Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.gestellt wird, können wir uns keineswegs, etwa wie bei Kleist, aus einer Ver¬ Das verwilderte Drama: Halle und Jerusalem behandelt die Geschichte In demselben Jahre 1811 erschien der Roman: Die schöne Isabelle gestellt wird, können wir uns keineswegs, etwa wie bei Kleist, aus einer Ver¬ Das verwilderte Drama: Halle und Jerusalem behandelt die Geschichte In demselben Jahre 1811 erschien der Roman: Die schöne Isabelle <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0315" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/94756"/> <p xml:id="ID_960" prev="#ID_959"> gestellt wird, können wir uns keineswegs, etwa wie bei Kleist, aus einer Ver¬<lb/> wirrung des Gemüths erklären, welches für den Augenblick die Herrschaft über<lb/> sich selbst verliert, sondern lediglich aus jener Doctrin von der Ine inanderbildung<lb/> des Märchenhasten und des Wirklichen, die wir in dem ersten Abschnitt beleuchtet<lb/> habe».</p><lb/> <p xml:id="ID_961"> Das verwilderte Drama: Halle und Jerusalem behandelt die Geschichte<lb/> von Cardenio und Celinde, die schon Andreas Gryphius dramatisch bearbeitet,<lb/> und die in neuerer Zeit auch Immermann den Stoff zu einem Trauerspiel ge¬<lb/> gegeben hat. Es ist unstreitig das Absurdeste, was Arnim geschrieben hat, und<lb/> dürfte wohl in der gesammten europäischen Literatur nur in einigen Stücken von<lb/> Brentano seines Gleichen finden. Cardenio ist in Halle Sprecher eines geheimen<lb/> Ordens, dabei tüchtiger Zecher, ausgezeichneter Pankant, keusch, wie alle Helden<lb/> unsres Dichters. Er macht die Extravaganzen des Hallischen Studentenlebens<lb/> mit aller Leidenschaft eines energischen Charakters mit, vertieft sich auch lebhaft<lb/> in die Mysterien der geheimen Gesellschaft, bis eine wahre Liebe, die durch einen<lb/> bösen Zufall gehemmt wird, ihn über die Nichtigkeit seines bisherigen Treibens<lb/> aufklärt; er löst den Orden auf, geräth in Zweifel und Verwirrungen, fällt dann<lb/> in die Netze einer geistreichen und empfindseligen Buhlerin, wird plötzlich von<lb/> Reue und einer mystischen Sehnsucht nach dem heiligen Grabe ergriffen, pilgert<lb/> Mit jener Schönen nach Jerusalem, wo sich endlich alle Bekannte aus Halle zu-<lb/> lammentreffen, und wird dort, erschöpft von einer mühsamen Reise, unter den<lb/> Füßen der frommen Christen, die nach Jerusalem pilgern, tvdtgetreten. Aber<lb/> bei seinem Tode wird er von einem wunderbaren Lichte, das von dem Jesuskinde<lb/> ausströmt, erleuchtet und geheiligt. Das Stück spielt um die Zeit, wo der Ca-<lb/> Pitaiu Sir Sidney Smith um Acre kämpfte. Eine Meuge barocker, eckiger und<lb/> doch zugleich verschwommener und nebelhafter Gestalten bringen in die Scene<lb/> Wßere Abwechselung: schmuzige kindesmörderische Juden, britische Seehelden,<lb/> Matrosen, Kuchenweiber, Gespenster, Hexen, Vampyre ze.; auch der ewige Jude,<lb/> der sich später als Cardenio's Vater ausweist, obgleich man doch im Unklaren<lb/> bleibt, ob es wirklich der ewige Jude ist oder nicht, oder vielleicht gar ein Ge-<lb/> Ipcnst; endlich der Teufel selbst in höchsteigener Person mit etwas humoristischem<lb/> Anstrich. diesem seltsamen Product hat mau absolut keinen Begriff davon,<lb/> welchen Eindruck eigentlich der Dichter beabsichtigt, ob einen komischen oder tra¬<lb/> gischen; es geht Alles so wahnsinnig durcheinander, daß es aussieht, wie ein<lb/> Product der Blastrtheit, die, weil sie sich unbefriedigt fühlt, nach Diesem und<lb/> Jenem greift, um es sogleich wieder' wegzuwerfen. Viele Personen treten nur<lb/> auf, um ein paar Worte zu sprechen und dann sofort zu sterben.</p><lb/> <p xml:id="ID_962" next="#ID_963"> In demselben Jahre 1811 erschien der Roman: Die schöne Isabelle<lb/> von Aegypten, Kaiser Karls V. erste Jugendliebe. Der Stoss ist<lb/> womöglich noch widersinniger, als in „Halle und Jerusalem", aber die Färbung</p><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0315]
gestellt wird, können wir uns keineswegs, etwa wie bei Kleist, aus einer Ver¬
wirrung des Gemüths erklären, welches für den Augenblick die Herrschaft über
sich selbst verliert, sondern lediglich aus jener Doctrin von der Ine inanderbildung
des Märchenhasten und des Wirklichen, die wir in dem ersten Abschnitt beleuchtet
habe».
Das verwilderte Drama: Halle und Jerusalem behandelt die Geschichte
von Cardenio und Celinde, die schon Andreas Gryphius dramatisch bearbeitet,
und die in neuerer Zeit auch Immermann den Stoff zu einem Trauerspiel ge¬
gegeben hat. Es ist unstreitig das Absurdeste, was Arnim geschrieben hat, und
dürfte wohl in der gesammten europäischen Literatur nur in einigen Stücken von
Brentano seines Gleichen finden. Cardenio ist in Halle Sprecher eines geheimen
Ordens, dabei tüchtiger Zecher, ausgezeichneter Pankant, keusch, wie alle Helden
unsres Dichters. Er macht die Extravaganzen des Hallischen Studentenlebens
mit aller Leidenschaft eines energischen Charakters mit, vertieft sich auch lebhaft
in die Mysterien der geheimen Gesellschaft, bis eine wahre Liebe, die durch einen
bösen Zufall gehemmt wird, ihn über die Nichtigkeit seines bisherigen Treibens
aufklärt; er löst den Orden auf, geräth in Zweifel und Verwirrungen, fällt dann
in die Netze einer geistreichen und empfindseligen Buhlerin, wird plötzlich von
Reue und einer mystischen Sehnsucht nach dem heiligen Grabe ergriffen, pilgert
Mit jener Schönen nach Jerusalem, wo sich endlich alle Bekannte aus Halle zu-
lammentreffen, und wird dort, erschöpft von einer mühsamen Reise, unter den
Füßen der frommen Christen, die nach Jerusalem pilgern, tvdtgetreten. Aber
bei seinem Tode wird er von einem wunderbaren Lichte, das von dem Jesuskinde
ausströmt, erleuchtet und geheiligt. Das Stück spielt um die Zeit, wo der Ca-
Pitaiu Sir Sidney Smith um Acre kämpfte. Eine Meuge barocker, eckiger und
doch zugleich verschwommener und nebelhafter Gestalten bringen in die Scene
Wßere Abwechselung: schmuzige kindesmörderische Juden, britische Seehelden,
Matrosen, Kuchenweiber, Gespenster, Hexen, Vampyre ze.; auch der ewige Jude,
der sich später als Cardenio's Vater ausweist, obgleich man doch im Unklaren
bleibt, ob es wirklich der ewige Jude ist oder nicht, oder vielleicht gar ein Ge-
Ipcnst; endlich der Teufel selbst in höchsteigener Person mit etwas humoristischem
Anstrich. diesem seltsamen Product hat mau absolut keinen Begriff davon,
welchen Eindruck eigentlich der Dichter beabsichtigt, ob einen komischen oder tra¬
gischen; es geht Alles so wahnsinnig durcheinander, daß es aussieht, wie ein
Product der Blastrtheit, die, weil sie sich unbefriedigt fühlt, nach Diesem und
Jenem greift, um es sogleich wieder' wegzuwerfen. Viele Personen treten nur
auf, um ein paar Worte zu sprechen und dann sofort zu sterben.
In demselben Jahre 1811 erschien der Roman: Die schöne Isabelle
von Aegypten, Kaiser Karls V. erste Jugendliebe. Der Stoss ist
womöglich noch widersinniger, als in „Halle und Jerusalem", aber die Färbung
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