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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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Wir warteten wol eine halbe Stunde, ohne daß der unheimliche Wagen
ein die Reise dachte. Mein Gastfreund fing bereits an, ans Arabisch und Fran¬
zösisch tüchtig durcheinander zu fluchen und mit kräftigen Fußtritten gegen die
verschlossene Thür des Bureaus zu donnern, siehe, da kam über den menschen¬
leeren Platz ein seltsamer Trupp auf das Bureau zugeschritten. Es war die ita¬
lienische Operngesellschaft, die gestern noch den Belisario so schrecklich verarbeitet
hatte; ja, sie war es', auch sie wollte abreisen, nud ich hatte das Vergnügen,
ihr Gefährte bis zur See und ihr Gefährte auf dem Dämpfer bis nach Algier
und weiß Gott wohin sonst noch zu werden.

Wählend meine Kameraden sich schnell in ein Gespräch mit den jungen
Damen einließen, musterte ich die Bande, welche sich übrigens sehr bald um
uns hernmdrängte und nichts weniger als steife Zurückhaltung zeigte. Sie be¬
stand ans drei Männern, vier Damen und einigen Kindern verschiedenen Kali¬
bers. Da war zuerst der Impressario., oder wie er sich lieber nennen ließ,
monsisur le cliröcitöur, ein halber Italiener aus Nizza, ein langer, hagerer
Gesell mit scharf markirten, recht confiscirten Gesicht, in dem seine Nase wie
ein Geierschnabel saß. Auf der Reise erzählte er mir mit unerschöpflicher Zun¬
genfertigkeit, was er schon Alles gewesen sei, bevor er sich entschlossen, die Be¬
schwerden und den Geldmangel eines Theaterdircctors zu ertrage". Zuerst Koch,
dann Säuger bei einer Bühne, dann Besitzer einer Menagerie und später Restau-
rateur, endlich Unternehmer einer Operngesellschaft von Algier, Bona, Oran,
Constantine u. s. w. - Der Kerl war gemein, recht kriechend, durch und durch
ein Gauner und Schuft und hätte gewiß seine Seele nicht allzutheuer verkauft,
wenn sich ein Verkäufer zu solch schmuzigen Ding gesunden hätte; aber amüsant,
sehr amusant war er doch, er machte übrigens gar kein Hehl aus seiner mora¬
lischen Gemeinheit, oder vielmehr er konnte sie nicht verbergen, denn er wußte
offenbar gar nicht, welch großer Lump er war. Das Gegenstück war seine Gat¬
tin, seine rechtmäßig durch Priesterhand angetraute Frau; wie er mir gleich in
der ersten Viertelstunde unsrer Bekanntschaft als etwas Besonderes erzählte, und
dabei unaufgefordert, als wenn ich diese Merkwürdigkeit sonst nicht hätte glau¬
ben können, aus' einer Menge schmuziger Papiers seinen Trauschein hervor¬
suchte und mir diesen mit großer Devotion präsentirte. Diese majestätische
angetraute Gattin hatte den Charakter eines dicken Fischweibcö. Der dun¬
kelrothe Wein der Provence glänzte ihr von Nase und Wangen, rothe Schminke
hatte die Dame nicht nöthig; sie sang die Anstandsdamen und Heldenmutter, am
liebsten repräsentirte sie, wie mir ihr Gemahl erzählte, in Nebenrollen, da ihr
ti<? starken häuslichen Geschäfte das Einstudiren großer Partien unmöglich machten.
Merkwürdiger Weise hatte dieses Ehepaar ein bildhübsches Töchterlein von 11 bis
^2 Jahren, ein reizendes Kind, aber Antonina war ebenso kokett, ja abgefeimt,
wie sie hübsch war, und versprach, in wenig Jahren nach dieser Richtung hin


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Wir warteten wol eine halbe Stunde, ohne daß der unheimliche Wagen
ein die Reise dachte. Mein Gastfreund fing bereits an, ans Arabisch und Fran¬
zösisch tüchtig durcheinander zu fluchen und mit kräftigen Fußtritten gegen die
verschlossene Thür des Bureaus zu donnern, siehe, da kam über den menschen¬
leeren Platz ein seltsamer Trupp auf das Bureau zugeschritten. Es war die ita¬
lienische Operngesellschaft, die gestern noch den Belisario so schrecklich verarbeitet
hatte; ja, sie war es', auch sie wollte abreisen, nud ich hatte das Vergnügen,
ihr Gefährte bis zur See und ihr Gefährte auf dem Dämpfer bis nach Algier
und weiß Gott wohin sonst noch zu werden.

Wählend meine Kameraden sich schnell in ein Gespräch mit den jungen
Damen einließen, musterte ich die Bande, welche sich übrigens sehr bald um
uns hernmdrängte und nichts weniger als steife Zurückhaltung zeigte. Sie be¬
stand ans drei Männern, vier Damen und einigen Kindern verschiedenen Kali¬
bers. Da war zuerst der Impressario., oder wie er sich lieber nennen ließ,
monsisur le cliröcitöur, ein halber Italiener aus Nizza, ein langer, hagerer
Gesell mit scharf markirten, recht confiscirten Gesicht, in dem seine Nase wie
ein Geierschnabel saß. Auf der Reise erzählte er mir mit unerschöpflicher Zun¬
genfertigkeit, was er schon Alles gewesen sei, bevor er sich entschlossen, die Be¬
schwerden und den Geldmangel eines Theaterdircctors zu ertrage». Zuerst Koch,
dann Säuger bei einer Bühne, dann Besitzer einer Menagerie und später Restau-
rateur, endlich Unternehmer einer Operngesellschaft von Algier, Bona, Oran,
Constantine u. s. w. - Der Kerl war gemein, recht kriechend, durch und durch
ein Gauner und Schuft und hätte gewiß seine Seele nicht allzutheuer verkauft,
wenn sich ein Verkäufer zu solch schmuzigen Ding gesunden hätte; aber amüsant,
sehr amusant war er doch, er machte übrigens gar kein Hehl aus seiner mora¬
lischen Gemeinheit, oder vielmehr er konnte sie nicht verbergen, denn er wußte
offenbar gar nicht, welch großer Lump er war. Das Gegenstück war seine Gat¬
tin, seine rechtmäßig durch Priesterhand angetraute Frau; wie er mir gleich in
der ersten Viertelstunde unsrer Bekanntschaft als etwas Besonderes erzählte, und
dabei unaufgefordert, als wenn ich diese Merkwürdigkeit sonst nicht hätte glau¬
ben können, aus' einer Menge schmuziger Papiers seinen Trauschein hervor¬
suchte und mir diesen mit großer Devotion präsentirte. Diese majestätische
angetraute Gattin hatte den Charakter eines dicken Fischweibcö. Der dun¬
kelrothe Wein der Provence glänzte ihr von Nase und Wangen, rothe Schminke
hatte die Dame nicht nöthig; sie sang die Anstandsdamen und Heldenmutter, am
liebsten repräsentirte sie, wie mir ihr Gemahl erzählte, in Nebenrollen, da ihr
ti<? starken häuslichen Geschäfte das Einstudiren großer Partien unmöglich machten.
Merkwürdiger Weise hatte dieses Ehepaar ein bildhübsches Töchterlein von 11 bis
^2 Jahren, ein reizendes Kind, aber Antonina war ebenso kokett, ja abgefeimt,
wie sie hübsch war, und versprach, in wenig Jahren nach dieser Richtung hin


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/335>, abgerufen am 22.12.2024.