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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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die Kirche kennen sie nicht, hassen sie wol sogar. Manchmal bleibt das Paar
beisammen, manchmal trennt es sich nach dem ersten Zanke, manchmal, jedoch
selten, verheirather es sich in späteren Jahren. Die Kinder wachsen ihrer Zeit
eben so auf wie die Aeltern.

Die Cvstermongers sind ein wilder Schlag Menschen; liederlich, spiele und rauf¬
süchtig, Todfeinde der Polizei, die sie oft in ihrem Gewerbe stört, aber anch nnter sich
gleich mit der Faust bereit. Ueberhaupt lieben sie rohe und lärmende Ver¬
gnügungen: Spectakel- und Mordstücke, obscöne Lieder und Tänze, die Jung
Und Alt, Mann und Weib mit gleichem Entzücken genießen, Nattenhetzen, Hunde¬
kämpfe, Bvxerwetten. Ihre Tracht ist ihren Sportinglicbhabereien angemessen.
Meistens besteht sie aus einer dunkeln Tuchmütze, keck auf eine Seite gesetzt, einer
Aermelweste vou Nips mit großen Perlmutterknöpfen oder Jagdlnövfen und
großen Schoßtaschen, Ripshosen, sehr eng am Knie und sehr weit auf die Stiefeln
fallend. Ans gutes Schuhwerk halten sie sehr viel, und die Stutzer lassen sich
den Spann des Stiefels oft kunstreich durchnähen. Ein grell buntes seidenes
Halstuch ist stets um den Hals geschlungen, und eine lange bockshornartig ge¬
drehte Locke an jedem Ohre darf nicht fehlen. Die Sprache der Costers besteht
ans einem eigenthümlichen Nothwälsch, das sehr verschieden von der gewöhnlichen
Gaunersprache ist, und ans das sie sich sehr viel einbilden. Der Hauptzug des¬
selben ist, daß sie die Worte der gewöhnlichen Sprache rückwärts lesen, doch nicht
Muner Buchstaben für Buchstaben.

Diese merkwürdige Menschenklasse hat einen sehr bedeutenden Theil des
Gemüse-, Obst- und FischhandclS von London in Händen. Ihre Zahl schlägt
Man auf 11,300 an, was mit Frau nud Kindern eine Bevölkerung von
3i,S00 Menschen macht, die auf diese Weise ihren Lebensunterhalt gewinnt. Die
Fischsaison beginnt im October und endet im Mai, und die CosterS verkaufen in
dieser Zeit wol ein Drittel von dem, was auf den Billingsgate Fischmarkt kommt,
hauptsächlich frische Heringe, Austern, shrimps und audere Muscheln, welche
die Lieblingskost der Armen bilden, im Ganzen etwa 116,000 Tons an Gewicht,
Muscheln und Krebse ungerechnet. Der Werth des Ganzen wird auf 1 Mill.
460,000 Pfd. angegeben. Die Obst- und Gemüsesaisvn vertheilt sich über daS
ganze Jahr; das Obst zieht der Costcr vor, und von den geringeren Sorten
werden allermindestens drei Viertel auf der Straße im Einzelnen verkauft. In letzterer
Zeit war die Ananas ein sehr gewinnreicher Artikel für den Straßenabsatz; allein
von den Bahamas kommen jährlich 200,000 Stück nach London, die im Ganzen
sür 1 öl. bis 1 öd. 6 ä. das Stück oder schrittweise verkauft werden. Ein sehr bedeu¬
tender Einfuhrartikel blos für deu Straßenverkauf sind auch Haselnüsse vonTarragona,
von denen nicht weniger als jährlich 8000 Tons nach London kommen. Cocos-
"uffe sind etwas in Mißcredit gerathen. Wir können hier nicht die Quantitäten
aller Sorten Gemüse und Obst anführen, die jährlich von den Cvstermongers


Grenzboten. III. ->8ö2. 68

die Kirche kennen sie nicht, hassen sie wol sogar. Manchmal bleibt das Paar
beisammen, manchmal trennt es sich nach dem ersten Zanke, manchmal, jedoch
selten, verheirather es sich in späteren Jahren. Die Kinder wachsen ihrer Zeit
eben so auf wie die Aeltern.

Die Cvstermongers sind ein wilder Schlag Menschen; liederlich, spiele und rauf¬
süchtig, Todfeinde der Polizei, die sie oft in ihrem Gewerbe stört, aber anch nnter sich
gleich mit der Faust bereit. Ueberhaupt lieben sie rohe und lärmende Ver¬
gnügungen: Spectakel- und Mordstücke, obscöne Lieder und Tänze, die Jung
Und Alt, Mann und Weib mit gleichem Entzücken genießen, Nattenhetzen, Hunde¬
kämpfe, Bvxerwetten. Ihre Tracht ist ihren Sportinglicbhabereien angemessen.
Meistens besteht sie aus einer dunkeln Tuchmütze, keck auf eine Seite gesetzt, einer
Aermelweste vou Nips mit großen Perlmutterknöpfen oder Jagdlnövfen und
großen Schoßtaschen, Ripshosen, sehr eng am Knie und sehr weit auf die Stiefeln
fallend. Ans gutes Schuhwerk halten sie sehr viel, und die Stutzer lassen sich
den Spann des Stiefels oft kunstreich durchnähen. Ein grell buntes seidenes
Halstuch ist stets um den Hals geschlungen, und eine lange bockshornartig ge¬
drehte Locke an jedem Ohre darf nicht fehlen. Die Sprache der Costers besteht
ans einem eigenthümlichen Nothwälsch, das sehr verschieden von der gewöhnlichen
Gaunersprache ist, und ans das sie sich sehr viel einbilden. Der Hauptzug des¬
selben ist, daß sie die Worte der gewöhnlichen Sprache rückwärts lesen, doch nicht
Muner Buchstaben für Buchstaben.

Diese merkwürdige Menschenklasse hat einen sehr bedeutenden Theil des
Gemüse-, Obst- und FischhandclS von London in Händen. Ihre Zahl schlägt
Man auf 11,300 an, was mit Frau nud Kindern eine Bevölkerung von
3i,S00 Menschen macht, die auf diese Weise ihren Lebensunterhalt gewinnt. Die
Fischsaison beginnt im October und endet im Mai, und die CosterS verkaufen in
dieser Zeit wol ein Drittel von dem, was auf den Billingsgate Fischmarkt kommt,
hauptsächlich frische Heringe, Austern, shrimps und audere Muscheln, welche
die Lieblingskost der Armen bilden, im Ganzen etwa 116,000 Tons an Gewicht,
Muscheln und Krebse ungerechnet. Der Werth des Ganzen wird auf 1 Mill.
460,000 Pfd. angegeben. Die Obst- und Gemüsesaisvn vertheilt sich über daS
ganze Jahr; das Obst zieht der Costcr vor, und von den geringeren Sorten
werden allermindestens drei Viertel auf der Straße im Einzelnen verkauft. In letzterer
Zeit war die Ananas ein sehr gewinnreicher Artikel für den Straßenabsatz; allein
von den Bahamas kommen jährlich 200,000 Stück nach London, die im Ganzen
sür 1 öl. bis 1 öd. 6 ä. das Stück oder schrittweise verkauft werden. Ein sehr bedeu¬
tender Einfuhrartikel blos für deu Straßenverkauf sind auch Haselnüsse vonTarragona,
von denen nicht weniger als jährlich 8000 Tons nach London kommen. Cocos-
"uffe sind etwas in Mißcredit gerathen. Wir können hier nicht die Quantitäten
aller Sorten Gemüse und Obst anführen, die jährlich von den Cvstermongers


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[0469] die Kirche kennen sie nicht, hassen sie wol sogar. Manchmal bleibt das Paar beisammen, manchmal trennt es sich nach dem ersten Zanke, manchmal, jedoch selten, verheirather es sich in späteren Jahren. Die Kinder wachsen ihrer Zeit eben so auf wie die Aeltern. Die Cvstermongers sind ein wilder Schlag Menschen; liederlich, spiele und rauf¬ süchtig, Todfeinde der Polizei, die sie oft in ihrem Gewerbe stört, aber anch nnter sich gleich mit der Faust bereit. Ueberhaupt lieben sie rohe und lärmende Ver¬ gnügungen: Spectakel- und Mordstücke, obscöne Lieder und Tänze, die Jung Und Alt, Mann und Weib mit gleichem Entzücken genießen, Nattenhetzen, Hunde¬ kämpfe, Bvxerwetten. Ihre Tracht ist ihren Sportinglicbhabereien angemessen. Meistens besteht sie aus einer dunkeln Tuchmütze, keck auf eine Seite gesetzt, einer Aermelweste vou Nips mit großen Perlmutterknöpfen oder Jagdlnövfen und großen Schoßtaschen, Ripshosen, sehr eng am Knie und sehr weit auf die Stiefeln fallend. Ans gutes Schuhwerk halten sie sehr viel, und die Stutzer lassen sich den Spann des Stiefels oft kunstreich durchnähen. Ein grell buntes seidenes Halstuch ist stets um den Hals geschlungen, und eine lange bockshornartig ge¬ drehte Locke an jedem Ohre darf nicht fehlen. Die Sprache der Costers besteht ans einem eigenthümlichen Nothwälsch, das sehr verschieden von der gewöhnlichen Gaunersprache ist, und ans das sie sich sehr viel einbilden. Der Hauptzug des¬ selben ist, daß sie die Worte der gewöhnlichen Sprache rückwärts lesen, doch nicht Muner Buchstaben für Buchstaben. Diese merkwürdige Menschenklasse hat einen sehr bedeutenden Theil des Gemüse-, Obst- und FischhandclS von London in Händen. Ihre Zahl schlägt Man auf 11,300 an, was mit Frau nud Kindern eine Bevölkerung von 3i,S00 Menschen macht, die auf diese Weise ihren Lebensunterhalt gewinnt. Die Fischsaison beginnt im October und endet im Mai, und die CosterS verkaufen in dieser Zeit wol ein Drittel von dem, was auf den Billingsgate Fischmarkt kommt, hauptsächlich frische Heringe, Austern, shrimps und audere Muscheln, welche die Lieblingskost der Armen bilden, im Ganzen etwa 116,000 Tons an Gewicht, Muscheln und Krebse ungerechnet. Der Werth des Ganzen wird auf 1 Mill. 460,000 Pfd. angegeben. Die Obst- und Gemüsesaisvn vertheilt sich über daS ganze Jahr; das Obst zieht der Costcr vor, und von den geringeren Sorten werden allermindestens drei Viertel auf der Straße im Einzelnen verkauft. In letzterer Zeit war die Ananas ein sehr gewinnreicher Artikel für den Straßenabsatz; allein von den Bahamas kommen jährlich 200,000 Stück nach London, die im Ganzen sür 1 öl. bis 1 öd. 6 ä. das Stück oder schrittweise verkauft werden. Ein sehr bedeu¬ tender Einfuhrartikel blos für deu Straßenverkauf sind auch Haselnüsse vonTarragona, von denen nicht weniger als jährlich 8000 Tons nach London kommen. Cocos- "uffe sind etwas in Mißcredit gerathen. Wir können hier nicht die Quantitäten aller Sorten Gemüse und Obst anführen, die jährlich von den Cvstermongers Grenzboten. III. ->8ö2. 68

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/469>, abgerufen am 22.12.2024.