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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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materiellen Fortschritt und die Wiederherstellung der äußern Macht Spaniens ge¬
währleisten kann. Die Doctrin ist jetzt sehr verbreitet, und besonders nach dem
glücklichen Erfolg des französischen Decemberstaatsstreiches in Aufnahme gekommen,
den Constitutionalismus als eine für den Continent gänzlich unpassende Staats¬
form zu erklären, zu deren Verwirklichung seit 1789 nutzlose Anstrengungen ver¬
wendet und die Thatkraft der festländischen Völker aus falsche und verderbliche
Zwecke gelenkt sei. Um nur vou Spanien zu reden, so ist es nicht blos-bei den
Verehrern jener Doctrin, sondern selbst bei vielen Anhängern des Repräsentativ¬
systemes Mode geworden, das spanische Verfassungswesen als eine eitle Komödie
anzusehen, die ohne Nutzen für das Land aus dem selbstsüchtigen Ehrgeiz der
Parteihäupter den erwünschten Tummelplatz darböte. Diese Ansicht beruht auf
einer unhistorischen und oberflächlichen Beurtheilung der spanischen Verhältnisse.
Das Hauptübel, woran die Repräsentativregierimg in Spanien krankt, das Heer
nutzloser Beamten und Penstonaire, welche den Staatsschatz belasten und ein un-
geheures Cvrruptionsmittel in der Hand der jedesmaligen Machthaber sind, hat
es vou dem absoluten Regime überkomme". Wenn sich durch den langwierigen
Kampf zwischen dem alten und neuen Systeme diese politische Landplage Spa¬
niens noch verschlimmert hat, so kann man das letztere nicht für die Folgen ver¬
antwortlich machen, die ans der schweren und hartnäckigen Krisis des Ueber¬
gangs entstanden sind. Die Frage ist nur: Würde die Restauration der
unumschränkten Gewalt diese Uebelstände schneller heben, als die Fortdauer der
hiesigen Zustände? ist serner diese Restauration überhaupt möglich? d. h. möglich
nicht als augenblickliches Gelingen, sondern als dauernde Rückkehr zur Absolntie.
Beides muß verneint werden. Ist es überhaupt möglich, das in allen Adern
des öffentlichen Lebens einherschleichende Gift der Corruption herauszutreiben,
so kann dies nur geschehen, wenn durch die Entwickelung freier Staatseinrichtun¬
gen die öffentliche Stimme die Reform der durch und durch schlechten Administra¬
tion erzwingt. Bei dem ewigen Wechselspiel der Palastintriguen, das in der
unumschränkten Monarchie Spaniens an der Tagesordnung wäre, ist eine Ver¬
einfachung der Verwaltung zu Gunsten der communalen und provinzialen Un¬
abhängigkeit undenkbar. Es läge zu sehr im Interesse der kämpfenden Coterien,
ein möglichst großes Feld zur Versorgung ihrer Anhänger zu haben und die
niedergehaltene öffentliche Meinung könnte dagegen sich nicht geltend machen. Im
constitutionellen Staate steht der Parteikampf im Parlament zu guter Letzt doch
unter nationaler Controle und kann sich nicht völlig in das Getriebe des persön¬
lichen Egoismus verlieren, der Parteikampf dagegen, der im Innern des Palastes ge¬
führt wird, hat nicht nöthig, sich dem Urtheil des Volkes zu unterwerfen. Wo, wie
in Spanien, seit Jahrhunderten die Korruption am Sitz der Gewalt ihr Lager auf¬
geschlagen hat, wird man sie nicht austreiben, wenn man diese Gewalt zur schranken¬
losen Herrin der Geschicke des Landes macht. Man darf aber auch mit Recht be-


materiellen Fortschritt und die Wiederherstellung der äußern Macht Spaniens ge¬
währleisten kann. Die Doctrin ist jetzt sehr verbreitet, und besonders nach dem
glücklichen Erfolg des französischen Decemberstaatsstreiches in Aufnahme gekommen,
den Constitutionalismus als eine für den Continent gänzlich unpassende Staats¬
form zu erklären, zu deren Verwirklichung seit 1789 nutzlose Anstrengungen ver¬
wendet und die Thatkraft der festländischen Völker aus falsche und verderbliche
Zwecke gelenkt sei. Um nur vou Spanien zu reden, so ist es nicht blos-bei den
Verehrern jener Doctrin, sondern selbst bei vielen Anhängern des Repräsentativ¬
systemes Mode geworden, das spanische Verfassungswesen als eine eitle Komödie
anzusehen, die ohne Nutzen für das Land aus dem selbstsüchtigen Ehrgeiz der
Parteihäupter den erwünschten Tummelplatz darböte. Diese Ansicht beruht auf
einer unhistorischen und oberflächlichen Beurtheilung der spanischen Verhältnisse.
Das Hauptübel, woran die Repräsentativregierimg in Spanien krankt, das Heer
nutzloser Beamten und Penstonaire, welche den Staatsschatz belasten und ein un-
geheures Cvrruptionsmittel in der Hand der jedesmaligen Machthaber sind, hat
es vou dem absoluten Regime überkomme». Wenn sich durch den langwierigen
Kampf zwischen dem alten und neuen Systeme diese politische Landplage Spa¬
niens noch verschlimmert hat, so kann man das letztere nicht für die Folgen ver¬
antwortlich machen, die ans der schweren und hartnäckigen Krisis des Ueber¬
gangs entstanden sind. Die Frage ist nur: Würde die Restauration der
unumschränkten Gewalt diese Uebelstände schneller heben, als die Fortdauer der
hiesigen Zustände? ist serner diese Restauration überhaupt möglich? d. h. möglich
nicht als augenblickliches Gelingen, sondern als dauernde Rückkehr zur Absolntie.
Beides muß verneint werden. Ist es überhaupt möglich, das in allen Adern
des öffentlichen Lebens einherschleichende Gift der Corruption herauszutreiben,
so kann dies nur geschehen, wenn durch die Entwickelung freier Staatseinrichtun¬
gen die öffentliche Stimme die Reform der durch und durch schlechten Administra¬
tion erzwingt. Bei dem ewigen Wechselspiel der Palastintriguen, das in der
unumschränkten Monarchie Spaniens an der Tagesordnung wäre, ist eine Ver¬
einfachung der Verwaltung zu Gunsten der communalen und provinzialen Un¬
abhängigkeit undenkbar. Es läge zu sehr im Interesse der kämpfenden Coterien,
ein möglichst großes Feld zur Versorgung ihrer Anhänger zu haben und die
niedergehaltene öffentliche Meinung könnte dagegen sich nicht geltend machen. Im
constitutionellen Staate steht der Parteikampf im Parlament zu guter Letzt doch
unter nationaler Controle und kann sich nicht völlig in das Getriebe des persön¬
lichen Egoismus verlieren, der Parteikampf dagegen, der im Innern des Palastes ge¬
führt wird, hat nicht nöthig, sich dem Urtheil des Volkes zu unterwerfen. Wo, wie
in Spanien, seit Jahrhunderten die Korruption am Sitz der Gewalt ihr Lager auf¬
geschlagen hat, wird man sie nicht austreiben, wenn man diese Gewalt zur schranken¬
losen Herrin der Geschicke des Landes macht. Man darf aber auch mit Recht be-


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[0385] materiellen Fortschritt und die Wiederherstellung der äußern Macht Spaniens ge¬ währleisten kann. Die Doctrin ist jetzt sehr verbreitet, und besonders nach dem glücklichen Erfolg des französischen Decemberstaatsstreiches in Aufnahme gekommen, den Constitutionalismus als eine für den Continent gänzlich unpassende Staats¬ form zu erklären, zu deren Verwirklichung seit 1789 nutzlose Anstrengungen ver¬ wendet und die Thatkraft der festländischen Völker aus falsche und verderbliche Zwecke gelenkt sei. Um nur vou Spanien zu reden, so ist es nicht blos-bei den Verehrern jener Doctrin, sondern selbst bei vielen Anhängern des Repräsentativ¬ systemes Mode geworden, das spanische Verfassungswesen als eine eitle Komödie anzusehen, die ohne Nutzen für das Land aus dem selbstsüchtigen Ehrgeiz der Parteihäupter den erwünschten Tummelplatz darböte. Diese Ansicht beruht auf einer unhistorischen und oberflächlichen Beurtheilung der spanischen Verhältnisse. Das Hauptübel, woran die Repräsentativregierimg in Spanien krankt, das Heer nutzloser Beamten und Penstonaire, welche den Staatsschatz belasten und ein un- geheures Cvrruptionsmittel in der Hand der jedesmaligen Machthaber sind, hat es vou dem absoluten Regime überkomme». Wenn sich durch den langwierigen Kampf zwischen dem alten und neuen Systeme diese politische Landplage Spa¬ niens noch verschlimmert hat, so kann man das letztere nicht für die Folgen ver¬ antwortlich machen, die ans der schweren und hartnäckigen Krisis des Ueber¬ gangs entstanden sind. Die Frage ist nur: Würde die Restauration der unumschränkten Gewalt diese Uebelstände schneller heben, als die Fortdauer der hiesigen Zustände? ist serner diese Restauration überhaupt möglich? d. h. möglich nicht als augenblickliches Gelingen, sondern als dauernde Rückkehr zur Absolntie. Beides muß verneint werden. Ist es überhaupt möglich, das in allen Adern des öffentlichen Lebens einherschleichende Gift der Corruption herauszutreiben, so kann dies nur geschehen, wenn durch die Entwickelung freier Staatseinrichtun¬ gen die öffentliche Stimme die Reform der durch und durch schlechten Administra¬ tion erzwingt. Bei dem ewigen Wechselspiel der Palastintriguen, das in der unumschränkten Monarchie Spaniens an der Tagesordnung wäre, ist eine Ver¬ einfachung der Verwaltung zu Gunsten der communalen und provinzialen Un¬ abhängigkeit undenkbar. Es läge zu sehr im Interesse der kämpfenden Coterien, ein möglichst großes Feld zur Versorgung ihrer Anhänger zu haben und die niedergehaltene öffentliche Meinung könnte dagegen sich nicht geltend machen. Im constitutionellen Staate steht der Parteikampf im Parlament zu guter Letzt doch unter nationaler Controle und kann sich nicht völlig in das Getriebe des persön¬ lichen Egoismus verlieren, der Parteikampf dagegen, der im Innern des Palastes ge¬ führt wird, hat nicht nöthig, sich dem Urtheil des Volkes zu unterwerfen. Wo, wie in Spanien, seit Jahrhunderten die Korruption am Sitz der Gewalt ihr Lager auf¬ geschlagen hat, wird man sie nicht austreiben, wenn man diese Gewalt zur schranken¬ losen Herrin der Geschicke des Landes macht. Man darf aber auch mit Recht be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/385>, abgerufen am 22.12.2024.