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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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man selbst sicher, mit Hilfe der Armee jeder offenen Auflehnung zuvorzukommen
oder sie zu überwältigen, so bleibt es doch zweifelhaft, ob man sich für diesen
Fall unbedingt auf die Armee verlassen kann. Die Symptome, die im letzten
Januar in der Madrider Besatzung sich kundgaben, rechtfertigen schlimme Be¬
fürchtungen; mehr als dies aber noch wird der Hof durch die entschieden feind¬
selige Haltung beunruhigt, welche mehrere der angesehensten Generale, die um
Narvaez als ihr Haupt sich schciareu, gegen seine Projecte documentiren. Mit
einem schnellen Handstreich , wie er am 2. December in Paris vollführt wurde,
wäre in Spanien die Sache nicht abgethan. Wenn die Negierung ihr Spiel
nur in Madrid gewonnen hat, so ist damit noch sehr wenig sür sie gewonnen.
Die Octroyirung eines neues Wahlgesetzes, die seit kurzem als bevorstehend, ge¬
meldet wurde, erscheint als ein noch mißlicherer Ausgang. Der Census ist in
Spanien bereits so hoch, daß es nicht thunlich ist, die Bedingungen des Wahl¬
rechts noch zu erschweren. Eine Herabsetzung derselben kann aber nnr den Pro-
gresfisten zu Gute komme". Eine eigenmächtige Abänderung des Wahlgesetzes
würde außerdem kaum geringere Aufregung hervorbringen, als der Umsturz der
Verfassung selbst. Die Umstände drängen das Ministerium indeß, einen Entschluß
zu fassen; die Verfassung bestehn lassen, dabei aber zu regieren, als ob sie nicht
vorhanden wäre, ist ein Auskunftsmittel, das sich nicht mehr länger fortsetzen läßt.
Die Zeit des Znsammentritts der Cortes naht heran. Entweder muß die Re>
gierung, wenn sie, wie es deu Anschein hat, vor einem Staatsstreich zurückbebt,
die jetzigen Cortes einberufen, oder sie auslösen und neue Wahlen anordnen. Im
ersteren Falle würde das Cabinet der heftigsten Opposition begegnen, und es
nicht leicht finden, eine Jdemnitätsbill für feine schweren, durch nichts motivirten
Verfassungsverletzungen, zu erhalten. Entschiede es sich für die zweite Alternative,
so ist der Ausfall der neuen Wahlen keineswegs als gesichert zu betrachten. Die
drei ihm gegenübcrbestehenden Fractionen der Progresststen, liberalen Moderados
und Narvaczisteu würden mit weit größerer Uebereinstimmung operiren, als bei der
letzten Wahl, und die offene Enthüllung verfassungsfeindlicher Projecte seitens
der Regierung verspricht ihnen einen bedeutenden Zuwachs ihres Anhanges im
Wahlkörper. Das Ministerium Bravo Murillo und der Hos befinden sich mit
einem Worte in der gefährlichen Lage, zu weit gegangen zu sein, um ohne Gefahr
halt machen oder zurückgehen zu können, und doch so viel Hindernisse vor sich zu
erblicken, daß es sast noch gefährlicher erscheint, auf der begonnenen Bahn
weiterzuschreiten.

Spanien geht in jedem Falle wichtigen Entscheidungen entgegen. So un¬
vollkommen daselbst auch die liberalen Institutionen bis jetzt zur Ausführung ge¬
bracht sind, so sehr Gewalt-und Korruption die freie Entwickelung des Reprä¬
sentativsystems gehemmt haben, so ist doch die Aufrechthaltung desselben die
einzige Bürgschaft sür die Stabilität der politischen Zustände, die allein den


man selbst sicher, mit Hilfe der Armee jeder offenen Auflehnung zuvorzukommen
oder sie zu überwältigen, so bleibt es doch zweifelhaft, ob man sich für diesen
Fall unbedingt auf die Armee verlassen kann. Die Symptome, die im letzten
Januar in der Madrider Besatzung sich kundgaben, rechtfertigen schlimme Be¬
fürchtungen; mehr als dies aber noch wird der Hof durch die entschieden feind¬
selige Haltung beunruhigt, welche mehrere der angesehensten Generale, die um
Narvaez als ihr Haupt sich schciareu, gegen seine Projecte documentiren. Mit
einem schnellen Handstreich , wie er am 2. December in Paris vollführt wurde,
wäre in Spanien die Sache nicht abgethan. Wenn die Negierung ihr Spiel
nur in Madrid gewonnen hat, so ist damit noch sehr wenig sür sie gewonnen.
Die Octroyirung eines neues Wahlgesetzes, die seit kurzem als bevorstehend, ge¬
meldet wurde, erscheint als ein noch mißlicherer Ausgang. Der Census ist in
Spanien bereits so hoch, daß es nicht thunlich ist, die Bedingungen des Wahl¬
rechts noch zu erschweren. Eine Herabsetzung derselben kann aber nnr den Pro-
gresfisten zu Gute komme«. Eine eigenmächtige Abänderung des Wahlgesetzes
würde außerdem kaum geringere Aufregung hervorbringen, als der Umsturz der
Verfassung selbst. Die Umstände drängen das Ministerium indeß, einen Entschluß
zu fassen; die Verfassung bestehn lassen, dabei aber zu regieren, als ob sie nicht
vorhanden wäre, ist ein Auskunftsmittel, das sich nicht mehr länger fortsetzen läßt.
Die Zeit des Znsammentritts der Cortes naht heran. Entweder muß die Re>
gierung, wenn sie, wie es deu Anschein hat, vor einem Staatsstreich zurückbebt,
die jetzigen Cortes einberufen, oder sie auslösen und neue Wahlen anordnen. Im
ersteren Falle würde das Cabinet der heftigsten Opposition begegnen, und es
nicht leicht finden, eine Jdemnitätsbill für feine schweren, durch nichts motivirten
Verfassungsverletzungen, zu erhalten. Entschiede es sich für die zweite Alternative,
so ist der Ausfall der neuen Wahlen keineswegs als gesichert zu betrachten. Die
drei ihm gegenübcrbestehenden Fractionen der Progresststen, liberalen Moderados
und Narvaczisteu würden mit weit größerer Uebereinstimmung operiren, als bei der
letzten Wahl, und die offene Enthüllung verfassungsfeindlicher Projecte seitens
der Regierung verspricht ihnen einen bedeutenden Zuwachs ihres Anhanges im
Wahlkörper. Das Ministerium Bravo Murillo und der Hos befinden sich mit
einem Worte in der gefährlichen Lage, zu weit gegangen zu sein, um ohne Gefahr
halt machen oder zurückgehen zu können, und doch so viel Hindernisse vor sich zu
erblicken, daß es sast noch gefährlicher erscheint, auf der begonnenen Bahn
weiterzuschreiten.

Spanien geht in jedem Falle wichtigen Entscheidungen entgegen. So un¬
vollkommen daselbst auch die liberalen Institutionen bis jetzt zur Ausführung ge¬
bracht sind, so sehr Gewalt-und Korruption die freie Entwickelung des Reprä¬
sentativsystems gehemmt haben, so ist doch die Aufrechthaltung desselben die
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/384>, abgerufen am 22.12.2024.