Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.so weit er sich ans die lyrische Poesie bezieht. Die Engländer sind immer ein so weit er sich ans die lyrische Poesie bezieht. Die Engländer sind immer ein <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0057" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/94498"/> <p xml:id="ID_134" prev="#ID_133" next="#ID_135"> so weit er sich ans die lyrische Poesie bezieht. Die Engländer sind immer ein<lb/> geschichtliches Volk, sie verlieren mich in ihren kleinen Improvisationen nie den<lb/> historischen Sinn. Bei ihren Balladen ist der Hauptzweck, eine Begebenheit zu<lb/> erzählen, wenn auch in diese Begebenheit eine epigrammatische oder sentimentale<lb/> Wendung gebracht wird. Ferner haben sie immer eine bestimmte Beziehung auf<lb/> die Geschichte des Volks. Ihre Helden sind bestimmte, in der Regel bedeutende<lb/> Persönlichkeiten, die nicht ganz in die Anekdote aufgehen, sondern die noch ein<lb/> davon unabhängiges Interesse erregen. Uhland's Helden dagegen schweben in<lb/> der Luft. Es sind abstracte blinde Könige, abstracte Harfner, abstracte Grafen,<lb/> abstracte Burgfräulein u. f. w., d. h. Figuren die Nichts weiter find, als was das<lb/> Gedicht von ihnen giebt, und das ist ziemlich wenig. Eigentlich hat der Dichter<lb/> immer nur den Zweck, einen gemüthlichen Zug darzustellen, von einer epischen<lb/> Ausführung der Begebenheit ist keine Rede-. Wenn er bestimmte Namen nennt,<lb/> so sind es in der Regel alte Troubadours, von denen wir auch uicht viel weiter<lb/> erfahren, als daß sie gelebt und gesungen haben. Natürlich sind auch hier rühm¬<lb/> liche Ausnahmen zu machen. Vor Allem die reizenden Lieder vom kleinen Roland,<lb/> weniger das kleine Epos vom Grafen Eberhard, welches für ein heroisches Gedicht<lb/> gar zu gemüthlich und gar zu eintönig ist. Aber als ein allgemein charakteristisches<lb/> Kennzeichen können wir aufstellen, daß Uhland keinen geschichtlichen Sinn hat. Aller¬<lb/> dings rührt seine Popularität zum großen Theil davon her, daß er seine mittelalter¬<lb/> lichen Gestalten idealisirt, d. h. aus dem Wilden und Barocken ins Niedliche übersetzt<lb/> hat, aber historisch ist das eigentlich so wenig als poetisch. Es sind allerliebste<lb/> Figuren, die er uns bringt, aber sie haben kein Fleisch und Blut, denn sie haben<lb/> keine historische Bestimmtheit, während uns bei W. Scott mich aus dem kleinsten<lb/> Gedicht die frische, kräftige Luft des geschichtlichen Lebens anwehe. Das Ritter-<lb/> thum,'das er schildert, ist viel schwächlicher und sentimentaler, als selbst die Er¬<lb/> findungen Fouquss; nnr hat er gegen diesen specifischen Nitterdichter den<lb/> großen Vorzug, daß er in seinen Stoffen nicht befangen ist, es fällt ihm<lb/> nicht ein, für die Nonnenklöster und Turniere, von denen er so anmuthige<lb/> Bilder giebt, gegen den Geist seiner Zeit in die Schranken zu trete». Er hegt<lb/> Sympathien, aber, keine Leidenschaften: das ist freilich eben so gut ein Fehler<lb/> wie ein Vorzug, denn es schwächt die Kraft und Unmittelbarkeit der Phantasie.<lb/> Beiläufig ein merkwürdiges Zeichen, wie diese Manier, statt darzustellen blos<lb/> anzudeuten, in dem ästhetischen Katechismus der damaligen Zeit als ein wesentliches<lb/> Erforderniß der Poesie aufgestellt war, ist das damals geläufige Urtheil, welches<lb/> unter allen Schiller schen Balladen dem Ritter Toggenburg den Vorzug gab, blos<lb/> weil dieses Gedicht am wenigsten ausgeführt ist, und doch ist diese Ballade das<lb/> Product einer ans Lächerliche streifenden weibischen Sentimentalität. Aber der¬<lb/> gleichen war den damaligen Schöngeistern eben recht, während sie ein großes<lb/> Wesen erhoben über die angebliche Sentimentalität in dem Charakter eines,. Max</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0057]
so weit er sich ans die lyrische Poesie bezieht. Die Engländer sind immer ein
geschichtliches Volk, sie verlieren mich in ihren kleinen Improvisationen nie den
historischen Sinn. Bei ihren Balladen ist der Hauptzweck, eine Begebenheit zu
erzählen, wenn auch in diese Begebenheit eine epigrammatische oder sentimentale
Wendung gebracht wird. Ferner haben sie immer eine bestimmte Beziehung auf
die Geschichte des Volks. Ihre Helden sind bestimmte, in der Regel bedeutende
Persönlichkeiten, die nicht ganz in die Anekdote aufgehen, sondern die noch ein
davon unabhängiges Interesse erregen. Uhland's Helden dagegen schweben in
der Luft. Es sind abstracte blinde Könige, abstracte Harfner, abstracte Grafen,
abstracte Burgfräulein u. f. w., d. h. Figuren die Nichts weiter find, als was das
Gedicht von ihnen giebt, und das ist ziemlich wenig. Eigentlich hat der Dichter
immer nur den Zweck, einen gemüthlichen Zug darzustellen, von einer epischen
Ausführung der Begebenheit ist keine Rede-. Wenn er bestimmte Namen nennt,
so sind es in der Regel alte Troubadours, von denen wir auch uicht viel weiter
erfahren, als daß sie gelebt und gesungen haben. Natürlich sind auch hier rühm¬
liche Ausnahmen zu machen. Vor Allem die reizenden Lieder vom kleinen Roland,
weniger das kleine Epos vom Grafen Eberhard, welches für ein heroisches Gedicht
gar zu gemüthlich und gar zu eintönig ist. Aber als ein allgemein charakteristisches
Kennzeichen können wir aufstellen, daß Uhland keinen geschichtlichen Sinn hat. Aller¬
dings rührt seine Popularität zum großen Theil davon her, daß er seine mittelalter¬
lichen Gestalten idealisirt, d. h. aus dem Wilden und Barocken ins Niedliche übersetzt
hat, aber historisch ist das eigentlich so wenig als poetisch. Es sind allerliebste
Figuren, die er uns bringt, aber sie haben kein Fleisch und Blut, denn sie haben
keine historische Bestimmtheit, während uns bei W. Scott mich aus dem kleinsten
Gedicht die frische, kräftige Luft des geschichtlichen Lebens anwehe. Das Ritter-
thum,'das er schildert, ist viel schwächlicher und sentimentaler, als selbst die Er¬
findungen Fouquss; nnr hat er gegen diesen specifischen Nitterdichter den
großen Vorzug, daß er in seinen Stoffen nicht befangen ist, es fällt ihm
nicht ein, für die Nonnenklöster und Turniere, von denen er so anmuthige
Bilder giebt, gegen den Geist seiner Zeit in die Schranken zu trete». Er hegt
Sympathien, aber, keine Leidenschaften: das ist freilich eben so gut ein Fehler
wie ein Vorzug, denn es schwächt die Kraft und Unmittelbarkeit der Phantasie.
Beiläufig ein merkwürdiges Zeichen, wie diese Manier, statt darzustellen blos
anzudeuten, in dem ästhetischen Katechismus der damaligen Zeit als ein wesentliches
Erforderniß der Poesie aufgestellt war, ist das damals geläufige Urtheil, welches
unter allen Schiller schen Balladen dem Ritter Toggenburg den Vorzug gab, blos
weil dieses Gedicht am wenigsten ausgeführt ist, und doch ist diese Ballade das
Product einer ans Lächerliche streifenden weibischen Sentimentalität. Aber der¬
gleichen war den damaligen Schöngeistern eben recht, während sie ein großes
Wesen erhoben über die angebliche Sentimentalität in dem Charakter eines,. Max
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