Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.nur, um in wenig Stunden Sonntag Morgen wieder von vorn anzufangen. Denn Man rechnet, daß bei einer Bevölkerung von etwas über zwei Millionen Die Costermongers bilden eine eigene Klasse, die sich aus sich selbst ergänzen, nur, um in wenig Stunden Sonntag Morgen wieder von vorn anzufangen. Denn Man rechnet, daß bei einer Bevölkerung von etwas über zwei Millionen Die Costermongers bilden eine eigene Klasse, die sich aus sich selbst ergänzen, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0468" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/94909"/> <p xml:id="ID_1390" prev="#ID_1389"> nur, um in wenig Stunden Sonntag Morgen wieder von vorn anzufangen. Denn<lb/> die Sitte vieler Arbeitgeber, ihre Leute Sonnabend Abend in einem Wirthshaus<lb/> auszuzahlen, hat zur Folge, daß die Bezahlten oft lange beim Zechen Wen blei¬<lb/> ben, und erst früh mit dem stark verminderten Lohne nach Hanse kommen. Die<lb/> Hausfrau kann erst Sonntag früh das Mittagsmahl kaufen, nud der Lärm geht<lb/> von neuem an, jetzt noch auffälliger geworden durch die überall ringsherrschende<lb/> Sonntagsstille, bis die Kirchenglocken läuten, und die Polizei mit dem Schlag der<lb/> elften Stunde den Markt räumt. Jetzt erst beginnt die Sabbathsruhe.</p><lb/> <p xml:id="ID_1391"> Man rechnet, daß bei einer Bevölkerung von etwas über zwei Millionen<lb/> Seelen in London über 60,000 Menschen (Frauen und Kinder eingerechnet) von<lb/> ehrlicher Straßenindnstrie leben. Meistens haben sie unter den ärmeren Klassen<lb/> ihre Kundschaft. Bei weitem die größere Hälfte derselben bilden die Höker<lb/> mit Gemüse, Obst und Fischen, die sogenannten Costermongers. Dazu kommen<lb/> die zahlreichen Klassen, die überall, wo lebhafter Verkehr herrscht, auf die Be¬<lb/> dürfnisse und die Nerguügungslust der Straßenbevölkernng rechnen, und endlich<lb/> eine Anzahl Industrien, die London eigenthümlich sind, entweder weil sie sich durch<lb/> ausschließlich englische Sitten erhalten, oder weil sie mir bei einem so ungeheuren<lb/> Zusammenfluß von Menschen, wie er nirgend in der Welt stattfindet, entstehen<lb/> konnte. Natürlich können wir uns hier nur mit Denen beschäftigen, die für das<lb/> Straßenleben Londons charakteristisch sind.</p><lb/> <p xml:id="ID_1392" next="#ID_1393"> Die Costermongers bilden eine eigene Klasse, die sich aus sich selbst ergänzen,<lb/> und alle Diejenigen, welche nicht im Handel aufgewachsen sind, und sich hier<lb/> einmischen, wie heruntergekommene Arbeiter, Juden n. s. w., mit einem Gemisch<lb/> von Haß und Verachtung betrachten. Sie heirathen meistens nnter einander,<lb/> haben ihre eigene Tracht, ihre eigene Sprache, ihre eigenen Vergnügungsorte.<lb/> Die Kinder wachsen während ihrer frühesten Jugendjahre ohne alle Aufsicht ans,<lb/> da die Aeltern beständig aus der Straße beschäftigt sind. Eben so wenig erhalten<lb/> sie den geringsten Unterricht. So wie der Knabe alt genng ist, um gut und<lb/> laut schreien zu können, nimmt ihn der Vater mit auf die Straße. Er geht da<lb/> neben dem Eselkarren her und ruft die Waaren ans, oder rührt eine Trommel,<lb/> um dem Publicum die Anwesenheit des Costermongers bemerklich zu machen.<lb/> Auch nimmt ihn der Vater mit ans alle Märkte, um ihn in die Geheimnisse des<lb/> Geschäfts einzuweihen. Sind die regelmäßigen Kunden versorgt, und ist der<lb/> Karren leer, so wird der Knabe wieder hinausgeschickt, um in den Straßen zu-<lb/> hoken. Geht das Geschäft gut, so nimmt ihn der Vater Abends mit in's Wirths¬<lb/> haus, wo er sehr bald zechen und spielen lernt, und mit dem 12. Jahr schon<lb/> die Frühreife eines erwachsenen Jünglings zeigt. Jetzt fühlt er sich und sängt<lb/> ein selbstständiges Geschäft an, denn die Capitalauslage ist uur gering, und der<lb/> Umsatz schnell. Er zieht mit einem Costermädchen, das eben so wild aufge¬<lb/> wachsen ist wie er, zusammen, natürlich ohne an eine Trauung zu denken, denn</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0468]
nur, um in wenig Stunden Sonntag Morgen wieder von vorn anzufangen. Denn
die Sitte vieler Arbeitgeber, ihre Leute Sonnabend Abend in einem Wirthshaus
auszuzahlen, hat zur Folge, daß die Bezahlten oft lange beim Zechen Wen blei¬
ben, und erst früh mit dem stark verminderten Lohne nach Hanse kommen. Die
Hausfrau kann erst Sonntag früh das Mittagsmahl kaufen, nud der Lärm geht
von neuem an, jetzt noch auffälliger geworden durch die überall ringsherrschende
Sonntagsstille, bis die Kirchenglocken läuten, und die Polizei mit dem Schlag der
elften Stunde den Markt räumt. Jetzt erst beginnt die Sabbathsruhe.
Man rechnet, daß bei einer Bevölkerung von etwas über zwei Millionen
Seelen in London über 60,000 Menschen (Frauen und Kinder eingerechnet) von
ehrlicher Straßenindnstrie leben. Meistens haben sie unter den ärmeren Klassen
ihre Kundschaft. Bei weitem die größere Hälfte derselben bilden die Höker
mit Gemüse, Obst und Fischen, die sogenannten Costermongers. Dazu kommen
die zahlreichen Klassen, die überall, wo lebhafter Verkehr herrscht, auf die Be¬
dürfnisse und die Nerguügungslust der Straßenbevölkernng rechnen, und endlich
eine Anzahl Industrien, die London eigenthümlich sind, entweder weil sie sich durch
ausschließlich englische Sitten erhalten, oder weil sie mir bei einem so ungeheuren
Zusammenfluß von Menschen, wie er nirgend in der Welt stattfindet, entstehen
konnte. Natürlich können wir uns hier nur mit Denen beschäftigen, die für das
Straßenleben Londons charakteristisch sind.
Die Costermongers bilden eine eigene Klasse, die sich aus sich selbst ergänzen,
und alle Diejenigen, welche nicht im Handel aufgewachsen sind, und sich hier
einmischen, wie heruntergekommene Arbeiter, Juden n. s. w., mit einem Gemisch
von Haß und Verachtung betrachten. Sie heirathen meistens nnter einander,
haben ihre eigene Tracht, ihre eigene Sprache, ihre eigenen Vergnügungsorte.
Die Kinder wachsen während ihrer frühesten Jugendjahre ohne alle Aufsicht ans,
da die Aeltern beständig aus der Straße beschäftigt sind. Eben so wenig erhalten
sie den geringsten Unterricht. So wie der Knabe alt genng ist, um gut und
laut schreien zu können, nimmt ihn der Vater mit auf die Straße. Er geht da
neben dem Eselkarren her und ruft die Waaren ans, oder rührt eine Trommel,
um dem Publicum die Anwesenheit des Costermongers bemerklich zu machen.
Auch nimmt ihn der Vater mit ans alle Märkte, um ihn in die Geheimnisse des
Geschäfts einzuweihen. Sind die regelmäßigen Kunden versorgt, und ist der
Karren leer, so wird der Knabe wieder hinausgeschickt, um in den Straßen zu-
hoken. Geht das Geschäft gut, so nimmt ihn der Vater Abends mit in's Wirths¬
haus, wo er sehr bald zechen und spielen lernt, und mit dem 12. Jahr schon
die Frühreife eines erwachsenen Jünglings zeigt. Jetzt fühlt er sich und sängt
ein selbstständiges Geschäft an, denn die Capitalauslage ist uur gering, und der
Umsatz schnell. Er zieht mit einem Costermädchen, das eben so wild aufge¬
wachsen ist wie er, zusammen, natürlich ohne an eine Trauung zu denken, denn
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