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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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Der Oberst hatte den Wortwechsel gehört und steckte mit der Frage: "Was
giebt's denn da draußen?" den Kopf zur Thüre heraus.

"Sehen Sie mir, gnädiger Herr, zürnte jetzt der Diener, "da sage ich dem
alten Herrn, er könne Sie jetzt nicht sprechen; der aber nimmt davon gar keine
Notiz, und will durchaus hinein." .

Der Oberst, unwillig, sich in seiner Unterhaltung gestört zu sehen, runzelte
die Stirn und rief zornig: "Ach was, ich habe jetzt keine Zeit; der Alte soll
mich ungeschoren lassen." Mit diesen Worten schlug er die Thüre hinter sich zu.

Das war der Dienerschaft, die auf Gajcwski, der immer mit einer gewissen
Protcctormiene auf sie herabsah, einen Zahn hatte, Wasser auf die Mühle. Der
Alte wurde beim Kragen genommen und nicht auf die feinste Art ins Freie
geschoben.

Der Oberst hatte bald den unangenehmen Vorfall vergessen und das unter¬
brochene Gespräch wieder aufgenommen, als etwas an das Fenster des Gast¬
zimmers klopfte. Dec Hausherr öffnete und erblickte einen kleinen Bauernknaben,
der auf den Zehen stand, dem Oberst ein Zettelchen in die Hand steckte und dann
schnell davon lief. Es enthielt folgende Worte:


Ew. Hochwohlgeboren!

"Nicht meiner nichtssagenden Person, sondern der Uniform wegen, die ich trage und
"die beschimpft worden ist, sehe ich mich in die Nothwendigkett versetzt, von Ew. Hoch-
"wohlgcvoren sosort Genugthuung zu verlangen. Ich warte an der Mühle hinter
"dem Dorfe."


Dero unterthänigster Diener.
Gajewski.

"N. S> Ich ersuche Ew. Hochwohlgebornen kein Gefolge weiter mitzubringen, denn
"auch ich habe nnr meinen kleinen Burschen bei mir, und wünsche überhaupt, daß die
"Sache in der Stille abgemacht werde."

Dem Oberst war die Sache höchst unangenehm. Nicht daß er einen Gang
mit der Klinge gefürchtet hätte, denn er war ein tüchtiger. Schläger und hatte
zahlreiche Beweise seines. Muthes gegeben; aber es that ihm wehe, daß er den
Alten in der ersten Hitze beleidigt hatte. Er bat die anwesenden Gäste um
Entschuldigung, daß er sie eines wichtigen Geschäftes wegen auf einige Augenblicke
verlassen müsse, schnallte sich den Säbel um, und ritt, nur von einem einzigen Kosacken
gefolgt, nach der Mühle zu.

Gleich hinter dem Dorfe, unweit der sich an ein kleines Gehölz anlehnenden
Mühle, stand ein bescheidenes Wäglein, dessen Bespannung, ein alter, schwacher
Walach, die Grashalme abweidete, welche zu seinen Füßen wuchsen. Neben dem
elenden Gaule lag ein kleiner Knabe lang ans den Boden hingestreckt und schlief;
Gajcwski dagegen saß, den Kopf ans beide Hände gestützt, auf einem Bund Heu,
das die Stelle des Sitzes zu vertreten hatte und sang ein geistliches Lied.

Sobald der Oberst an Ort und Stelle angelangt und abgestiegen war,
kroch der Alte von seinem Bündel herunter, zog die Mütze und verneigte sich tief


Der Oberst hatte den Wortwechsel gehört und steckte mit der Frage: „Was
giebt's denn da draußen?" den Kopf zur Thüre heraus.

„Sehen Sie mir, gnädiger Herr, zürnte jetzt der Diener, „da sage ich dem
alten Herrn, er könne Sie jetzt nicht sprechen; der aber nimmt davon gar keine
Notiz, und will durchaus hinein." .

Der Oberst, unwillig, sich in seiner Unterhaltung gestört zu sehen, runzelte
die Stirn und rief zornig: „Ach was, ich habe jetzt keine Zeit; der Alte soll
mich ungeschoren lassen." Mit diesen Worten schlug er die Thüre hinter sich zu.

Das war der Dienerschaft, die auf Gajcwski, der immer mit einer gewissen
Protcctormiene auf sie herabsah, einen Zahn hatte, Wasser auf die Mühle. Der
Alte wurde beim Kragen genommen und nicht auf die feinste Art ins Freie
geschoben.

Der Oberst hatte bald den unangenehmen Vorfall vergessen und das unter¬
brochene Gespräch wieder aufgenommen, als etwas an das Fenster des Gast¬
zimmers klopfte. Dec Hausherr öffnete und erblickte einen kleinen Bauernknaben,
der auf den Zehen stand, dem Oberst ein Zettelchen in die Hand steckte und dann
schnell davon lief. Es enthielt folgende Worte:


Ew. Hochwohlgeboren!

„Nicht meiner nichtssagenden Person, sondern der Uniform wegen, die ich trage und
„die beschimpft worden ist, sehe ich mich in die Nothwendigkett versetzt, von Ew. Hoch-
„wohlgcvoren sosort Genugthuung zu verlangen. Ich warte an der Mühle hinter
„dem Dorfe."


Dero unterthänigster Diener.
Gajewski.

„N. S> Ich ersuche Ew. Hochwohlgebornen kein Gefolge weiter mitzubringen, denn
„auch ich habe nnr meinen kleinen Burschen bei mir, und wünsche überhaupt, daß die
„Sache in der Stille abgemacht werde."

Dem Oberst war die Sache höchst unangenehm. Nicht daß er einen Gang
mit der Klinge gefürchtet hätte, denn er war ein tüchtiger. Schläger und hatte
zahlreiche Beweise seines. Muthes gegeben; aber es that ihm wehe, daß er den
Alten in der ersten Hitze beleidigt hatte. Er bat die anwesenden Gäste um
Entschuldigung, daß er sie eines wichtigen Geschäftes wegen auf einige Augenblicke
verlassen müsse, schnallte sich den Säbel um, und ritt, nur von einem einzigen Kosacken
gefolgt, nach der Mühle zu.

Gleich hinter dem Dorfe, unweit der sich an ein kleines Gehölz anlehnenden
Mühle, stand ein bescheidenes Wäglein, dessen Bespannung, ein alter, schwacher
Walach, die Grashalme abweidete, welche zu seinen Füßen wuchsen. Neben dem
elenden Gaule lag ein kleiner Knabe lang ans den Boden hingestreckt und schlief;
Gajcwski dagegen saß, den Kopf ans beide Hände gestützt, auf einem Bund Heu,
das die Stelle des Sitzes zu vertreten hatte und sang ein geistliches Lied.

Sobald der Oberst an Ort und Stelle angelangt und abgestiegen war,
kroch der Alte von seinem Bündel herunter, zog die Mütze und verneigte sich tief


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[0344] Der Oberst hatte den Wortwechsel gehört und steckte mit der Frage: „Was giebt's denn da draußen?" den Kopf zur Thüre heraus. „Sehen Sie mir, gnädiger Herr, zürnte jetzt der Diener, „da sage ich dem alten Herrn, er könne Sie jetzt nicht sprechen; der aber nimmt davon gar keine Notiz, und will durchaus hinein." . Der Oberst, unwillig, sich in seiner Unterhaltung gestört zu sehen, runzelte die Stirn und rief zornig: „Ach was, ich habe jetzt keine Zeit; der Alte soll mich ungeschoren lassen." Mit diesen Worten schlug er die Thüre hinter sich zu. Das war der Dienerschaft, die auf Gajcwski, der immer mit einer gewissen Protcctormiene auf sie herabsah, einen Zahn hatte, Wasser auf die Mühle. Der Alte wurde beim Kragen genommen und nicht auf die feinste Art ins Freie geschoben. Der Oberst hatte bald den unangenehmen Vorfall vergessen und das unter¬ brochene Gespräch wieder aufgenommen, als etwas an das Fenster des Gast¬ zimmers klopfte. Dec Hausherr öffnete und erblickte einen kleinen Bauernknaben, der auf den Zehen stand, dem Oberst ein Zettelchen in die Hand steckte und dann schnell davon lief. Es enthielt folgende Worte: Ew. Hochwohlgeboren! „Nicht meiner nichtssagenden Person, sondern der Uniform wegen, die ich trage und „die beschimpft worden ist, sehe ich mich in die Nothwendigkett versetzt, von Ew. Hoch- „wohlgcvoren sosort Genugthuung zu verlangen. Ich warte an der Mühle hinter „dem Dorfe." Dero unterthänigster Diener. Gajewski. „N. S> Ich ersuche Ew. Hochwohlgebornen kein Gefolge weiter mitzubringen, denn „auch ich habe nnr meinen kleinen Burschen bei mir, und wünsche überhaupt, daß die „Sache in der Stille abgemacht werde." Dem Oberst war die Sache höchst unangenehm. Nicht daß er einen Gang mit der Klinge gefürchtet hätte, denn er war ein tüchtiger. Schläger und hatte zahlreiche Beweise seines. Muthes gegeben; aber es that ihm wehe, daß er den Alten in der ersten Hitze beleidigt hatte. Er bat die anwesenden Gäste um Entschuldigung, daß er sie eines wichtigen Geschäftes wegen auf einige Augenblicke verlassen müsse, schnallte sich den Säbel um, und ritt, nur von einem einzigen Kosacken gefolgt, nach der Mühle zu. Gleich hinter dem Dorfe, unweit der sich an ein kleines Gehölz anlehnenden Mühle, stand ein bescheidenes Wäglein, dessen Bespannung, ein alter, schwacher Walach, die Grashalme abweidete, welche zu seinen Füßen wuchsen. Neben dem elenden Gaule lag ein kleiner Knabe lang ans den Boden hingestreckt und schlief; Gajcwski dagegen saß, den Kopf ans beide Hände gestützt, auf einem Bund Heu, das die Stelle des Sitzes zu vertreten hatte und sang ein geistliches Lied. Sobald der Oberst an Ort und Stelle angelangt und abgestiegen war, kroch der Alte von seinem Bündel herunter, zog die Mütze und verneigte sich tief

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/344>, abgerufen am 22.12.2024.