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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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Suk'jectivität. -- Bei Uhland dagegen tritt uns niemals eine bedeutende Indivi¬
dualität, niemals ein mächtiger Strom der Empfindung entgegen. Auch wo
seine Seele am meisten bewegt ist, z. B. in dem schonen kleinen Frühlingslied:
"Nun muß sich Alles, Alles wenden", ist es nicht eine bestimmte individuelle Em¬
pfindung, die zu deu Gegenständen herantritt, sondern es sind die Gegenstände
selbst, die in süßer Empfindung zittern. Der Dichter ist nur ein Echo von
den Klängen der Natur. -- Wir wollen damit keineswegs behaupten, daß sich
nicht bei dem Einen oder dem Andern dieser Dichter vermittelnde Ueber-
gangsformen finden; wenn man aber eine Reihe der kleinen Gedichte von
dem Einen und dem Andern zusammenstellt, so wird man einen eben so starken
Gegensatz herausfühlen, als wenn man Uhland mit Heine vergleicht. Auch Heine
hat manche Lieder gemacht, die eben so gut von Uhland oder Goethe sein könn¬
ten, wenn mau sie nicht im Zusammenhang mit seineu übrigen Gedichten be¬
trachtete.

Indem wir nun auf Uhland selbst eingehen, fassen wir zunächst seine Stosse
ius Auge.

Die specifisch romantischen, d. h. die mittelalterlichen Stoffe sind schon in
sofern zuerst zu betrachten, als sie den wesentlichen Gegensatz gegen die frühere
Lyrik ausmachen. Früher nahm man kein erhebliches Interesse an den Ritter-
fräulein, die von dem Söller ihres Schlosses dem einsamen Schäfer ein Ade
zuwinkten, an der Väter Gruft, in der sich der letzte Ritter des Stammes schlafen
legt, an den Turnieren, in denen sich sieben melancholische Ritter zu Ehren einer
schönen Königstochter einander erstachen u. s. w. Alle diese Stoffe erinnern
zwar an die Theorien der romantischen Schule, aber die Verwandtschaft ist doch
mir scheinbar. Z. B. .bei Tieck, dem bedeutendsten Dichter der Schule, ist das
gothische Wesen uur eine Waffe, mit der er die Philisterhaftigt'eit der Ausklärung
bekämpft, oder besser gesagt kitzelt. Er kann sich niemals eines kleinen schalk¬
haften Zuges von Ironie erwehren. Uhland dagegen hat es mit den Philistern
nicht zu thun, höchstens einmal mit einem Recensenten, der ihn ärgert, und den
er immer aus eine ziemlich gutmüthige Weise abfertigt. Seine Vorliebe für
jene romantischen Gegenstände ist naiv, er bleibt immer ehrbar und gravitätisch,
zuweilen selbst da, wo man den Grund dieser Ehrbarkeit nicht im Entferntesten
errathen kann, und wo die Wirkung also eine der Absicht entgegengesetzte ist.
Näher liegt also der' Vergleich mit den englischen Balladen, die in derselben Zeit
einen weitem Aufschwung nahmen. Die Sammlung von Percy hatte zur Zeit
ihres Erscheinens in Deutschland beinahe eine größere Wirkung hervorgebracht,
als in England. Erst dnrch Walter Scott wurden diese Gedichte wieder in das
allgemeine Leben der Nation eingeführt. Wie sich dieser große Dichter, der
Erneuerer der englischen Poesie, zur Romantik verhielt, haben wir in einem frühern
Aufsatz auseinanderzusetzen gesucht. Hier kommt es uur aus den Gegensatz an,


Suk'jectivität. — Bei Uhland dagegen tritt uns niemals eine bedeutende Indivi¬
dualität, niemals ein mächtiger Strom der Empfindung entgegen. Auch wo
seine Seele am meisten bewegt ist, z. B. in dem schonen kleinen Frühlingslied:
„Nun muß sich Alles, Alles wenden", ist es nicht eine bestimmte individuelle Em¬
pfindung, die zu deu Gegenständen herantritt, sondern es sind die Gegenstände
selbst, die in süßer Empfindung zittern. Der Dichter ist nur ein Echo von
den Klängen der Natur. — Wir wollen damit keineswegs behaupten, daß sich
nicht bei dem Einen oder dem Andern dieser Dichter vermittelnde Ueber-
gangsformen finden; wenn man aber eine Reihe der kleinen Gedichte von
dem Einen und dem Andern zusammenstellt, so wird man einen eben so starken
Gegensatz herausfühlen, als wenn man Uhland mit Heine vergleicht. Auch Heine
hat manche Lieder gemacht, die eben so gut von Uhland oder Goethe sein könn¬
ten, wenn mau sie nicht im Zusammenhang mit seineu übrigen Gedichten be¬
trachtete.

Indem wir nun auf Uhland selbst eingehen, fassen wir zunächst seine Stosse
ius Auge.

Die specifisch romantischen, d. h. die mittelalterlichen Stoffe sind schon in
sofern zuerst zu betrachten, als sie den wesentlichen Gegensatz gegen die frühere
Lyrik ausmachen. Früher nahm man kein erhebliches Interesse an den Ritter-
fräulein, die von dem Söller ihres Schlosses dem einsamen Schäfer ein Ade
zuwinkten, an der Väter Gruft, in der sich der letzte Ritter des Stammes schlafen
legt, an den Turnieren, in denen sich sieben melancholische Ritter zu Ehren einer
schönen Königstochter einander erstachen u. s. w. Alle diese Stoffe erinnern
zwar an die Theorien der romantischen Schule, aber die Verwandtschaft ist doch
mir scheinbar. Z. B. .bei Tieck, dem bedeutendsten Dichter der Schule, ist das
gothische Wesen uur eine Waffe, mit der er die Philisterhaftigt'eit der Ausklärung
bekämpft, oder besser gesagt kitzelt. Er kann sich niemals eines kleinen schalk¬
haften Zuges von Ironie erwehren. Uhland dagegen hat es mit den Philistern
nicht zu thun, höchstens einmal mit einem Recensenten, der ihn ärgert, und den
er immer aus eine ziemlich gutmüthige Weise abfertigt. Seine Vorliebe für
jene romantischen Gegenstände ist naiv, er bleibt immer ehrbar und gravitätisch,
zuweilen selbst da, wo man den Grund dieser Ehrbarkeit nicht im Entferntesten
errathen kann, und wo die Wirkung also eine der Absicht entgegengesetzte ist.
Näher liegt also der' Vergleich mit den englischen Balladen, die in derselben Zeit
einen weitem Aufschwung nahmen. Die Sammlung von Percy hatte zur Zeit
ihres Erscheinens in Deutschland beinahe eine größere Wirkung hervorgebracht,
als in England. Erst dnrch Walter Scott wurden diese Gedichte wieder in das
allgemeine Leben der Nation eingeführt. Wie sich dieser große Dichter, der
Erneuerer der englischen Poesie, zur Romantik verhielt, haben wir in einem frühern
Aufsatz auseinanderzusetzen gesucht. Hier kommt es uur aus den Gegensatz an,


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[0056] Suk'jectivität. — Bei Uhland dagegen tritt uns niemals eine bedeutende Indivi¬ dualität, niemals ein mächtiger Strom der Empfindung entgegen. Auch wo seine Seele am meisten bewegt ist, z. B. in dem schonen kleinen Frühlingslied: „Nun muß sich Alles, Alles wenden", ist es nicht eine bestimmte individuelle Em¬ pfindung, die zu deu Gegenständen herantritt, sondern es sind die Gegenstände selbst, die in süßer Empfindung zittern. Der Dichter ist nur ein Echo von den Klängen der Natur. — Wir wollen damit keineswegs behaupten, daß sich nicht bei dem Einen oder dem Andern dieser Dichter vermittelnde Ueber- gangsformen finden; wenn man aber eine Reihe der kleinen Gedichte von dem Einen und dem Andern zusammenstellt, so wird man einen eben so starken Gegensatz herausfühlen, als wenn man Uhland mit Heine vergleicht. Auch Heine hat manche Lieder gemacht, die eben so gut von Uhland oder Goethe sein könn¬ ten, wenn mau sie nicht im Zusammenhang mit seineu übrigen Gedichten be¬ trachtete. Indem wir nun auf Uhland selbst eingehen, fassen wir zunächst seine Stosse ius Auge. Die specifisch romantischen, d. h. die mittelalterlichen Stoffe sind schon in sofern zuerst zu betrachten, als sie den wesentlichen Gegensatz gegen die frühere Lyrik ausmachen. Früher nahm man kein erhebliches Interesse an den Ritter- fräulein, die von dem Söller ihres Schlosses dem einsamen Schäfer ein Ade zuwinkten, an der Väter Gruft, in der sich der letzte Ritter des Stammes schlafen legt, an den Turnieren, in denen sich sieben melancholische Ritter zu Ehren einer schönen Königstochter einander erstachen u. s. w. Alle diese Stoffe erinnern zwar an die Theorien der romantischen Schule, aber die Verwandtschaft ist doch mir scheinbar. Z. B. .bei Tieck, dem bedeutendsten Dichter der Schule, ist das gothische Wesen uur eine Waffe, mit der er die Philisterhaftigt'eit der Ausklärung bekämpft, oder besser gesagt kitzelt. Er kann sich niemals eines kleinen schalk¬ haften Zuges von Ironie erwehren. Uhland dagegen hat es mit den Philistern nicht zu thun, höchstens einmal mit einem Recensenten, der ihn ärgert, und den er immer aus eine ziemlich gutmüthige Weise abfertigt. Seine Vorliebe für jene romantischen Gegenstände ist naiv, er bleibt immer ehrbar und gravitätisch, zuweilen selbst da, wo man den Grund dieser Ehrbarkeit nicht im Entferntesten errathen kann, und wo die Wirkung also eine der Absicht entgegengesetzte ist. Näher liegt also der' Vergleich mit den englischen Balladen, die in derselben Zeit einen weitem Aufschwung nahmen. Die Sammlung von Percy hatte zur Zeit ihres Erscheinens in Deutschland beinahe eine größere Wirkung hervorgebracht, als in England. Erst dnrch Walter Scott wurden diese Gedichte wieder in das allgemeine Leben der Nation eingeführt. Wie sich dieser große Dichter, der Erneuerer der englischen Poesie, zur Romantik verhielt, haben wir in einem frühern Aufsatz auseinanderzusetzen gesucht. Hier kommt es uur aus den Gegensatz an,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/56>, abgerufen am 22.12.2024.