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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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des Körpers, in welchem ich wohne." Nachdem er noch die Bemerkung hin¬
zugefügt, daß kein Wesen, an welchem der Tod haftet, wenn auch nur ein seinem
Schatten, Gott sehen könne, ohne zu sterben, hält Festus seine Anrede, die wenig
mit dieser Voraussetzung übereinstimmt: "Ewiger Quell des Unendlichen! Du,
in dessen Lebensstrom die Sterne gleich Blasen schwimmen, verzeihe dem Atom,
das gewagt hat, seineu Schöpfer von Angesicht zu Angesicht sehen zu wollen." --
"Steh' auf, Sterblicher, steh' mich an." -- >,O, ich sehe nichts als blendende
Finsterniß n. f. w." Endlich kommt ihm sein Schutzgeist zu Hilfe und orientirt
ihn in dieser überirdischen Welt, in der sich metaphysische Abstractionen mit über¬
schwenglichen .Bildern ans eine seltsame Weise vermischen. Wir haben nicht viel
Freude an diesen maßlosen Weltanschauungen, die der Kunst keinen Spielraum
geben, und gehen daher zur Erde zurück.

Festus ist eine Art sentimentaler Don Juan; zwar ist seine Leidenschaft zart,
phantasiereich, romantisch und edel, aber er überträgt sie mit großer Leichtigkeit
von Angela auf Clara, von Clara ans Helena u> s. w., bis er endlich Elissa,
die Geliebte Lucifer's, dem Fürsten der Hölle abspenstig macht. Es ist ein
sonderbares Bild, Satan in Amors Ketten zu sehen. "Für mich giebt es mir
einen Platz in der Welt, der Ort, wo Du weilest, denn wo ich auch bin, sucht
Deine Liebe deu Weg in mein Herz, wie ein Bögelein in sein geheimes Netz."
Als er sich von seinem Freund n"d seiner Geliebten verrathen sieht, ist sein
Jammer so groß, daß wir ihm unser Mitleid nicht versagen können. "Dn weißt
wol, was ich einst Dir war; um Deinetwillen hätte ich die Sünden der ganzen
Welt getragen, auf deu kleinsten Blick hätte ich Dem Gebot ausgeführt, wäre
es auch gewesen, einem siegenden Engel die Krone von dem heitern Haupt zu
reißen; ich hätte die Nerven meines Herzens, die mich an die Holle fesseln, zer¬
risse", wäre zum Himmel aufgestiegen, ohne auf die Blitze Gottes zu achten,
und hätte sie geholt und sie Dir zu Füßen gelegt. Ja, Lady, ich liebte Dich!____
Ich bin der Morgen- und der Abendsteni. Du wolltest es mir nicht glaube",
aber ich bi" es, el" Secr" n"d ein Geist. Sieh mich an, ist meine Gestalt
nicht übermenschlich? Millionen von Jahren kränzen meine Stirn wie Wetten
ihr Centrum, und sie lasten nicht mehr ans mir,, als leichte Wölkchen auf dem
Mond; dieser Arm hat das Licht vom Himmel herabgeführt, diese Hand die
Engel von ihrem Thron gerissen: bin ich nicht würdig, Lady, Dich zu lieben? --

Diese Geliebte zeigt sich wenigstens durch die Paradoxie ihrer Eingebungen
Lucifers würdig. Charakteristisch ist ein infernalischer Traum, den sie erzählt:
"Es kam nur vor/ ich wäre glücklich, denn ich war todt. Alles eilte durchein¬
ander. Kann ich dir helfen? schrie der Eine dem Andern zu, aber Keiner achtete
daraus. Die Welt war ein großes Grab. Ich erhob meine Augen und sah,
wie die Zeit mit ihren beiden Schwingen Tag und Nacht der Motte gleich dem
schimmernde" Licht cntgegeuflog. Die Sonue verlosch und Beide starben. Und


des Körpers, in welchem ich wohne." Nachdem er noch die Bemerkung hin¬
zugefügt, daß kein Wesen, an welchem der Tod haftet, wenn auch nur ein seinem
Schatten, Gott sehen könne, ohne zu sterben, hält Festus seine Anrede, die wenig
mit dieser Voraussetzung übereinstimmt: „Ewiger Quell des Unendlichen! Du,
in dessen Lebensstrom die Sterne gleich Blasen schwimmen, verzeihe dem Atom,
das gewagt hat, seineu Schöpfer von Angesicht zu Angesicht sehen zu wollen." —
„Steh' auf, Sterblicher, steh' mich an." — >,O, ich sehe nichts als blendende
Finsterniß n. f. w." Endlich kommt ihm sein Schutzgeist zu Hilfe und orientirt
ihn in dieser überirdischen Welt, in der sich metaphysische Abstractionen mit über¬
schwenglichen .Bildern ans eine seltsame Weise vermischen. Wir haben nicht viel
Freude an diesen maßlosen Weltanschauungen, die der Kunst keinen Spielraum
geben, und gehen daher zur Erde zurück.

Festus ist eine Art sentimentaler Don Juan; zwar ist seine Leidenschaft zart,
phantasiereich, romantisch und edel, aber er überträgt sie mit großer Leichtigkeit
von Angela auf Clara, von Clara ans Helena u> s. w., bis er endlich Elissa,
die Geliebte Lucifer's, dem Fürsten der Hölle abspenstig macht. Es ist ein
sonderbares Bild, Satan in Amors Ketten zu sehen. „Für mich giebt es mir
einen Platz in der Welt, der Ort, wo Du weilest, denn wo ich auch bin, sucht
Deine Liebe deu Weg in mein Herz, wie ein Bögelein in sein geheimes Netz."
Als er sich von seinem Freund n»d seiner Geliebten verrathen sieht, ist sein
Jammer so groß, daß wir ihm unser Mitleid nicht versagen können. „Dn weißt
wol, was ich einst Dir war; um Deinetwillen hätte ich die Sünden der ganzen
Welt getragen, auf deu kleinsten Blick hätte ich Dem Gebot ausgeführt, wäre
es auch gewesen, einem siegenden Engel die Krone von dem heitern Haupt zu
reißen; ich hätte die Nerven meines Herzens, die mich an die Holle fesseln, zer¬
risse», wäre zum Himmel aufgestiegen, ohne auf die Blitze Gottes zu achten,
und hätte sie geholt und sie Dir zu Füßen gelegt. Ja, Lady, ich liebte Dich!____
Ich bin der Morgen- und der Abendsteni. Du wolltest es mir nicht glaube»,
aber ich bi» es, el» Secr» n»d ein Geist. Sieh mich an, ist meine Gestalt
nicht übermenschlich? Millionen von Jahren kränzen meine Stirn wie Wetten
ihr Centrum, und sie lasten nicht mehr ans mir,, als leichte Wölkchen auf dem
Mond; dieser Arm hat das Licht vom Himmel herabgeführt, diese Hand die
Engel von ihrem Thron gerissen: bin ich nicht würdig, Lady, Dich zu lieben? —

Diese Geliebte zeigt sich wenigstens durch die Paradoxie ihrer Eingebungen
Lucifers würdig. Charakteristisch ist ein infernalischer Traum, den sie erzählt:
„Es kam nur vor/ ich wäre glücklich, denn ich war todt. Alles eilte durchein¬
ander. Kann ich dir helfen? schrie der Eine dem Andern zu, aber Keiner achtete
daraus. Die Welt war ein großes Grab. Ich erhob meine Augen und sah,
wie die Zeit mit ihren beiden Schwingen Tag und Nacht der Motte gleich dem
schimmernde» Licht cntgegeuflog. Die Sonue verlosch und Beide starben. Und


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[0398] des Körpers, in welchem ich wohne." Nachdem er noch die Bemerkung hin¬ zugefügt, daß kein Wesen, an welchem der Tod haftet, wenn auch nur ein seinem Schatten, Gott sehen könne, ohne zu sterben, hält Festus seine Anrede, die wenig mit dieser Voraussetzung übereinstimmt: „Ewiger Quell des Unendlichen! Du, in dessen Lebensstrom die Sterne gleich Blasen schwimmen, verzeihe dem Atom, das gewagt hat, seineu Schöpfer von Angesicht zu Angesicht sehen zu wollen." — „Steh' auf, Sterblicher, steh' mich an." — >,O, ich sehe nichts als blendende Finsterniß n. f. w." Endlich kommt ihm sein Schutzgeist zu Hilfe und orientirt ihn in dieser überirdischen Welt, in der sich metaphysische Abstractionen mit über¬ schwenglichen .Bildern ans eine seltsame Weise vermischen. Wir haben nicht viel Freude an diesen maßlosen Weltanschauungen, die der Kunst keinen Spielraum geben, und gehen daher zur Erde zurück. Festus ist eine Art sentimentaler Don Juan; zwar ist seine Leidenschaft zart, phantasiereich, romantisch und edel, aber er überträgt sie mit großer Leichtigkeit von Angela auf Clara, von Clara ans Helena u> s. w., bis er endlich Elissa, die Geliebte Lucifer's, dem Fürsten der Hölle abspenstig macht. Es ist ein sonderbares Bild, Satan in Amors Ketten zu sehen. „Für mich giebt es mir einen Platz in der Welt, der Ort, wo Du weilest, denn wo ich auch bin, sucht Deine Liebe deu Weg in mein Herz, wie ein Bögelein in sein geheimes Netz." Als er sich von seinem Freund n»d seiner Geliebten verrathen sieht, ist sein Jammer so groß, daß wir ihm unser Mitleid nicht versagen können. „Dn weißt wol, was ich einst Dir war; um Deinetwillen hätte ich die Sünden der ganzen Welt getragen, auf deu kleinsten Blick hätte ich Dem Gebot ausgeführt, wäre es auch gewesen, einem siegenden Engel die Krone von dem heitern Haupt zu reißen; ich hätte die Nerven meines Herzens, die mich an die Holle fesseln, zer¬ risse», wäre zum Himmel aufgestiegen, ohne auf die Blitze Gottes zu achten, und hätte sie geholt und sie Dir zu Füßen gelegt. Ja, Lady, ich liebte Dich!____ Ich bin der Morgen- und der Abendsteni. Du wolltest es mir nicht glaube», aber ich bi» es, el» Secr» n»d ein Geist. Sieh mich an, ist meine Gestalt nicht übermenschlich? Millionen von Jahren kränzen meine Stirn wie Wetten ihr Centrum, und sie lasten nicht mehr ans mir,, als leichte Wölkchen auf dem Mond; dieser Arm hat das Licht vom Himmel herabgeführt, diese Hand die Engel von ihrem Thron gerissen: bin ich nicht würdig, Lady, Dich zu lieben? — Diese Geliebte zeigt sich wenigstens durch die Paradoxie ihrer Eingebungen Lucifers würdig. Charakteristisch ist ein infernalischer Traum, den sie erzählt: „Es kam nur vor/ ich wäre glücklich, denn ich war todt. Alles eilte durchein¬ ander. Kann ich dir helfen? schrie der Eine dem Andern zu, aber Keiner achtete daraus. Die Welt war ein großes Grab. Ich erhob meine Augen und sah, wie die Zeit mit ihren beiden Schwingen Tag und Nacht der Motte gleich dem schimmernde» Licht cntgegeuflog. Die Sonue verlosch und Beide starben. Und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/398>, abgerufen am 22.12.2024.