Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.vertritt. -- Der Domchor, dessen Vortrefflichkeit in Ausführung chorischer Kom¬ vertritt. — Der Domchor, dessen Vortrefflichkeit in Ausführung chorischer Kom¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0322" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/94763"/> <p xml:id="ID_974" prev="#ID_973" next="#ID_975"> vertritt. — Der Domchor, dessen Vortrefflichkeit in Ausführung chorischer Kom¬<lb/> positionen a caMW schon seit einigen Jahren bekannt ist, ist in diesem Winter<lb/> in einer Weise hervorgetreten, die ihn für das gesammte musikalische Treiben be¬<lb/> deutender macht als bisher. Denn seine kirchliche Thätigkeit hat kein großes<lb/> Interesse sür die Kunst, weil die beim Gottesdienst von ihm gesungenen Kompo¬<lb/> sitionen meistens von geringem Werth sind. Nur eine, kürzlich erst eingeführte<lb/> Form des Cultus bot ihm Gelegenheit, selbstständiger hervorzutreten, die sogenannten<lb/> liturgischen Andachten, deren jährlich etwa zehn in der Domkirche, meistens in<lb/> der Zeit der, großen Feste stattfinden. Dieselben währen eine bis anderthalb<lb/> Stunden, und bestehen abwechselnd ans Gemeindegesang, Chorgesang und biblischen<lb/> Vorlesungen des am Altare stehenden Predigers. Abgesehen von dem kirchlichen<lb/> Zwecke findet auch die Musik ihren Vortheil dabei, indem ziemlich viele ältere<lb/> Musikstücke von italienischen und deutscheu Meistern-in den liturgischen Andachten<lb/> zur Aufführung kommen. Wie es sich denken läßt, ist hie Kirche stets überfüllt,<lb/> und der Sinn für Compositionen, die in melodischer und harmonischer Beziehung<lb/> der Neuzeit zwar bedeutend nachstehn, dafür aber Raum zur Entfaltung des sinn¬<lb/> lichen Elements in der Stimme geben, wird immer mehr verbreitet. Doch war<lb/> anch diese Form von äußeren Bedingungen aller Art noch eingeschränkt, und es kann<lb/> daher als ein wichtiges Ereigniß in unsrem Kunstleben betrachtet werden, daß<lb/> der Domchor im vorigen Winter eine Reihe selbstständiger Concerte zu veranstalten<lb/> begann. Die erste Organisation derselben entsprach nicht vollständig der Idee<lb/> und kann nnr als ein vorläufiger, unsicherer Versuch betrachtet werden. Neben<lb/> kirchlichen Chören a eapoll-r, stehen Instrumentalmusik in einem ungünstigen Ver¬<lb/> hältniß. sowol die Klangfarbe als die Art der Komposition selbst ist zu ver¬<lb/> schieden. Die Extreme der Musik siud unmittelbar nebeneinander gerückt. Die<lb/> Aufgabe der Domchor-Concerte ist einerseits, gute Gesang-Leistungen dem Publi-<lb/> cum vorzuführen, andererseits alle diejenigen kirchlichen Werke der Gegenwart<lb/> wieder zugänglich zu machen, die, in einen kleineren Rahmen gefaßt, nicht von<lb/> Massenwirkungen abhängig sind. Denn zu großen Oratorien, wie es die Hän-<lb/> del'schen, Haydn'schen, Mendelssohn'schen sind, reichen die Kräfte des Domchvrs<lb/> nicht hin, der im Ganzen nur ans 70—80 Mitgliedern besteht. Aber trotzdem<lb/> bleibt ihm ein sehr großes, fast übergroßes Terrain: namentlich das 17. und 18.<lb/> Jahrhundert ist unübersehbar reich an Psalmen, Motetten, Cantaten u. tgi.,<lb/> theils a eapeUa, theils für kleines Orchester (bisweilen wenige Instrumente),<lb/> theils mit Orgelbegleitung, die durch Clavier ersetzt werden könnte, nicht selten<lb/> sür bloßen Chor, hin und wieder anch mit Soli's abwechselnd. Auf diesem Ge¬<lb/> biet ist bei der großen Verschiedenartigkeit der Style, die in zwei bis drei Jahr¬<lb/> hunderten ausgebildet worden sind, und bei der unendlichen Mannichfaltigkeit der<lb/> Stimmcombinationen Monotonie keineswegs zu befürchten; aber freilich ist es<lb/> dazu erforderlich, daß sich der Domchor durch allerseits angeknüpfte Privatver-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0322]
vertritt. — Der Domchor, dessen Vortrefflichkeit in Ausführung chorischer Kom¬
positionen a caMW schon seit einigen Jahren bekannt ist, ist in diesem Winter
in einer Weise hervorgetreten, die ihn für das gesammte musikalische Treiben be¬
deutender macht als bisher. Denn seine kirchliche Thätigkeit hat kein großes
Interesse sür die Kunst, weil die beim Gottesdienst von ihm gesungenen Kompo¬
sitionen meistens von geringem Werth sind. Nur eine, kürzlich erst eingeführte
Form des Cultus bot ihm Gelegenheit, selbstständiger hervorzutreten, die sogenannten
liturgischen Andachten, deren jährlich etwa zehn in der Domkirche, meistens in
der Zeit der, großen Feste stattfinden. Dieselben währen eine bis anderthalb
Stunden, und bestehen abwechselnd ans Gemeindegesang, Chorgesang und biblischen
Vorlesungen des am Altare stehenden Predigers. Abgesehen von dem kirchlichen
Zwecke findet auch die Musik ihren Vortheil dabei, indem ziemlich viele ältere
Musikstücke von italienischen und deutscheu Meistern-in den liturgischen Andachten
zur Aufführung kommen. Wie es sich denken läßt, ist hie Kirche stets überfüllt,
und der Sinn für Compositionen, die in melodischer und harmonischer Beziehung
der Neuzeit zwar bedeutend nachstehn, dafür aber Raum zur Entfaltung des sinn¬
lichen Elements in der Stimme geben, wird immer mehr verbreitet. Doch war
anch diese Form von äußeren Bedingungen aller Art noch eingeschränkt, und es kann
daher als ein wichtiges Ereigniß in unsrem Kunstleben betrachtet werden, daß
der Domchor im vorigen Winter eine Reihe selbstständiger Concerte zu veranstalten
begann. Die erste Organisation derselben entsprach nicht vollständig der Idee
und kann nnr als ein vorläufiger, unsicherer Versuch betrachtet werden. Neben
kirchlichen Chören a eapoll-r, stehen Instrumentalmusik in einem ungünstigen Ver¬
hältniß. sowol die Klangfarbe als die Art der Komposition selbst ist zu ver¬
schieden. Die Extreme der Musik siud unmittelbar nebeneinander gerückt. Die
Aufgabe der Domchor-Concerte ist einerseits, gute Gesang-Leistungen dem Publi-
cum vorzuführen, andererseits alle diejenigen kirchlichen Werke der Gegenwart
wieder zugänglich zu machen, die, in einen kleineren Rahmen gefaßt, nicht von
Massenwirkungen abhängig sind. Denn zu großen Oratorien, wie es die Hän-
del'schen, Haydn'schen, Mendelssohn'schen sind, reichen die Kräfte des Domchvrs
nicht hin, der im Ganzen nur ans 70—80 Mitgliedern besteht. Aber trotzdem
bleibt ihm ein sehr großes, fast übergroßes Terrain: namentlich das 17. und 18.
Jahrhundert ist unübersehbar reich an Psalmen, Motetten, Cantaten u. tgi.,
theils a eapeUa, theils für kleines Orchester (bisweilen wenige Instrumente),
theils mit Orgelbegleitung, die durch Clavier ersetzt werden könnte, nicht selten
sür bloßen Chor, hin und wieder anch mit Soli's abwechselnd. Auf diesem Ge¬
biet ist bei der großen Verschiedenartigkeit der Style, die in zwei bis drei Jahr¬
hunderten ausgebildet worden sind, und bei der unendlichen Mannichfaltigkeit der
Stimmcombinationen Monotonie keineswegs zu befürchten; aber freilich ist es
dazu erforderlich, daß sich der Domchor durch allerseits angeknüpfte Privatver-
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