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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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dadurch langweilen, sondern auch die Angehörigen der eigenen Provinz, denen
die allgemein historischen Persönlichkeiten viel näher liegen, als ihre eigenen
Stammsagen. So isolirt ist bei uns kein einziger Stamm geblieben, daß seine blos
locale Erinnerung nicht mit einem gewissen Gefühl des Mangels verknüpft wäre,
selbst die Schwaben nicht, und ihre Eberharde können ihnen nnr durch eine künst¬
liche literarische Anstrengung nahe gerückt werden; im Liede, in der Romanze ist
das freilich leichter möglich. -- Fragen wir, welche Zeiten vorzugsweise geeignet
sein dürften, in der deutschen Geschichte das locale mit dem Nationalinteresse zu
versöhnen, so würden wir wol zunächst daS eigentliche Mittelalter ausschließen
müssen. Die Hohenstaufenzeit läßt sich nnr noch lyrisch anwenden. Ihre Zeich¬
nung fällt immer düsseldorfisch aus. Hier ist zwar viel allgemein historisches In¬
teresse, aber es fehlt alle individuelle Färbung; ob wir Barbarossa oder Richard
Löwenherz behandeln, ist kein Unterschied, der Eine ist für uns nicht nationaler,
als der Andere. Vom 14. und 1ö. Jahrhundert gilt das Gegentheil. Hier
haben wir Färbung und Material für die Detailzeichnung in Ueberfluß; aber wir
haben keine Mittel, die Geschichte historisch zu concentriren. Wir mögen uns
abmühen, so viel wir wollen, wir bringen immer nur Genrebilder heraus. Frei¬
lich können diese Genrebilder sehr verdienstlich sein, und wir besitzen auch einige
der Art, z. B. der falsche Waldemar und der Roland von Berlin; allein das
Interesse für diese Zeiten ist nicht naturwüchsig, es muß erst künstlich hervorge¬
bracht werden, und da liegt die Gefahr nahe, es mit Hilfe eben jener metaphy¬
sischen prophetischen Geschichtsauffassung zu versuchen-, vor der wir uns so sehr
M hüten haben. So hat auch W. Alexis ans seinem falschen Waldemar ein
rafstnirtes psychologisches Problem gemacht, was doch dem Wesen des historischen
Romans widerspricht. Beiläufig bemerken wir, daß für solche Detailschilderungen
von allen Provinzen unsres Vaterlandes für ein historisches Genrebild der Art
vielleicht Ostpreußen den geeignetsten Vorwurf darböte, weil es durch die wun¬
derbare Eigenthümlichkeit seiner Verfassung und seine isolirte Stellung dem übri¬
gen Dentschland gegenüber sich eine" individuellen Charakter angeeignet hatte,
der in der Geschichte vielleicht einzig dasteht. Ein Gesammtgemälde von den
preußischen Zuständen, das sich etwa um die Schlacht von Tannenberg concen-
trirte, würde für das allgemeine Publicum von entschiedenem Interesse sein, vor¬
ausgesetzt freilich, daß es sich auf ein detaillirtcres Studium gründete, als Voigt's
Geschichte darbietet. Ja, es würde in mancher Beziehung im übrigen Deutschland
ein größeres Interesse erregen, als in der Provinz selbst, wo die Reminiscenzen
der Ordenszeit vollständig untergegangen sind. -- In der neuern Zeit tritt uns
Machst die Reformation entgegen. Diese hat bereits zu einer ganzen Reihe
Mehr oder minder glücklich ausgeführter historischer Romane Gelegenheit gegeben,
und sie ist wol auch eine der günstigsten für ein derartiges Gemälde, denn in ihr
wurden alle Theile unsres Vaterlandes aufgerüttelt und in Bewegung gesetzt,


dadurch langweilen, sondern auch die Angehörigen der eigenen Provinz, denen
die allgemein historischen Persönlichkeiten viel näher liegen, als ihre eigenen
Stammsagen. So isolirt ist bei uns kein einziger Stamm geblieben, daß seine blos
locale Erinnerung nicht mit einem gewissen Gefühl des Mangels verknüpft wäre,
selbst die Schwaben nicht, und ihre Eberharde können ihnen nnr durch eine künst¬
liche literarische Anstrengung nahe gerückt werden; im Liede, in der Romanze ist
das freilich leichter möglich. — Fragen wir, welche Zeiten vorzugsweise geeignet
sein dürften, in der deutschen Geschichte das locale mit dem Nationalinteresse zu
versöhnen, so würden wir wol zunächst daS eigentliche Mittelalter ausschließen
müssen. Die Hohenstaufenzeit läßt sich nnr noch lyrisch anwenden. Ihre Zeich¬
nung fällt immer düsseldorfisch aus. Hier ist zwar viel allgemein historisches In¬
teresse, aber es fehlt alle individuelle Färbung; ob wir Barbarossa oder Richard
Löwenherz behandeln, ist kein Unterschied, der Eine ist für uns nicht nationaler,
als der Andere. Vom 14. und 1ö. Jahrhundert gilt das Gegentheil. Hier
haben wir Färbung und Material für die Detailzeichnung in Ueberfluß; aber wir
haben keine Mittel, die Geschichte historisch zu concentriren. Wir mögen uns
abmühen, so viel wir wollen, wir bringen immer nur Genrebilder heraus. Frei¬
lich können diese Genrebilder sehr verdienstlich sein, und wir besitzen auch einige
der Art, z. B. der falsche Waldemar und der Roland von Berlin; allein das
Interesse für diese Zeiten ist nicht naturwüchsig, es muß erst künstlich hervorge¬
bracht werden, und da liegt die Gefahr nahe, es mit Hilfe eben jener metaphy¬
sischen prophetischen Geschichtsauffassung zu versuchen-, vor der wir uns so sehr
M hüten haben. So hat auch W. Alexis ans seinem falschen Waldemar ein
rafstnirtes psychologisches Problem gemacht, was doch dem Wesen des historischen
Romans widerspricht. Beiläufig bemerken wir, daß für solche Detailschilderungen
von allen Provinzen unsres Vaterlandes für ein historisches Genrebild der Art
vielleicht Ostpreußen den geeignetsten Vorwurf darböte, weil es durch die wun¬
derbare Eigenthümlichkeit seiner Verfassung und seine isolirte Stellung dem übri¬
gen Dentschland gegenüber sich eine» individuellen Charakter angeeignet hatte,
der in der Geschichte vielleicht einzig dasteht. Ein Gesammtgemälde von den
preußischen Zuständen, das sich etwa um die Schlacht von Tannenberg concen-
trirte, würde für das allgemeine Publicum von entschiedenem Interesse sein, vor¬
ausgesetzt freilich, daß es sich auf ein detaillirtcres Studium gründete, als Voigt's
Geschichte darbietet. Ja, es würde in mancher Beziehung im übrigen Deutschland
ein größeres Interesse erregen, als in der Provinz selbst, wo die Reminiscenzen
der Ordenszeit vollständig untergegangen sind. — In der neuern Zeit tritt uns
Machst die Reformation entgegen. Diese hat bereits zu einer ganzen Reihe
Mehr oder minder glücklich ausgeführter historischer Romane Gelegenheit gegeben,
und sie ist wol auch eine der günstigsten für ein derartiges Gemälde, denn in ihr
wurden alle Theile unsres Vaterlandes aufgerüttelt und in Bewegung gesetzt,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/497>, abgerufen am 22.12.2024.