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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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'deutificiren, basirt ist, und daß überall in den neuen Provinzen, (eine rein histo¬
rische Bezeichnung, die als eine Injurie zu nehmen, von Seiten der Rheinländer
wol der Gipfel der Absurdität ist,) wo die katholische Kirche herrscht, wo sie also
mit dem Anstand in Verbindung steht, und wo sie wenigstens die Fähigkeit zum
ultramontanen Princip in sich trägt, daß überall hier die schwache Seite Preußens
sich findet, die den Feinden Preußens offen steht. In den ehemals polnischen
Provinzen ist im Munde des Volks deutsch und protestantisch identisch. Herr
v- Radvwitz, angeblich ein guter Preuße, mußte sich vor seinen Glaubensgenossen
Ul Frankfurt mit großer Anstrengung deswegen entschuldige", daß er sich nicht
sur Polen, sondern für Preußen aussprach. Wie der rheinische Ultramontanismus
gegen Preußen gesinnt ist, zeigt die Deutsche VvltShalle, und endlich ist es aus¬
gemacht, daß die Centralpunkte der Gegner Preußens sich in Wien und München
finden. Diese thatsächliche Lage wird nicht leicht wegzuläugne" sein, und sie mit
französischer Frivolität durch die Toleranz des Coäe I^rpolvon zu überdecken, ist
doch wol nicht mehr zeitgemäß. Die französischen Aufklärer glaubten den Katho-
licismus dadurch zu beseitigen, daß sie ihn auslachten. Aber er hatte die ganz
richtige Ansicht: Wer zuletzt lacht, lacht am besten, und so sehen wir jetzt in
Frankreich das erbauliche Schauspiel, daß sich Legitimisten und Napoleonisten,
Adel und Bourgeoisie.wetteifernd unter dem Mantel der alleinseligmachenden Kirche
verkriechen. Mail hat die katholische Kirche häufig unterschätzt. Sie ist eine
große, eine kolossale und gefährliche Macht, um so gefährlicher, da sie geistiger
Natur ist, da ihr Einfluß auf dem Gemüth beruht; und wenn wir fragen, wie
sich der preußische Staat dieser gerade in unsrer Zeit im vollen Glanz ihrer
alten Ansprüche wieder auftretenden Macht gegenüber verhalten soll, so ist
die Antwort: entschieden feindlich! wobei sich von selbst versteht, daß die
strenge Beobachtung der Gesetze, mögen sie im Concordat, oder im Landrecht,
oder im Code, oder in der Verfassung stehen, gegen die katholischen Bürger des
Staats dadurch uicht im geringsten alterirt wird. -- Preußens Macht in Deutschland
beruht zwar nicht ausschließlich, aber zu einem sehr großen Theil auf den pro¬
testantischen Sympathien, die zwar zuweilen hinter dringenderen Fragen zurück¬
treten, aber immer aufs Neue wieder zum Vorschein kommen. Ohne diese Sym¬
pathie wäre die Hinneigung zu Preußen in den letzten Jahren trotz aller Ver-
staudesdeductioueu unmöglich gewesen. Freilich ist unser Protestantismus sehr,
verschieden vom Protestantismus der Kreuzzeitung, und der heuchlerische, kopf¬
hängerische Pietismus, den man jetzt an viele" Orten zu befördern sucht, ist
Uttsrem moralischen wie ""frein ästhetische" Gefühle im höchsten Grade zuwider.
Aber selbst er ist noch immer nicht so schlimm als der Jesuitismus. Es liegt,
und das möge sich die Kölnische Zeitung merke", eben so im Interesse der libe¬
ralen Katholiken, die zwar Gott in der Weise ihrer Väter verehre", aber uicht
die liebenswürdige Zeit der Ketzerprocesse und der päpstlichen Allgewalt wieder "


'deutificiren, basirt ist, und daß überall in den neuen Provinzen, (eine rein histo¬
rische Bezeichnung, die als eine Injurie zu nehmen, von Seiten der Rheinländer
wol der Gipfel der Absurdität ist,) wo die katholische Kirche herrscht, wo sie also
mit dem Anstand in Verbindung steht, und wo sie wenigstens die Fähigkeit zum
ultramontanen Princip in sich trägt, daß überall hier die schwache Seite Preußens
sich findet, die den Feinden Preußens offen steht. In den ehemals polnischen
Provinzen ist im Munde des Volks deutsch und protestantisch identisch. Herr
v- Radvwitz, angeblich ein guter Preuße, mußte sich vor seinen Glaubensgenossen
Ul Frankfurt mit großer Anstrengung deswegen entschuldige», daß er sich nicht
sur Polen, sondern für Preußen aussprach. Wie der rheinische Ultramontanismus
gegen Preußen gesinnt ist, zeigt die Deutsche VvltShalle, und endlich ist es aus¬
gemacht, daß die Centralpunkte der Gegner Preußens sich in Wien und München
finden. Diese thatsächliche Lage wird nicht leicht wegzuläugne» sein, und sie mit
französischer Frivolität durch die Toleranz des Coäe I^rpolvon zu überdecken, ist
doch wol nicht mehr zeitgemäß. Die französischen Aufklärer glaubten den Katho-
licismus dadurch zu beseitigen, daß sie ihn auslachten. Aber er hatte die ganz
richtige Ansicht: Wer zuletzt lacht, lacht am besten, und so sehen wir jetzt in
Frankreich das erbauliche Schauspiel, daß sich Legitimisten und Napoleonisten,
Adel und Bourgeoisie.wetteifernd unter dem Mantel der alleinseligmachenden Kirche
verkriechen. Mail hat die katholische Kirche häufig unterschätzt. Sie ist eine
große, eine kolossale und gefährliche Macht, um so gefährlicher, da sie geistiger
Natur ist, da ihr Einfluß auf dem Gemüth beruht; und wenn wir fragen, wie
sich der preußische Staat dieser gerade in unsrer Zeit im vollen Glanz ihrer
alten Ansprüche wieder auftretenden Macht gegenüber verhalten soll, so ist
die Antwort: entschieden feindlich! wobei sich von selbst versteht, daß die
strenge Beobachtung der Gesetze, mögen sie im Concordat, oder im Landrecht,
oder im Code, oder in der Verfassung stehen, gegen die katholischen Bürger des
Staats dadurch uicht im geringsten alterirt wird. — Preußens Macht in Deutschland
beruht zwar nicht ausschließlich, aber zu einem sehr großen Theil auf den pro¬
testantischen Sympathien, die zwar zuweilen hinter dringenderen Fragen zurück¬
treten, aber immer aufs Neue wieder zum Vorschein kommen. Ohne diese Sym¬
pathie wäre die Hinneigung zu Preußen in den letzten Jahren trotz aller Ver-
staudesdeductioueu unmöglich gewesen. Freilich ist unser Protestantismus sehr,
verschieden vom Protestantismus der Kreuzzeitung, und der heuchlerische, kopf¬
hängerische Pietismus, den man jetzt an viele» Orten zu befördern sucht, ist
Uttsrem moralischen wie »»frein ästhetische» Gefühle im höchsten Grade zuwider.
Aber selbst er ist noch immer nicht so schlimm als der Jesuitismus. Es liegt,
und das möge sich die Kölnische Zeitung merke», eben so im Interesse der libe¬
ralen Katholiken, die zwar Gott in der Weise ihrer Väter verehre», aber uicht
die liebenswürdige Zeit der Ketzerprocesse und der päpstlichen Allgewalt wieder "


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/459>, abgerufen am 22.12.2024.