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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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Großes zu leisten. Mit wahrhaft empörender Kaltblütigkeit speculirte der Ganner
von Vater aus die heranblühcnden Reize seiner Tochter, und meinte,' in drei bis
vier Jahren sei dieselbe eine bslllssirrm Zormg , der es an vornehmen Anbetern
nicht fehlen könne; dann sei anch sein Glück gemacht. Komisch war deshalb der
Eifer, mit welchem er gegen den Beamten des Omnibus die halberwachsene Toch¬
ter als sein Minor, Kätzchen, als sein Schooßkind, als sein Wickelkind darstellen
wollte, damit er keinen Platz für dieselbe zu bezahlen hätte. Er bewies die außer-
ordentliche Kleinheit dieses kleinen Mädchens mit so unerschöpflicher Suada, daß
der Beamte endlich, überwältigt und betäubt, ihm Recht gab. Mit nicht ge¬
ringerer Schlauheit wußte er später überall das Bezahlen des Trinkgeldes zu um¬
gehen. Er ließ sich die größten Grobheiten aller Art sagen, ja sogar mit Schlä¬
gen drohen, ohne anch nur eine Miene zu verziehen, wenn er dadurch nnr einige
Sons ersparen konnte. Die zweite Dame der Gesellschaft, eine verblühte Schön¬
heit, mit den Manieren einer ausgelernten Sängerin, und der erste Tenorist,
ihr Freund, ein frecher Patron mit echt jüdischem Typus, waren wenig merk¬
würdig, außer etwa dadurch, daß später in Philippeville der Tenorist die größten
Ohrseigen bekam, die ich je habe appliciren sehen. Ein stämmiger Sergeant
der Fremdenlegion, ein ehrlicher Altbayer, hatte mit der einen Hand den spru¬
delnden Komödianten an die Wand gedrückt und hieb ihm mit der andern rechts
und links auf die Backen, daß es laut schallte, ohne daß der Bayer sich die
Mühe nahm, anch nur ein Wort zu sprechen, und mit schadenfrohem Grinsen
sah der Director dieser Strafprocedur zu, welche an seinem Heldeutenvr vollzogen
wurde. Viele Conlissencabalen und Heiserkeiten sah er jetzs dnrch das Schicksal
gerächt. Vergebens schrie der Tenor während des Strasacts: "Zu Hilfe!" und
"Mörder!". Nur die Prima-Donna stürzte aus der Schenke heraus, dem Ge¬
liebten zu helfen, und traitee sich wie eine kampfgeübte Amazone an den Sol¬
daten an; der riesige Bayer aber schüttelte die neue Gegnerin leicht ab und sagte
mit liebenswürdigem Phlegma: "Gebt a Ruh, Franke, oder Ihr schaut a Pratzen",
und setzte sie dabei auf die Erde nieder, woraus er seinen Weg ruhig fortsetzte,
ohne die Fluth der französischen und italienischen Schimpfwörter, welche das
Paar ihm nachschleuderte, zu beachten, wie ein Bär, welcher stolz die zerfetzten
Jagdhunde zurückläßt. Vom Nest der Gesellschaft fielen noch zwei Schwestern in
die Augen, die ältere noch erträglich hübsch und von einigermaßen anständigem
Benehmen, die jüngere ein freundliches Mädchen von kaum Is Jahren, welche
ihre natürliche Heiterkeit und ungezierte Naivetät noch nicht ganz verloren hatte.
Es war peinlich, die Kleine in so schlechter Gesellschaft zu sehen, denn sie schien
eines bessern Looses nicht unwerth. Unter den Männern war der Baßbuffo, ein
alter gutmüthiger Kautz, der zwar viel trank und dann durchaus nicht zweideutige
Lieder sang, sich sonst aber bescheiden, gefällig und äußerst ergeben zeigte. Er
betrachtete sich nach einem Maß Wein, das ich ihm einschenken ließ, als meinen


Großes zu leisten. Mit wahrhaft empörender Kaltblütigkeit speculirte der Ganner
von Vater aus die heranblühcnden Reize seiner Tochter, und meinte,' in drei bis
vier Jahren sei dieselbe eine bslllssirrm Zormg , der es an vornehmen Anbetern
nicht fehlen könne; dann sei anch sein Glück gemacht. Komisch war deshalb der
Eifer, mit welchem er gegen den Beamten des Omnibus die halberwachsene Toch¬
ter als sein Minor, Kätzchen, als sein Schooßkind, als sein Wickelkind darstellen
wollte, damit er keinen Platz für dieselbe zu bezahlen hätte. Er bewies die außer-
ordentliche Kleinheit dieses kleinen Mädchens mit so unerschöpflicher Suada, daß
der Beamte endlich, überwältigt und betäubt, ihm Recht gab. Mit nicht ge¬
ringerer Schlauheit wußte er später überall das Bezahlen des Trinkgeldes zu um¬
gehen. Er ließ sich die größten Grobheiten aller Art sagen, ja sogar mit Schlä¬
gen drohen, ohne anch nur eine Miene zu verziehen, wenn er dadurch nnr einige
Sons ersparen konnte. Die zweite Dame der Gesellschaft, eine verblühte Schön¬
heit, mit den Manieren einer ausgelernten Sängerin, und der erste Tenorist,
ihr Freund, ein frecher Patron mit echt jüdischem Typus, waren wenig merk¬
würdig, außer etwa dadurch, daß später in Philippeville der Tenorist die größten
Ohrseigen bekam, die ich je habe appliciren sehen. Ein stämmiger Sergeant
der Fremdenlegion, ein ehrlicher Altbayer, hatte mit der einen Hand den spru¬
delnden Komödianten an die Wand gedrückt und hieb ihm mit der andern rechts
und links auf die Backen, daß es laut schallte, ohne daß der Bayer sich die
Mühe nahm, anch nur ein Wort zu sprechen, und mit schadenfrohem Grinsen
sah der Director dieser Strafprocedur zu, welche an seinem Heldeutenvr vollzogen
wurde. Viele Conlissencabalen und Heiserkeiten sah er jetzs dnrch das Schicksal
gerächt. Vergebens schrie der Tenor während des Strasacts: „Zu Hilfe!" und
„Mörder!". Nur die Prima-Donna stürzte aus der Schenke heraus, dem Ge¬
liebten zu helfen, und traitee sich wie eine kampfgeübte Amazone an den Sol¬
daten an; der riesige Bayer aber schüttelte die neue Gegnerin leicht ab und sagte
mit liebenswürdigem Phlegma: „Gebt a Ruh, Franke, oder Ihr schaut a Pratzen",
und setzte sie dabei auf die Erde nieder, woraus er seinen Weg ruhig fortsetzte,
ohne die Fluth der französischen und italienischen Schimpfwörter, welche das
Paar ihm nachschleuderte, zu beachten, wie ein Bär, welcher stolz die zerfetzten
Jagdhunde zurückläßt. Vom Nest der Gesellschaft fielen noch zwei Schwestern in
die Augen, die ältere noch erträglich hübsch und von einigermaßen anständigem
Benehmen, die jüngere ein freundliches Mädchen von kaum Is Jahren, welche
ihre natürliche Heiterkeit und ungezierte Naivetät noch nicht ganz verloren hatte.
Es war peinlich, die Kleine in so schlechter Gesellschaft zu sehen, denn sie schien
eines bessern Looses nicht unwerth. Unter den Männern war der Baßbuffo, ein
alter gutmüthiger Kautz, der zwar viel trank und dann durchaus nicht zweideutige
Lieder sang, sich sonst aber bescheiden, gefällig und äußerst ergeben zeigte. Er
betrachtete sich nach einem Maß Wein, das ich ihm einschenken ließ, als meinen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/336>, abgerufen am 22.12.2024.