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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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Kammerdiener, zeigte eine unermüdliche Dienstfertigkeit und große Ehrfurcht, die
nach dem zweiten Litre Wein so weit stieg, daß er mir wiederholt die Hände zu
küssen versuchte, und mich zur Excellenz und zuletzt zum Fürsten machte.

Das war meine Reisegesellschaft, ich hatte Aussicht, mit ihr in dem schreck¬
lichen Wagen einen ganzen heißen Tag zu verleben; es war mir nicht zu-ver¬
denken, daß ich auf dem Nemoursplatze von Konstantine die ganze dramatische
Kunst verfluchte. Nach einem Zaudern von 2 Stunden, gegen 8 Uhr, setzte sich
der schwerbepackte Omnibus in Bewegung. Ein Gespann von sechs starken Maul-
thieren, die durch einen provenyalischen Postillon in blauer Blouse vom Bocke
regiert wurden, hatten die schwere Aufgabe, unsre Arche fortzuschaffen. Ich
schied mit einem herzlichen Händedruck von den französischen Officieren, deren
liebenswürdige Gastfreundschaft die angenehmste Erinnerung an meinen Aufent¬
halt in der Provinz geblieben ist, der alte Conducteur, mit Säbel und Pistolen
martialisch bewaffnet, kletterte auf das hohe Dach des Omnibus, ihm nach ein
ebenso gerüsterer Gensdarm unsrer Escorte, die lange schwere Peitsche knallte, und
mit Geknarr setzte sich unser alter Kasten aus der unbeschreiblich schlechten Straße
in Bewegung. Nicht ohne Zank und Streit hatte sich die Schauspielergesellschaft
im Innern des Wagens geordnet. Die vielen alten Kisten mit allem möglichen
Theaterplunder waren auf dem Verdeck zur Höhe eines kleinen Hügels aufge-
thürmt. Den besten Eckplatz hatte man mir zugewiesen, neben mir saß der Di-
rector, mir gegenüber die hübsche Schwester, und so konnte ich noch allenfalls
zufrieden sein.

Von dem hohen Felsen, auf welchem Konstantine liegt, führt eine steile
Stiege herab in das schone Thal El Hamma, an allen vier Rädern wurde der
.Wagen gehemmt, und doch hatten die Thiere genug zu thun, ihn aufzuhalten.
Seit ich die hohe Felsenfestung Constantine näher betrachtet, habe ich den größten
Respect vor den französischen Sturmcolonnen bekommen, welche dasselbe trotz der
hartnäckigen Gegenwehr der Araber einnahmen. Hoch wie ein Adlernest, von
allen Seiten frei, liegt es auf dem steilen Felsen. Es erscheint seiner natürlichen
Lage nach für ein militärisches Auge geradezu uneinnehmbar. Die Eroberung war
aber auch eine der glänzendsten Waffenthaten, welche das französische Heer je verrichtet
hat, sie zeigt wieder, daß selbst unter den ungünstigsten Verhältnissen eine streng
disciplinirte Truppe auch über die wildeste Tapferkeit, welche ungezügelt ist, den
Sieg davonträgt. Viele Opfer hat es gekostet, bevor der Halbmond von der
.Casspci von Constantine heruntergeworfen und die Tricolore, wol für lange Zeit,
dort ausgesteckt wurde, die Cabylen und Beduinen wußten, daß sie dort oben
ihr letztes Bollwerk vertheidigten, und kämpften von den Marabuts aufgestachelt mit
fanatischer Wuth. General Damremont, welcher die Expedition leitete, erkaufte mit
leinem Blut die Einnahme des Platzes, er fiel auf der Sturmbresche sterbend in
die Arme des Herzogs von Nemours, welcher neben ihm eindrang. Dem braven


Kammerdiener, zeigte eine unermüdliche Dienstfertigkeit und große Ehrfurcht, die
nach dem zweiten Litre Wein so weit stieg, daß er mir wiederholt die Hände zu
küssen versuchte, und mich zur Excellenz und zuletzt zum Fürsten machte.

Das war meine Reisegesellschaft, ich hatte Aussicht, mit ihr in dem schreck¬
lichen Wagen einen ganzen heißen Tag zu verleben; es war mir nicht zu-ver¬
denken, daß ich auf dem Nemoursplatze von Konstantine die ganze dramatische
Kunst verfluchte. Nach einem Zaudern von 2 Stunden, gegen 8 Uhr, setzte sich
der schwerbepackte Omnibus in Bewegung. Ein Gespann von sechs starken Maul-
thieren, die durch einen provenyalischen Postillon in blauer Blouse vom Bocke
regiert wurden, hatten die schwere Aufgabe, unsre Arche fortzuschaffen. Ich
schied mit einem herzlichen Händedruck von den französischen Officieren, deren
liebenswürdige Gastfreundschaft die angenehmste Erinnerung an meinen Aufent¬
halt in der Provinz geblieben ist, der alte Conducteur, mit Säbel und Pistolen
martialisch bewaffnet, kletterte auf das hohe Dach des Omnibus, ihm nach ein
ebenso gerüsterer Gensdarm unsrer Escorte, die lange schwere Peitsche knallte, und
mit Geknarr setzte sich unser alter Kasten aus der unbeschreiblich schlechten Straße
in Bewegung. Nicht ohne Zank und Streit hatte sich die Schauspielergesellschaft
im Innern des Wagens geordnet. Die vielen alten Kisten mit allem möglichen
Theaterplunder waren auf dem Verdeck zur Höhe eines kleinen Hügels aufge-
thürmt. Den besten Eckplatz hatte man mir zugewiesen, neben mir saß der Di-
rector, mir gegenüber die hübsche Schwester, und so konnte ich noch allenfalls
zufrieden sein.

Von dem hohen Felsen, auf welchem Konstantine liegt, führt eine steile
Stiege herab in das schone Thal El Hamma, an allen vier Rädern wurde der
.Wagen gehemmt, und doch hatten die Thiere genug zu thun, ihn aufzuhalten.
Seit ich die hohe Felsenfestung Constantine näher betrachtet, habe ich den größten
Respect vor den französischen Sturmcolonnen bekommen, welche dasselbe trotz der
hartnäckigen Gegenwehr der Araber einnahmen. Hoch wie ein Adlernest, von
allen Seiten frei, liegt es auf dem steilen Felsen. Es erscheint seiner natürlichen
Lage nach für ein militärisches Auge geradezu uneinnehmbar. Die Eroberung war
aber auch eine der glänzendsten Waffenthaten, welche das französische Heer je verrichtet
hat, sie zeigt wieder, daß selbst unter den ungünstigsten Verhältnissen eine streng
disciplinirte Truppe auch über die wildeste Tapferkeit, welche ungezügelt ist, den
Sieg davonträgt. Viele Opfer hat es gekostet, bevor der Halbmond von der
.Casspci von Constantine heruntergeworfen und die Tricolore, wol für lange Zeit,
dort ausgesteckt wurde, die Cabylen und Beduinen wußten, daß sie dort oben
ihr letztes Bollwerk vertheidigten, und kämpften von den Marabuts aufgestachelt mit
fanatischer Wuth. General Damremont, welcher die Expedition leitete, erkaufte mit
leinem Blut die Einnahme des Platzes, er fiel auf der Sturmbresche sterbend in
die Arme des Herzogs von Nemours, welcher neben ihm eindrang. Dem braven


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[0337] Kammerdiener, zeigte eine unermüdliche Dienstfertigkeit und große Ehrfurcht, die nach dem zweiten Litre Wein so weit stieg, daß er mir wiederholt die Hände zu küssen versuchte, und mich zur Excellenz und zuletzt zum Fürsten machte. Das war meine Reisegesellschaft, ich hatte Aussicht, mit ihr in dem schreck¬ lichen Wagen einen ganzen heißen Tag zu verleben; es war mir nicht zu-ver¬ denken, daß ich auf dem Nemoursplatze von Konstantine die ganze dramatische Kunst verfluchte. Nach einem Zaudern von 2 Stunden, gegen 8 Uhr, setzte sich der schwerbepackte Omnibus in Bewegung. Ein Gespann von sechs starken Maul- thieren, die durch einen provenyalischen Postillon in blauer Blouse vom Bocke regiert wurden, hatten die schwere Aufgabe, unsre Arche fortzuschaffen. Ich schied mit einem herzlichen Händedruck von den französischen Officieren, deren liebenswürdige Gastfreundschaft die angenehmste Erinnerung an meinen Aufent¬ halt in der Provinz geblieben ist, der alte Conducteur, mit Säbel und Pistolen martialisch bewaffnet, kletterte auf das hohe Dach des Omnibus, ihm nach ein ebenso gerüsterer Gensdarm unsrer Escorte, die lange schwere Peitsche knallte, und mit Geknarr setzte sich unser alter Kasten aus der unbeschreiblich schlechten Straße in Bewegung. Nicht ohne Zank und Streit hatte sich die Schauspielergesellschaft im Innern des Wagens geordnet. Die vielen alten Kisten mit allem möglichen Theaterplunder waren auf dem Verdeck zur Höhe eines kleinen Hügels aufge- thürmt. Den besten Eckplatz hatte man mir zugewiesen, neben mir saß der Di- rector, mir gegenüber die hübsche Schwester, und so konnte ich noch allenfalls zufrieden sein. Von dem hohen Felsen, auf welchem Konstantine liegt, führt eine steile Stiege herab in das schone Thal El Hamma, an allen vier Rädern wurde der .Wagen gehemmt, und doch hatten die Thiere genug zu thun, ihn aufzuhalten. Seit ich die hohe Felsenfestung Constantine näher betrachtet, habe ich den größten Respect vor den französischen Sturmcolonnen bekommen, welche dasselbe trotz der hartnäckigen Gegenwehr der Araber einnahmen. Hoch wie ein Adlernest, von allen Seiten frei, liegt es auf dem steilen Felsen. Es erscheint seiner natürlichen Lage nach für ein militärisches Auge geradezu uneinnehmbar. Die Eroberung war aber auch eine der glänzendsten Waffenthaten, welche das französische Heer je verrichtet hat, sie zeigt wieder, daß selbst unter den ungünstigsten Verhältnissen eine streng disciplinirte Truppe auch über die wildeste Tapferkeit, welche ungezügelt ist, den Sieg davonträgt. Viele Opfer hat es gekostet, bevor der Halbmond von der .Casspci von Constantine heruntergeworfen und die Tricolore, wol für lange Zeit, dort ausgesteckt wurde, die Cabylen und Beduinen wußten, daß sie dort oben ihr letztes Bollwerk vertheidigten, und kämpften von den Marabuts aufgestachelt mit fanatischer Wuth. General Damremont, welcher die Expedition leitete, erkaufte mit leinem Blut die Einnahme des Platzes, er fiel auf der Sturmbresche sterbend in die Arme des Herzogs von Nemours, welcher neben ihm eindrang. Dem braven

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/337>, abgerufen am 22.12.2024.