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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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heraufbeschwören wollen, eben so wie im Interesse der Protestanten, daß Preußen
ein protestantischer Staat bleibt. Im siebenjährigen Krieg, wo es sich scheinbar
um nichts weniger handelte, als um religiöse Dinge, wußte der Papst sehr wohl,
was er that, als er Dann einen geweihten Degen schickte, und der gegen¬
wärtige König von Preußen hat mit Recht keinen der Vorwürfe, die gegen ihn
erhoben wurden, so ernst zurückgewiesen, als den Vorwurf der Hinneigung zum
Katholicismus. Es kommt ferner gar nicht darauf an, wie wir uns methaphysisch
die religiösen Vorstellungen und Begriffe übersetzt haben. Unser Gefühl, unsre
Gesinnung, unser Glaube, unsre Sittlichkeit ist noch immer ganz entschieden
protestantisch, und der Gott, für den unsre Vätsr in der Schlacht bei Lützen
gefochten haben, ist anch unser Gott.

Wir wollen einen zweiten Punkt in's Auge fassen, der für das Wesen des
preußischen Staats charakteristisch ist. Die alten Provinzen sind vorzugsweise
ackerbautreibend. Der Grundbesitz übt in ihnen den größten Einfluß aus, und
da dieser zum großen Theil in den Händen des Adels ist, da der Adel zu gleicher
Zeit im Heer und in.'der Verwaltung die Hauptrolle spielt, und sich historisch
an das Königthum kettet, so ist eine gewisse aristokratische Richtung im preu¬
ßischen Staatsleben wenigstens als Thatsache hinzunehmen, wie man auch über
die Zweckmäßigkeit dieser Einrichtung denken mag. Wir wissen sehr wohl, daß es
ganz gebildete Liberale giebt, die durch den unerfreulichen Einfluß des Adels auf
unsre neuesten Bewegungen sich zu einer so concentrirten Abneigung aufgeschwungen
haben, daß ihnen jede neue Bewegung als unersprießlich erscheint, die nicht
damit anfängt, sämmtliche Edelleute an den Galgen zu schicken. Uns erscheint
dieser Proceß aber zu. summarisch, und wir halten es für zweckmäßiger, zuerst zu
versuchen, ob sich aus diesen einmal vorhandenen thatsächlichen Verhältnissen nicht
etwas Gutes macheu läßt. Allerdings ist in vielen Fällen die äußere Erscheinung
des preußischen Adels noch mehr als eine Caricatur. Die Herren v. Strudel-
' witz und v. Prudelwitz sind leider nicht blos Erfindungen eines Witzblattes.
Aber trotzdem ist in dem preußischen Adel doch noch ein gesunder Fonds.
Gerade weil der preußische Hof im Ganzen arm ist, hat sich der Adel auf sei¬
nen Gütern gehalten, ist in beständiger Berührung mit dem Volk geblieben, und
unser ganzes Erziehungs-, Verwaltungs- und Militaiisystem, so wie unser Land-
recht hat die Stäude ausgeglichen dadurch, daß es die Vorzüge des Adels auf
die anderen Stände ausgedehnt hat. Nicht blos der bürgerliche Rittergutsbesitzer,
sondern im Allgemeinen jeder Bürgerliche, der zur gebildeten Klasse gehört, hat die
guten Grundsätze, die doch immer im Adel liegen, eingesogen, und wir halten
das für eine sehr zweckmäßige Reaction gegen den specifischen Krämergeist, der
mit dem Vorschreiten des Materialismus zusammenhängt. Nicht den Adel zu
encanailliren, sondern das Volk zu adeln, ist Aufgabe des Staates. Das ein¬
seitige Princip des Adels, wie es noch in Polen und Ungarn, besteht, ist aller-


heraufbeschwören wollen, eben so wie im Interesse der Protestanten, daß Preußen
ein protestantischer Staat bleibt. Im siebenjährigen Krieg, wo es sich scheinbar
um nichts weniger handelte, als um religiöse Dinge, wußte der Papst sehr wohl,
was er that, als er Dann einen geweihten Degen schickte, und der gegen¬
wärtige König von Preußen hat mit Recht keinen der Vorwürfe, die gegen ihn
erhoben wurden, so ernst zurückgewiesen, als den Vorwurf der Hinneigung zum
Katholicismus. Es kommt ferner gar nicht darauf an, wie wir uns methaphysisch
die religiösen Vorstellungen und Begriffe übersetzt haben. Unser Gefühl, unsre
Gesinnung, unser Glaube, unsre Sittlichkeit ist noch immer ganz entschieden
protestantisch, und der Gott, für den unsre Vätsr in der Schlacht bei Lützen
gefochten haben, ist anch unser Gott.

Wir wollen einen zweiten Punkt in's Auge fassen, der für das Wesen des
preußischen Staats charakteristisch ist. Die alten Provinzen sind vorzugsweise
ackerbautreibend. Der Grundbesitz übt in ihnen den größten Einfluß aus, und
da dieser zum großen Theil in den Händen des Adels ist, da der Adel zu gleicher
Zeit im Heer und in.'der Verwaltung die Hauptrolle spielt, und sich historisch
an das Königthum kettet, so ist eine gewisse aristokratische Richtung im preu¬
ßischen Staatsleben wenigstens als Thatsache hinzunehmen, wie man auch über
die Zweckmäßigkeit dieser Einrichtung denken mag. Wir wissen sehr wohl, daß es
ganz gebildete Liberale giebt, die durch den unerfreulichen Einfluß des Adels auf
unsre neuesten Bewegungen sich zu einer so concentrirten Abneigung aufgeschwungen
haben, daß ihnen jede neue Bewegung als unersprießlich erscheint, die nicht
damit anfängt, sämmtliche Edelleute an den Galgen zu schicken. Uns erscheint
dieser Proceß aber zu. summarisch, und wir halten es für zweckmäßiger, zuerst zu
versuchen, ob sich aus diesen einmal vorhandenen thatsächlichen Verhältnissen nicht
etwas Gutes macheu läßt. Allerdings ist in vielen Fällen die äußere Erscheinung
des preußischen Adels noch mehr als eine Caricatur. Die Herren v. Strudel-
' witz und v. Prudelwitz sind leider nicht blos Erfindungen eines Witzblattes.
Aber trotzdem ist in dem preußischen Adel doch noch ein gesunder Fonds.
Gerade weil der preußische Hof im Ganzen arm ist, hat sich der Adel auf sei¬
nen Gütern gehalten, ist in beständiger Berührung mit dem Volk geblieben, und
unser ganzes Erziehungs-, Verwaltungs- und Militaiisystem, so wie unser Land-
recht hat die Stäude ausgeglichen dadurch, daß es die Vorzüge des Adels auf
die anderen Stände ausgedehnt hat. Nicht blos der bürgerliche Rittergutsbesitzer,
sondern im Allgemeinen jeder Bürgerliche, der zur gebildeten Klasse gehört, hat die
guten Grundsätze, die doch immer im Adel liegen, eingesogen, und wir halten
das für eine sehr zweckmäßige Reaction gegen den specifischen Krämergeist, der
mit dem Vorschreiten des Materialismus zusammenhängt. Nicht den Adel zu
encanailliren, sondern das Volk zu adeln, ist Aufgabe des Staates. Das ein¬
seitige Princip des Adels, wie es noch in Polen und Ungarn, besteht, ist aller-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/460>, abgerufen am 22.12.2024.