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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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Einer erhob sich! "ut sprach heilige Worte, aber Alles rief: Es fruchtet nichts,
wir sind todt. Es erscholl eine Stimme, wir wußten nicht? woher: Gebt mir'
eine Herzen! Eure Leiber mögt ihr denen geben, die ihr liebt; die Verwesung
wird sie schon umfangen. Aber eure Herzen will ich zu Gott tragen. -- Da
erhob sich aus den Tiefen der Erde ein riesiges Wesen; sein Auge war von Erde,
sein Arm von Erde, es hatte kein Herz. ES sagte: ich bin die Verwesung,
und als es das sprach, fiel es zusammen und war nichts, wir aber alle erhoben
unser Antlitz nach Gott hin und rissen unsre Herzen aus und hielten sie in der
rechten Hand. Jenes Etwas aber -- Alles oder nichts -- welches vorher ge¬
sprochen (es war der Tod), rief wieder: Laßt uns zu Gott'! Und auswärts
strebten wir, die Würmer und die todten Götter blieben hinter uns, immer auf¬
wärts, einem dunkeln Sterne zu, der in der Mitte aller übrigen strahlte, bis
dieser Stern aussah wie der Mond, dann wie Hie Sonne. Da kam.eine Hand
zwischen die Sonne und uns, und ihre fünf Finger machten fünf Nächte. <Äott
riß die Glorie von der breiten Stirn der Sonne und warf den flammenden Scalp
zur Hölle."

Diese leidenschaftlich verirrten Visionen erinnern eben so an Shelley, wie die
melancholische, sinnige Lyrik, die den größern Raum des Gedichts einnimmt. Wo
der Dichter sich nicht gewaltsam exaltirt, ist die Stimmung eine milde Trauer,
wie der Gesang des einen schönen Mädchens, den Bailey mit vieler Poesie ein¬
führt. "Es war im Sonnenschein. Ehe sie lwZann,, Schol der Engel mit einer
Handbewegung der Erde Schweigen, die Vögel hörten auf >zu singen, die Bäume
zu athmen, der See zog seine schäumenden Furchen ein, die Zeit lehnte sich auf
ihre Sichel und weilte, indem sie lauschte n. f. w." Dieser Stimmung der
lauschenden Erde entspricht der wehmüthige Gesang. "O über die jungen Herzen,,
die gleich der Quelle spielen, ihre strahlenden frischen Gefühle zum Himmel
senden, lieben >und streben, umsonst lieben und streben, sie gehören der Erde an,
der Himmel ist nicht für sie. Laßt uns lieben und dann sterben .... Wenn
wir.genossen haben und gelitten Alles, was wir wünschten -und fürchteten, Ruhm
und Fall, Liebe und Ekel, so bleibt uns ja Kann kein anderer Wechsel .....
Nur in der Bewegung leuchtet unser Geist, wie der Glühwurm im tropischen
Klima. Die Ruhe macht ihn dunkel. Laßt uns sterben, ,wenn wir nicht mehr
lieben."

Dieser Geist der Unzufriedenheit verfolgt Festus bei allen seinen Wanderungen
im Reiche des Lebens, zuletzt erhebt ihn Lucifer auf den Thron der Erde, die
Könige und Völker sind zu seinen Füßen versammelt und.Festus hält seine Thron¬
rede:."Ihr Fürsten und Völker, es ist überflüssig, euch zu sagen, wie ich diese
-höchste Gewalt -erreicht habe; genug, ich bin der Monarch der Welt. Mögen
Alle meine Gesetze anerkennen und mich lieben. Kein Aufstand gegen mich
kann gelingen, ich herrsche im Namen Gottes. Glaubet nicht, daß die Welt


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Einer erhob sich! »ut sprach heilige Worte, aber Alles rief: Es fruchtet nichts,
wir sind todt. Es erscholl eine Stimme, wir wußten nicht? woher: Gebt mir'
eine Herzen! Eure Leiber mögt ihr denen geben, die ihr liebt; die Verwesung
wird sie schon umfangen. Aber eure Herzen will ich zu Gott tragen. — Da
erhob sich aus den Tiefen der Erde ein riesiges Wesen; sein Auge war von Erde,
sein Arm von Erde, es hatte kein Herz. ES sagte: ich bin die Verwesung,
und als es das sprach, fiel es zusammen und war nichts, wir aber alle erhoben
unser Antlitz nach Gott hin und rissen unsre Herzen aus und hielten sie in der
rechten Hand. Jenes Etwas aber — Alles oder nichts — welches vorher ge¬
sprochen (es war der Tod), rief wieder: Laßt uns zu Gott'! Und auswärts
strebten wir, die Würmer und die todten Götter blieben hinter uns, immer auf¬
wärts, einem dunkeln Sterne zu, der in der Mitte aller übrigen strahlte, bis
dieser Stern aussah wie der Mond, dann wie Hie Sonne. Da kam.eine Hand
zwischen die Sonne und uns, und ihre fünf Finger machten fünf Nächte. <Äott
riß die Glorie von der breiten Stirn der Sonne und warf den flammenden Scalp
zur Hölle."

Diese leidenschaftlich verirrten Visionen erinnern eben so an Shelley, wie die
melancholische, sinnige Lyrik, die den größern Raum des Gedichts einnimmt. Wo
der Dichter sich nicht gewaltsam exaltirt, ist die Stimmung eine milde Trauer,
wie der Gesang des einen schönen Mädchens, den Bailey mit vieler Poesie ein¬
führt. „Es war im Sonnenschein. Ehe sie lwZann,, Schol der Engel mit einer
Handbewegung der Erde Schweigen, die Vögel hörten auf >zu singen, die Bäume
zu athmen, der See zog seine schäumenden Furchen ein, die Zeit lehnte sich auf
ihre Sichel und weilte, indem sie lauschte n. f. w." Dieser Stimmung der
lauschenden Erde entspricht der wehmüthige Gesang. „O über die jungen Herzen,,
die gleich der Quelle spielen, ihre strahlenden frischen Gefühle zum Himmel
senden, lieben >und streben, umsonst lieben und streben, sie gehören der Erde an,
der Himmel ist nicht für sie. Laßt uns lieben und dann sterben .... Wenn
wir.genossen haben und gelitten Alles, was wir wünschten -und fürchteten, Ruhm
und Fall, Liebe und Ekel, so bleibt uns ja Kann kein anderer Wechsel .....
Nur in der Bewegung leuchtet unser Geist, wie der Glühwurm im tropischen
Klima. Die Ruhe macht ihn dunkel. Laßt uns sterben, ,wenn wir nicht mehr
lieben."

Dieser Geist der Unzufriedenheit verfolgt Festus bei allen seinen Wanderungen
im Reiche des Lebens, zuletzt erhebt ihn Lucifer auf den Thron der Erde, die
Könige und Völker sind zu seinen Füßen versammelt und.Festus hält seine Thron¬
rede:.„Ihr Fürsten und Völker, es ist überflüssig, euch zu sagen, wie ich diese
-höchste Gewalt -erreicht habe; genug, ich bin der Monarch der Welt. Mögen
Alle meine Gesetze anerkennen und mich lieben. Kein Aufstand gegen mich
kann gelingen, ich herrsche im Namen Gottes. Glaubet nicht, daß die Welt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/399>, abgerufen am 22.12.2024.