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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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Nicht befriedigt durch die Wirkungen ihrer letzten Ordonnanz erließ die
Regierung im April ein neues Preßdecret, dessen übertrieben strenge Vorschriften
in Betreff der Redacteure am -I. Mai die ganze Madrider Oppositionspresse
zum Eingehen nöthigten. Seit einiger Zeit sind die nacion, der Heraldo, die
Epoca und der Constitucwnal wieder erschienen und haben, obwol verschiedenen
Parteien angehörig (ersterer ist progresfistisch, der zweite für Narvaez, die beiden
letztgenannten Blätter vertreten die liberalen Moderados), gemeinschaftlich den
Kampf gegen das herrschende System wieder aufgenommen. Die Confiscationen
und Strafen, mit denen sie dabei fortwährend belegt werden, lassen die Zähigkeit
des spanischen Charakters in vollstem Lichte hervortreten und nach Verdienst wür¬
digen. Der Hof, hartnäckig in Verfolgung seiner absolutistischen Projecte, ver¬
suchte sogar eine Annäherung ein die verbannte Familie des Prätendenten, die,
so viel man erfährt, völlig zurückgewiesen ist. Dies, so wie die seit einiger Zeit
sich häufenden karlistischen Complote, könnten die Regierung zur Einsicht über die
Gefahren des Weges bringen, den sie eingeschlagen hat. Man begnadigt aber
die karlistischen Verschwörer und füllt dafür die Strafcolonien mit deportirten
Progresststen.

Der französische Einfluß dominirt in Madrid und hat trotz der Protestationen
der Schriftsteller und Buchhändler den Vertrag über das literarische Eigen¬
thum durchzusetzen gewußt. In letzter Zeit sind wieder Veränderungen im Personal
des Ministeriums erfolgt. Espeleta, obwol des Seewesens gänzlich unkundig,
hat Armero im Departement der Marine ersetzt, und an seiner Statt ist Lara
Kriegsminister geworden, ein junger General, dessen militärische Begabung ge¬
rühmt wird, obwol sie bis jetzt nicht Gelegenheit fand, sich zu bewähren. Die
letzten Nachrichten melden den Austritt von Miraflores, der zu spät für seinen
Politischen Ruf von der Theilnahme an einer Politik sich losgesagt hat, die seinen
Antecedenzien widerspricht. Bertram de Lif hat wieder die Leitung des Aus¬
wärtigen übernommen, und für das Innere ist der bisherige Gouverneur von
Madrid, Ordonez ernannt, der als Verwaltuugsbeamter sich bisher eines günstigen
Rufes erfreute. Auf allen Gebieten des Staatslebens betreibt man gegenwärtig
die eifrigste Reaction. So ist die Bildung einer königlichen Garde, welche Espartero
zum großen Vortheil des Heeres aufgelöst hatte, eingeleitet und bereits ein Elite¬
corps organisirt. Man trägt sich ferner mit der Wiederherstellung der Majorate,
die nirgends mehr als in Spanien den Fortschritt der Landcscultnr behindert
haben. Mönchs- und Nonnenklöster endlich werden, Dank der eifrigen Fürsorge
des Clerus und dem Patronat der Regierung, aller Orten zahlreich wieder errichtet.

Trotz alledem kann, wie es scheint, die Regierung zu keinem Entschluß über
die Mittel kommen, welche sie definitiv der verhaßten Schranken des constitutio-
nellen Systems entledigen sollen. Ein offener Staatsstreich, welcher die Ver¬
fassung abschafft, würde offenbar die größten Gefahren heraufbeschwören. Wäre


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Nicht befriedigt durch die Wirkungen ihrer letzten Ordonnanz erließ die
Regierung im April ein neues Preßdecret, dessen übertrieben strenge Vorschriften
in Betreff der Redacteure am -I. Mai die ganze Madrider Oppositionspresse
zum Eingehen nöthigten. Seit einiger Zeit sind die nacion, der Heraldo, die
Epoca und der Constitucwnal wieder erschienen und haben, obwol verschiedenen
Parteien angehörig (ersterer ist progresfistisch, der zweite für Narvaez, die beiden
letztgenannten Blätter vertreten die liberalen Moderados), gemeinschaftlich den
Kampf gegen das herrschende System wieder aufgenommen. Die Confiscationen
und Strafen, mit denen sie dabei fortwährend belegt werden, lassen die Zähigkeit
des spanischen Charakters in vollstem Lichte hervortreten und nach Verdienst wür¬
digen. Der Hof, hartnäckig in Verfolgung seiner absolutistischen Projecte, ver¬
suchte sogar eine Annäherung ein die verbannte Familie des Prätendenten, die,
so viel man erfährt, völlig zurückgewiesen ist. Dies, so wie die seit einiger Zeit
sich häufenden karlistischen Complote, könnten die Regierung zur Einsicht über die
Gefahren des Weges bringen, den sie eingeschlagen hat. Man begnadigt aber
die karlistischen Verschwörer und füllt dafür die Strafcolonien mit deportirten
Progresststen.

Der französische Einfluß dominirt in Madrid und hat trotz der Protestationen
der Schriftsteller und Buchhändler den Vertrag über das literarische Eigen¬
thum durchzusetzen gewußt. In letzter Zeit sind wieder Veränderungen im Personal
des Ministeriums erfolgt. Espeleta, obwol des Seewesens gänzlich unkundig,
hat Armero im Departement der Marine ersetzt, und an seiner Statt ist Lara
Kriegsminister geworden, ein junger General, dessen militärische Begabung ge¬
rühmt wird, obwol sie bis jetzt nicht Gelegenheit fand, sich zu bewähren. Die
letzten Nachrichten melden den Austritt von Miraflores, der zu spät für seinen
Politischen Ruf von der Theilnahme an einer Politik sich losgesagt hat, die seinen
Antecedenzien widerspricht. Bertram de Lif hat wieder die Leitung des Aus¬
wärtigen übernommen, und für das Innere ist der bisherige Gouverneur von
Madrid, Ordonez ernannt, der als Verwaltuugsbeamter sich bisher eines günstigen
Rufes erfreute. Auf allen Gebieten des Staatslebens betreibt man gegenwärtig
die eifrigste Reaction. So ist die Bildung einer königlichen Garde, welche Espartero
zum großen Vortheil des Heeres aufgelöst hatte, eingeleitet und bereits ein Elite¬
corps organisirt. Man trägt sich ferner mit der Wiederherstellung der Majorate,
die nirgends mehr als in Spanien den Fortschritt der Landcscultnr behindert
haben. Mönchs- und Nonnenklöster endlich werden, Dank der eifrigen Fürsorge
des Clerus und dem Patronat der Regierung, aller Orten zahlreich wieder errichtet.

Trotz alledem kann, wie es scheint, die Regierung zu keinem Entschluß über
die Mittel kommen, welche sie definitiv der verhaßten Schranken des constitutio-
nellen Systems entledigen sollen. Ein offener Staatsstreich, welcher die Ver¬
fassung abschafft, würde offenbar die größten Gefahren heraufbeschwören. Wäre


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[0383] Nicht befriedigt durch die Wirkungen ihrer letzten Ordonnanz erließ die Regierung im April ein neues Preßdecret, dessen übertrieben strenge Vorschriften in Betreff der Redacteure am -I. Mai die ganze Madrider Oppositionspresse zum Eingehen nöthigten. Seit einiger Zeit sind die nacion, der Heraldo, die Epoca und der Constitucwnal wieder erschienen und haben, obwol verschiedenen Parteien angehörig (ersterer ist progresfistisch, der zweite für Narvaez, die beiden letztgenannten Blätter vertreten die liberalen Moderados), gemeinschaftlich den Kampf gegen das herrschende System wieder aufgenommen. Die Confiscationen und Strafen, mit denen sie dabei fortwährend belegt werden, lassen die Zähigkeit des spanischen Charakters in vollstem Lichte hervortreten und nach Verdienst wür¬ digen. Der Hof, hartnäckig in Verfolgung seiner absolutistischen Projecte, ver¬ suchte sogar eine Annäherung ein die verbannte Familie des Prätendenten, die, so viel man erfährt, völlig zurückgewiesen ist. Dies, so wie die seit einiger Zeit sich häufenden karlistischen Complote, könnten die Regierung zur Einsicht über die Gefahren des Weges bringen, den sie eingeschlagen hat. Man begnadigt aber die karlistischen Verschwörer und füllt dafür die Strafcolonien mit deportirten Progresststen. Der französische Einfluß dominirt in Madrid und hat trotz der Protestationen der Schriftsteller und Buchhändler den Vertrag über das literarische Eigen¬ thum durchzusetzen gewußt. In letzter Zeit sind wieder Veränderungen im Personal des Ministeriums erfolgt. Espeleta, obwol des Seewesens gänzlich unkundig, hat Armero im Departement der Marine ersetzt, und an seiner Statt ist Lara Kriegsminister geworden, ein junger General, dessen militärische Begabung ge¬ rühmt wird, obwol sie bis jetzt nicht Gelegenheit fand, sich zu bewähren. Die letzten Nachrichten melden den Austritt von Miraflores, der zu spät für seinen Politischen Ruf von der Theilnahme an einer Politik sich losgesagt hat, die seinen Antecedenzien widerspricht. Bertram de Lif hat wieder die Leitung des Aus¬ wärtigen übernommen, und für das Innere ist der bisherige Gouverneur von Madrid, Ordonez ernannt, der als Verwaltuugsbeamter sich bisher eines günstigen Rufes erfreute. Auf allen Gebieten des Staatslebens betreibt man gegenwärtig die eifrigste Reaction. So ist die Bildung einer königlichen Garde, welche Espartero zum großen Vortheil des Heeres aufgelöst hatte, eingeleitet und bereits ein Elite¬ corps organisirt. Man trägt sich ferner mit der Wiederherstellung der Majorate, die nirgends mehr als in Spanien den Fortschritt der Landcscultnr behindert haben. Mönchs- und Nonnenklöster endlich werden, Dank der eifrigen Fürsorge des Clerus und dem Patronat der Regierung, aller Orten zahlreich wieder errichtet. Trotz alledem kann, wie es scheint, die Regierung zu keinem Entschluß über die Mittel kommen, welche sie definitiv der verhaßten Schranken des constitutio- nellen Systems entledigen sollen. Ein offener Staatsstreich, welcher die Ver¬ fassung abschafft, würde offenbar die größten Gefahren heraufbeschwören. Wäre i7*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/383>, abgerufen am 22.12.2024.