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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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Beschaffenheit allerdings den Adel der Gesinnung und die Heiligkeit der Kunst¬
begeisterung begünstigen konnte. Rungenhagen's Kunstideal lag theils in Händel,
Haydn, Mozart, theils auch in Fasch, dem Stifter der Singakademie, der durch
seine eigenthümliche architektonisch mannichfaltige, dabei aber dem sinnlichen Wohl¬
klang huldigende Richtung sür die Akademie und dadurch sür den Berliner Mnsik-
geschmack im Allgemeinen von Bedeutung geworden ist. Dem Wohlklang huldigt
Fasch aber so sehr, wi" die Italiener; uur ist er frei von Derbheiten und Tri¬
vialitäten, er ist zarter und in der Art und Weise des oft berauschenden sinnlichen
Duftes feiner und berechneter, er begnügt sich nicht mit Wirkungen, die aus
der Oberfläche liegen, sondern sie sind oft herausstudirt, dabei doch natürlich und
eben darum überraschend. In ähnlichem Styl componirte auch Nungenhagcn,
näherte sich aber nur selten seinem großen Vorbilde; dennoch giebt es einige
kleine Stücke von ihm, die für Gesangvereine vom höchsten Werth sind, durch
ihre leidenschaftslose, sinnliche und architektonische Schönheit. Als Dirigent war
Rnngenhagen von geringer Bedeutung, weil er zu rücksichtsvoll und schonend gegen
Schwächen war. Als die dadurch eintretende Verschlechterung des Chors immer
sichtbarer ward, zog der Stern'sche Verein diejenige", die theils mit der ernsten
Richtung der Akademie Alast einverstanden, theils über die Disciplinlosigkeit ver¬
drießlich waren, an sich. Der nun erfolgte Tod Rungenhagen's wird dem Stern-
sehen Verein wahrscheinlich eine neue Zahl von Mitgliedern zuführen.

Wahrscheinlich wird die Wahl auf Grell fallen, der die ernste Richtung des
Instituts mit Entschiedenheit vertritt und, obschon vielleicht kein Dirigent sür
Orchester, doch ein vorzüglicher Chordirectvr ist. Einem großen Theile der Mit¬
glieder ist aber diese Richtung zu monoton. Ob auf die Dauer und sür den¬
jenigen, der gründlicher in die Sache eindringt, nicht größere Abwechselung in
den chorischen Kompositionen früherer Zeit zu finden ist,'als in den neueren, ist
freilich sehr in Erwägung zu ziehen. Aber es sind nun einmal die modernen
Kompositionen zugänglicher, auch haben die Mitglieder des noch jungen Stern-
sehen Vereins bis jetzt noch keine Gelegenheit gehabt zu erfahren, wie lange Zeit
sie an ihrer Richtung Befriedigung finden werden; endlich sorgt Stern hin und
wieder durch interessante Solvvorträge von Virtuosen und Künstlern, sür die
Unterhaltung der Anwesenden. Diese Huldigungen, die Stern dem Dilettantismus
bringt, sind gefährlich. Sollte es ihm gelingen, seinen Verein zu dem eigent¬
lichen Repräsentanten des Chorgesangs für Berlin zu erheben, so wird es sich
zeigen, ob er ihn nicht schon so weit verdorben hat, daß er nie mehr der Ver¬
treter einer bestimmten musikalischen Richtung werden kann. Die Singakademie
hatte einst diesen Ruhm und nützte damit der Kunst. Denn es ist gut, wenig¬
stens in großen Städten, daß sich die verschiedenen Richtungen der Kunst, die
Opern-, Kirchen- und' Instrumentalmusik in verschiedenen Instituten gliedern,
von denen jedes das ihm eigenthümliche Gebiet mit möglichster Vollkommenheit


Beschaffenheit allerdings den Adel der Gesinnung und die Heiligkeit der Kunst¬
begeisterung begünstigen konnte. Rungenhagen's Kunstideal lag theils in Händel,
Haydn, Mozart, theils auch in Fasch, dem Stifter der Singakademie, der durch
seine eigenthümliche architektonisch mannichfaltige, dabei aber dem sinnlichen Wohl¬
klang huldigende Richtung sür die Akademie und dadurch sür den Berliner Mnsik-
geschmack im Allgemeinen von Bedeutung geworden ist. Dem Wohlklang huldigt
Fasch aber so sehr, wi« die Italiener; uur ist er frei von Derbheiten und Tri¬
vialitäten, er ist zarter und in der Art und Weise des oft berauschenden sinnlichen
Duftes feiner und berechneter, er begnügt sich nicht mit Wirkungen, die aus
der Oberfläche liegen, sondern sie sind oft herausstudirt, dabei doch natürlich und
eben darum überraschend. In ähnlichem Styl componirte auch Nungenhagcn,
näherte sich aber nur selten seinem großen Vorbilde; dennoch giebt es einige
kleine Stücke von ihm, die für Gesangvereine vom höchsten Werth sind, durch
ihre leidenschaftslose, sinnliche und architektonische Schönheit. Als Dirigent war
Rnngenhagen von geringer Bedeutung, weil er zu rücksichtsvoll und schonend gegen
Schwächen war. Als die dadurch eintretende Verschlechterung des Chors immer
sichtbarer ward, zog der Stern'sche Verein diejenige», die theils mit der ernsten
Richtung der Akademie Alast einverstanden, theils über die Disciplinlosigkeit ver¬
drießlich waren, an sich. Der nun erfolgte Tod Rungenhagen's wird dem Stern-
sehen Verein wahrscheinlich eine neue Zahl von Mitgliedern zuführen.

Wahrscheinlich wird die Wahl auf Grell fallen, der die ernste Richtung des
Instituts mit Entschiedenheit vertritt und, obschon vielleicht kein Dirigent sür
Orchester, doch ein vorzüglicher Chordirectvr ist. Einem großen Theile der Mit¬
glieder ist aber diese Richtung zu monoton. Ob auf die Dauer und sür den¬
jenigen, der gründlicher in die Sache eindringt, nicht größere Abwechselung in
den chorischen Kompositionen früherer Zeit zu finden ist,'als in den neueren, ist
freilich sehr in Erwägung zu ziehen. Aber es sind nun einmal die modernen
Kompositionen zugänglicher, auch haben die Mitglieder des noch jungen Stern-
sehen Vereins bis jetzt noch keine Gelegenheit gehabt zu erfahren, wie lange Zeit
sie an ihrer Richtung Befriedigung finden werden; endlich sorgt Stern hin und
wieder durch interessante Solvvorträge von Virtuosen und Künstlern, sür die
Unterhaltung der Anwesenden. Diese Huldigungen, die Stern dem Dilettantismus
bringt, sind gefährlich. Sollte es ihm gelingen, seinen Verein zu dem eigent¬
lichen Repräsentanten des Chorgesangs für Berlin zu erheben, so wird es sich
zeigen, ob er ihn nicht schon so weit verdorben hat, daß er nie mehr der Ver¬
treter einer bestimmten musikalischen Richtung werden kann. Die Singakademie
hatte einst diesen Ruhm und nützte damit der Kunst. Denn es ist gut, wenig¬
stens in großen Städten, daß sich die verschiedenen Richtungen der Kunst, die
Opern-, Kirchen- und' Instrumentalmusik in verschiedenen Instituten gliedern,
von denen jedes das ihm eigenthümliche Gebiet mit möglichster Vollkommenheit


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[0321] Beschaffenheit allerdings den Adel der Gesinnung und die Heiligkeit der Kunst¬ begeisterung begünstigen konnte. Rungenhagen's Kunstideal lag theils in Händel, Haydn, Mozart, theils auch in Fasch, dem Stifter der Singakademie, der durch seine eigenthümliche architektonisch mannichfaltige, dabei aber dem sinnlichen Wohl¬ klang huldigende Richtung sür die Akademie und dadurch sür den Berliner Mnsik- geschmack im Allgemeinen von Bedeutung geworden ist. Dem Wohlklang huldigt Fasch aber so sehr, wi« die Italiener; uur ist er frei von Derbheiten und Tri¬ vialitäten, er ist zarter und in der Art und Weise des oft berauschenden sinnlichen Duftes feiner und berechneter, er begnügt sich nicht mit Wirkungen, die aus der Oberfläche liegen, sondern sie sind oft herausstudirt, dabei doch natürlich und eben darum überraschend. In ähnlichem Styl componirte auch Nungenhagcn, näherte sich aber nur selten seinem großen Vorbilde; dennoch giebt es einige kleine Stücke von ihm, die für Gesangvereine vom höchsten Werth sind, durch ihre leidenschaftslose, sinnliche und architektonische Schönheit. Als Dirigent war Rnngenhagen von geringer Bedeutung, weil er zu rücksichtsvoll und schonend gegen Schwächen war. Als die dadurch eintretende Verschlechterung des Chors immer sichtbarer ward, zog der Stern'sche Verein diejenige», die theils mit der ernsten Richtung der Akademie Alast einverstanden, theils über die Disciplinlosigkeit ver¬ drießlich waren, an sich. Der nun erfolgte Tod Rungenhagen's wird dem Stern- sehen Verein wahrscheinlich eine neue Zahl von Mitgliedern zuführen. Wahrscheinlich wird die Wahl auf Grell fallen, der die ernste Richtung des Instituts mit Entschiedenheit vertritt und, obschon vielleicht kein Dirigent sür Orchester, doch ein vorzüglicher Chordirectvr ist. Einem großen Theile der Mit¬ glieder ist aber diese Richtung zu monoton. Ob auf die Dauer und sür den¬ jenigen, der gründlicher in die Sache eindringt, nicht größere Abwechselung in den chorischen Kompositionen früherer Zeit zu finden ist,'als in den neueren, ist freilich sehr in Erwägung zu ziehen. Aber es sind nun einmal die modernen Kompositionen zugänglicher, auch haben die Mitglieder des noch jungen Stern- sehen Vereins bis jetzt noch keine Gelegenheit gehabt zu erfahren, wie lange Zeit sie an ihrer Richtung Befriedigung finden werden; endlich sorgt Stern hin und wieder durch interessante Solvvorträge von Virtuosen und Künstlern, sür die Unterhaltung der Anwesenden. Diese Huldigungen, die Stern dem Dilettantismus bringt, sind gefährlich. Sollte es ihm gelingen, seinen Verein zu dem eigent¬ lichen Repräsentanten des Chorgesangs für Berlin zu erheben, so wird es sich zeigen, ob er ihn nicht schon so weit verdorben hat, daß er nie mehr der Ver¬ treter einer bestimmten musikalischen Richtung werden kann. Die Singakademie hatte einst diesen Ruhm und nützte damit der Kunst. Denn es ist gut, wenig¬ stens in großen Städten, daß sich die verschiedenen Richtungen der Kunst, die Opern-, Kirchen- und' Instrumentalmusik in verschiedenen Instituten gliedern, von denen jedes das ihm eigenthümliche Gebiet mit möglichster Vollkommenheit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/321>, abgerufen am 22.12.2024.