Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.bemerkt aber dabei, daß er über die Seele keine Gewalt haben soll. Lucifer muß Wir finden Festus in seiner Zelle. Seine Unzufriedenheit mit sich selbst Die Natur hat nun ihre Stimme für ihn verloren, und er lebt bekümmert Grenzboten. III. -1862. ' 49
bemerkt aber dabei, daß er über die Seele keine Gewalt haben soll. Lucifer muß Wir finden Festus in seiner Zelle. Seine Unzufriedenheit mit sich selbst Die Natur hat nun ihre Stimme für ihn verloren, und er lebt bekümmert Grenzboten. III. -1862. ' 49
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bemerkt aber dabei, daß er über die Seele keine Gewalt haben soll. Lucifer muß
anso von vorn herein wissen, daß er mit seinen Versuchen scheitern muß, aber die
innere Nothwendigkeit seiner Natur treibt ihn dennoch zum Versuch.
Wir finden Festus in seiner Zelle. Seine Unzufriedenheit mit sich selbst
bezieht sich weniger auf die Kantische Theorie, daß man das Wesen der Dinge
nicht erkennen könne, da die Mittel unsres Erkenntnißvermögens uns nnr den
Schein überliefern, sondern ans die Verkümmerung seines unmittelbaren Gefühls
durch die Beschäftigung mit Abstractionen. „In früherer Zeit," erzählt er einem
Studenten, „sprachen alle Dinge Gedanken zu mir. In dem Geheul der See,
in dem Brausen des Sturmes vernahm ich eine bestimmte Meinung. Ich las
die geheimnißvolle Schrift der Sonne, ich horte das Geflüster der Sterne, das
Seufzer des Mondes. Der Geist, der alle Zungen spricht und versteht, vom
Gott bis zum Insect herab, strahlte mir mit seinen Mondangen, wie sie uns sonst
nur in Träumen vorkommen, seine mächtigen Gedanken in die Seele, bis sie
ganz davon erfüllt war, wie die Wolke in jedem Nerv den gestaltenden Wind
empfindet. .... Alle Dinge waren mir Inspiration: Wald, Hügel, See, Ein¬
samkeit, Gewühl, das blaue Auge Gottes über uus und die unheimlichen Stätten,
vor denen der Landmann flieht, wo kalte durchnäßte Geister sitzen und die Glocken
läuten, rothes Herbstlaub und die blutigen Thränen, die der Eibenbanm über
Gräbern weint, gleich Gewissensbissen des Mörders u. s. w."
Die Natur hat nun ihre Stimme für ihn verloren, und er lebt bekümmert
in der Einsamkeit seiner Gedanken. So ist er sehr gestimmt, die wilden, halb
humoristischen, halb sentimentalen Grundsätze, die ihm Lucifer vorträgt, zu be¬
greifen. Lucifer stellt sich zuerst als Communist dar, aber nur weil er in diesem
Princip der Gleichheit den Keim des allgemeinen Untergangs sieht. „Die einzige
Gleichheit aus Erden ist der Tod. Nichts kann gethan werden ohne Zerstörung.
Tod ist das allgemeine Salz der Staaten, Blut die Basis aller Dinge. Ich
fühle die Kraft, dieses Löwenalter mit mir fortzureißen, ich möchte die Welt
macadamisiren, um die Straße zur Hölle auszubessern u. f. w." Diese Ruchlosig¬
keit ist rein metaphysischer Natur, und so sind auch die Offenbarungen, die er
Festus zu Theil werden läßt. Nachdem er. ihn zuerst theoretisch in allen verbor¬
genen Wissenschaften unterrichtet, zeigt er ihm die Dinge sinnlich in ihrer innern
Natur. Wenn er schon bei Byron seinen Kain in die wunderbarsten Regionen
führt, so übersteigt der Scenenwechsel in unsrem Gedicht alles Maß der Phan¬
tasie. Zuerst finden sich die beiden Freunde in der „Oberfläche," dann im „Cen¬
trum," bann im „Raum," im „Himmel," in der „Hölle/' „anderwärts," endlich
im „All'." Am merkwürdigsten ist die Fahrt in den Himmel. Lucifer führt ihn
bei Gott ein, nachdem er vorher um Erlaubniß gebeten. „Du kannst nichts
thun," erwidert Gott, „was ich nicht will. Die Sonnen sind aus Atomen ge¬
macht, die Himmel aus Seelen, und Sonnen und Seelen sind nur die Atome
Grenzboten. III. -1862. ' 49
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