Nachahmer in noch viel höherem Grade.
Justinus Kerner, Schwab, Geibel, Eichendvrf, Chamisso, Herwegh n. s. w, haben
im Einzelnen viele recht hübsche Sachen ersonnen, aber kein Einziger ist im Stand'e


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/60>, abgerufen am 22.12.2024.