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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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ihnen Schritt halten können, so ist darin doch eine gewisse Naturwahrheit,
denn es giebt in unsren Salons wirklich Wesen dieser ätherischen Art, und
wenn Niemand anders, so ist es wenigstens die Dichterin selber. Aber wenn
man die energischen Charaktere der frühern Zeit aus die gleiche Weise subtilisirt,
so geht daraus das Gefühl der vollendetsten Unnatur hervor. Unsre Geschichts¬
philosophie ist so weit ausgebildet, daß wir über die Absichten, welche der Weltgeist
mit seinen Lieblingen gehabt hat, viel besser unterrichtet sind, als diese selbst. Nun
sind wir aber viel zu gutmüthig und zu bescheiden,' um das Bewußtsein dieser
Superiorität zu tragen; wir leihen also unser Bewußtsein jenen Helden, und
stellen sie dadurch auf einen Kothurn, der sie zwar über ihre eigentliche Große
bedeutend erhebt, der es ihnen aber auch zugleich unmöglich macht, sich frei und
nach den Gesetzen der Natur zu bewegen. Das ist das Unglück bei unsrem Drama,
aber noch mehr bei dem historischen Roman, theils weil es hier durch die detail-
lirte Schilderung noch fühlbarer wird, theils weil es die gefügigere Form
dem Dichter bequemer macht, seiner Weisheit freien Spielraum zu lassen; denn im
Drama muß er seine Figuren in wirkliche Bewegung setzen, im Roman dagegen
kann er mit seiner Erzählung springen und dem Nachdenken seiner Leser anheim¬
stellen, wie es mit den Widersprüchen fertig wird.

Dies sind die Uebelstände, die lediglich in unsren Dichtern liegen. Die
Schwierigkeiten im Stoff haben wir bereits angedeutet; sie sind indessen nicht
unüberwindlich. Allerdings wird der Dichter, um uns ein bis in's kleinste Detail
hinein belebtes und verständliches Gemälde zu geben, sich den Bedingungen der
Geschichte bequemen müssen: er wird seinem Gemälde die Provinzialgeschichte
zu Grunde legen. Das ist ein Uebelstand, denn es erschwert die allgemeine Ver¬
ständlichkeit und begünstigt die Neigung zu Excursen, die zwar den Dichter und
seine Landsleute, aber nicht das allgemeine Publicum interesstren. Es ist auf
der andern Seite aber anch wieder ein Vorzug, denn es verstattet eine mannich-
sachere Farbengebung und eine festere Zeichnung. Dem Franzosen z. B. wäre
es, einzelne Ausnahmen, wie z. B. die Vendve- oder Cevennenkriege, abgerech¬
net, ganz unmöglich, zur Grundlage eines historischen Romans die Provinz zu
nehmen, er würde ein historisches Genrebild aus irgend einer Provinz nie zu
einem historischen Gemälde idcalistren können, weil bei ihm die Monarchie das
ganze historische Leben absorbirte. Bei uns dagegen hat fast jeder Landstrich
irgend eine Zeit, wo er mit der allgemeinen Geschichte in Berührung kam und
den Inhalt seines individuellen Geistes der Nation übertrug.

Das ist nun freilich ein Gesichtspunkt, der nicht aus den Augen verloren
werden darf. Die provinziellen Geschichten können nur dann den Gegenstand
eines historischen Romans ausmachen, wenn sie in einer Zeit spielen, wo sich all¬
gemein historisches Interesse an sie knüpft. Wollte man Geschichten von nur
localer Bedeutung im Roman behandeln, so würde man nicht nur die Ausländer


ihnen Schritt halten können, so ist darin doch eine gewisse Naturwahrheit,
denn es giebt in unsren Salons wirklich Wesen dieser ätherischen Art, und
wenn Niemand anders, so ist es wenigstens die Dichterin selber. Aber wenn
man die energischen Charaktere der frühern Zeit aus die gleiche Weise subtilisirt,
so geht daraus das Gefühl der vollendetsten Unnatur hervor. Unsre Geschichts¬
philosophie ist so weit ausgebildet, daß wir über die Absichten, welche der Weltgeist
mit seinen Lieblingen gehabt hat, viel besser unterrichtet sind, als diese selbst. Nun
sind wir aber viel zu gutmüthig und zu bescheiden,' um das Bewußtsein dieser
Superiorität zu tragen; wir leihen also unser Bewußtsein jenen Helden, und
stellen sie dadurch auf einen Kothurn, der sie zwar über ihre eigentliche Große
bedeutend erhebt, der es ihnen aber auch zugleich unmöglich macht, sich frei und
nach den Gesetzen der Natur zu bewegen. Das ist das Unglück bei unsrem Drama,
aber noch mehr bei dem historischen Roman, theils weil es hier durch die detail-
lirte Schilderung noch fühlbarer wird, theils weil es die gefügigere Form
dem Dichter bequemer macht, seiner Weisheit freien Spielraum zu lassen; denn im
Drama muß er seine Figuren in wirkliche Bewegung setzen, im Roman dagegen
kann er mit seiner Erzählung springen und dem Nachdenken seiner Leser anheim¬
stellen, wie es mit den Widersprüchen fertig wird.

Dies sind die Uebelstände, die lediglich in unsren Dichtern liegen. Die
Schwierigkeiten im Stoff haben wir bereits angedeutet; sie sind indessen nicht
unüberwindlich. Allerdings wird der Dichter, um uns ein bis in's kleinste Detail
hinein belebtes und verständliches Gemälde zu geben, sich den Bedingungen der
Geschichte bequemen müssen: er wird seinem Gemälde die Provinzialgeschichte
zu Grunde legen. Das ist ein Uebelstand, denn es erschwert die allgemeine Ver¬
ständlichkeit und begünstigt die Neigung zu Excursen, die zwar den Dichter und
seine Landsleute, aber nicht das allgemeine Publicum interesstren. Es ist auf
der andern Seite aber anch wieder ein Vorzug, denn es verstattet eine mannich-
sachere Farbengebung und eine festere Zeichnung. Dem Franzosen z. B. wäre
es, einzelne Ausnahmen, wie z. B. die Vendve- oder Cevennenkriege, abgerech¬
net, ganz unmöglich, zur Grundlage eines historischen Romans die Provinz zu
nehmen, er würde ein historisches Genrebild aus irgend einer Provinz nie zu
einem historischen Gemälde idcalistren können, weil bei ihm die Monarchie das
ganze historische Leben absorbirte. Bei uns dagegen hat fast jeder Landstrich
irgend eine Zeit, wo er mit der allgemeinen Geschichte in Berührung kam und
den Inhalt seines individuellen Geistes der Nation übertrug.

Das ist nun freilich ein Gesichtspunkt, der nicht aus den Augen verloren
werden darf. Die provinziellen Geschichten können nur dann den Gegenstand
eines historischen Romans ausmachen, wenn sie in einer Zeit spielen, wo sich all¬
gemein historisches Interesse an sie knüpft. Wollte man Geschichten von nur
localer Bedeutung im Roman behandeln, so würde man nicht nur die Ausländer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/496>, abgerufen am 22.12.2024.