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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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Bedeutung wie W. Scott aufstehen sollte, so können wir doch selbst bei den
vorliegenden Versuchen, in denen sich eine tüchtige Kraft und ein redlicher Wille
offenbart, uns niemals des Gefühls erwehren: das hätte Alles noch viel besser
sein können, ohne daß es größere Mühe gekostet hätte.

Die Gründe dieses Mißlingens möchten in Folgendem zu suchen sein. --
Von den Schabloncnarbeitern, die wie Tromlitz und van der Velde die historischen
Namen nur anwendeten, um es ihrer Phantasie bequemer zu machen, und denen
es auf eine wirkliche Sittenschilderung nicht ankam, reden wir hier nicht. -- Ein¬
mal lag unsren Romanschreibern insgeheim immer noch das Beispiel der Cramer-
Spieß'scheu Zeit vor Augen, so sehr sie sich durch Bildung und Talent vor jenen
auszeichneten. Cramer und Spieß hatten in ihren Ritter- und Räubergeschichte"
un Wesentlichen nichts Anderes gezeichnet, als das Leben auf den deutscheu Uni¬
versitäten, das trotz seiner anscheinenden Derbheit und seiner anscheinend freien
Formen eigentlich ein sehr uukrästiges und dabei pedantisches Wesen war; ein
Wesen, das in seinem engherzigen Formalismus weder einen freien Humor, noch
eine starke Begeisterung ertrug. Diese studentischen Reminiscenzen findet man
auch noch bei vielen unsrer besseren Novellisten, und nur ans ihnen läßt sich die
Sinn- und Zwecklosigkeit der Situationen erklären, durch die sie uus zu führen
versuchen. -- Sodann haben die Deutschen eine unbezwingliche Neigung zur
Genremalerei. Zu leicht verwandelt sich bei ihnen das Mittel in den Zweck.
Sie geben uns Detailschildernngen, nicht um die Erzählung deutlicher und an¬
schaulicher zu macheu, sondern um des Details willen. Darum haben sich zum
Theil unsre besten Kräfte an jenem Stillleben ausgegeben, welches zwar eine
sehr saubere Zeichnung und Färbung verstattet, aber doch immer einem unter¬
geordneten Genre angehört; während sie auf der eiuen Seite einem maßlosen Idea¬
lismus huldigen und sich in einem unbegrenzten Horizont bewegen, verlieren sie
sich auf der andern in die Detailanschanungen ihres Weges, und kommen nicht
von der Stelle. In dieser Beziehung ist das Glück, welches die Tromlitz und
van der Velde eine Zeit lang bei der Lesewelt gemacht haben, wohl begreiflich.
Sie sind doch wenigstens im Stande, eine zusammenhängende Geschichte zu erzählen;
man bewegt sich bei ihnen vorwärts und bleibt auch in einer gewissen Spannung.
Auch das ist ein Symptom von der mangelnden Disciplin in unsrer Bildung,
die uus in der Poesie wie in der Politik so unendlich zurückgebracht hat. -- Ein
fernerer Grund, und dieser .gilt namentlich in unsrer Zeit, ist die zuerst durch
die Romantiker, dann dnrch die Jungdeutschen hervorgerufene und gepflegte Nei¬
gung, sich in Gedanken und Empfindungen zu bewegen, die ans der Natur nicht
herzuleiten sind, oder ihr geradezu widersprechen. Für den historischen Roman
ist diese Neigung noch gefährlicher, als für die sogenannte sociale Novelle, denn
wenn z. B. die Gräfin Hahn-Hahn ihre Heldinnen so sublim denken und em¬
pfinden läßt, daß weder die wirklichen Menschen noch die Engel im Himmel mit


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Bedeutung wie W. Scott aufstehen sollte, so können wir doch selbst bei den
vorliegenden Versuchen, in denen sich eine tüchtige Kraft und ein redlicher Wille
offenbart, uns niemals des Gefühls erwehren: das hätte Alles noch viel besser
sein können, ohne daß es größere Mühe gekostet hätte.

Die Gründe dieses Mißlingens möchten in Folgendem zu suchen sein. —
Von den Schabloncnarbeitern, die wie Tromlitz und van der Velde die historischen
Namen nur anwendeten, um es ihrer Phantasie bequemer zu machen, und denen
es auf eine wirkliche Sittenschilderung nicht ankam, reden wir hier nicht. — Ein¬
mal lag unsren Romanschreibern insgeheim immer noch das Beispiel der Cramer-
Spieß'scheu Zeit vor Augen, so sehr sie sich durch Bildung und Talent vor jenen
auszeichneten. Cramer und Spieß hatten in ihren Ritter- und Räubergeschichte«
un Wesentlichen nichts Anderes gezeichnet, als das Leben auf den deutscheu Uni¬
versitäten, das trotz seiner anscheinenden Derbheit und seiner anscheinend freien
Formen eigentlich ein sehr uukrästiges und dabei pedantisches Wesen war; ein
Wesen, das in seinem engherzigen Formalismus weder einen freien Humor, noch
eine starke Begeisterung ertrug. Diese studentischen Reminiscenzen findet man
auch noch bei vielen unsrer besseren Novellisten, und nur ans ihnen läßt sich die
Sinn- und Zwecklosigkeit der Situationen erklären, durch die sie uus zu führen
versuchen. — Sodann haben die Deutschen eine unbezwingliche Neigung zur
Genremalerei. Zu leicht verwandelt sich bei ihnen das Mittel in den Zweck.
Sie geben uns Detailschildernngen, nicht um die Erzählung deutlicher und an¬
schaulicher zu macheu, sondern um des Details willen. Darum haben sich zum
Theil unsre besten Kräfte an jenem Stillleben ausgegeben, welches zwar eine
sehr saubere Zeichnung und Färbung verstattet, aber doch immer einem unter¬
geordneten Genre angehört; während sie auf der eiuen Seite einem maßlosen Idea¬
lismus huldigen und sich in einem unbegrenzten Horizont bewegen, verlieren sie
sich auf der andern in die Detailanschanungen ihres Weges, und kommen nicht
von der Stelle. In dieser Beziehung ist das Glück, welches die Tromlitz und
van der Velde eine Zeit lang bei der Lesewelt gemacht haben, wohl begreiflich.
Sie sind doch wenigstens im Stande, eine zusammenhängende Geschichte zu erzählen;
man bewegt sich bei ihnen vorwärts und bleibt auch in einer gewissen Spannung.
Auch das ist ein Symptom von der mangelnden Disciplin in unsrer Bildung,
die uus in der Poesie wie in der Politik so unendlich zurückgebracht hat. — Ein
fernerer Grund, und dieser .gilt namentlich in unsrer Zeit, ist die zuerst durch
die Romantiker, dann dnrch die Jungdeutschen hervorgerufene und gepflegte Nei¬
gung, sich in Gedanken und Empfindungen zu bewegen, die ans der Natur nicht
herzuleiten sind, oder ihr geradezu widersprechen. Für den historischen Roman
ist diese Neigung noch gefährlicher, als für die sogenannte sociale Novelle, denn
wenn z. B. die Gräfin Hahn-Hahn ihre Heldinnen so sublim denken und em¬
pfinden läßt, daß weder die wirklichen Menschen noch die Engel im Himmel mit


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[0495] Bedeutung wie W. Scott aufstehen sollte, so können wir doch selbst bei den vorliegenden Versuchen, in denen sich eine tüchtige Kraft und ein redlicher Wille offenbart, uns niemals des Gefühls erwehren: das hätte Alles noch viel besser sein können, ohne daß es größere Mühe gekostet hätte. Die Gründe dieses Mißlingens möchten in Folgendem zu suchen sein. — Von den Schabloncnarbeitern, die wie Tromlitz und van der Velde die historischen Namen nur anwendeten, um es ihrer Phantasie bequemer zu machen, und denen es auf eine wirkliche Sittenschilderung nicht ankam, reden wir hier nicht. — Ein¬ mal lag unsren Romanschreibern insgeheim immer noch das Beispiel der Cramer- Spieß'scheu Zeit vor Augen, so sehr sie sich durch Bildung und Talent vor jenen auszeichneten. Cramer und Spieß hatten in ihren Ritter- und Räubergeschichte« un Wesentlichen nichts Anderes gezeichnet, als das Leben auf den deutscheu Uni¬ versitäten, das trotz seiner anscheinenden Derbheit und seiner anscheinend freien Formen eigentlich ein sehr uukrästiges und dabei pedantisches Wesen war; ein Wesen, das in seinem engherzigen Formalismus weder einen freien Humor, noch eine starke Begeisterung ertrug. Diese studentischen Reminiscenzen findet man auch noch bei vielen unsrer besseren Novellisten, und nur ans ihnen läßt sich die Sinn- und Zwecklosigkeit der Situationen erklären, durch die sie uus zu führen versuchen. — Sodann haben die Deutschen eine unbezwingliche Neigung zur Genremalerei. Zu leicht verwandelt sich bei ihnen das Mittel in den Zweck. Sie geben uns Detailschildernngen, nicht um die Erzählung deutlicher und an¬ schaulicher zu macheu, sondern um des Details willen. Darum haben sich zum Theil unsre besten Kräfte an jenem Stillleben ausgegeben, welches zwar eine sehr saubere Zeichnung und Färbung verstattet, aber doch immer einem unter¬ geordneten Genre angehört; während sie auf der eiuen Seite einem maßlosen Idea¬ lismus huldigen und sich in einem unbegrenzten Horizont bewegen, verlieren sie sich auf der andern in die Detailanschanungen ihres Weges, und kommen nicht von der Stelle. In dieser Beziehung ist das Glück, welches die Tromlitz und van der Velde eine Zeit lang bei der Lesewelt gemacht haben, wohl begreiflich. Sie sind doch wenigstens im Stande, eine zusammenhängende Geschichte zu erzählen; man bewegt sich bei ihnen vorwärts und bleibt auch in einer gewissen Spannung. Auch das ist ein Symptom von der mangelnden Disciplin in unsrer Bildung, die uus in der Poesie wie in der Politik so unendlich zurückgebracht hat. — Ein fernerer Grund, und dieser .gilt namentlich in unsrer Zeit, ist die zuerst durch die Romantiker, dann dnrch die Jungdeutschen hervorgerufene und gepflegte Nei¬ gung, sich in Gedanken und Empfindungen zu bewegen, die ans der Natur nicht herzuleiten sind, oder ihr geradezu widersprechen. Für den historischen Roman ist diese Neigung noch gefährlicher, als für die sogenannte sociale Novelle, denn wenn z. B. die Gräfin Hahn-Hahn ihre Heldinnen so sublim denken und em¬ pfinden läßt, daß weder die wirklichen Menschen noch die Engel im Himmel mit 61*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/495>, abgerufen am 22.12.2024.