Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.Die' Composition ist nicht ohne tiefes Nachdenken angelegt, aber die Aus' Jener Minister, von dessen feiger Flucht wir zu Anfange des Romans ge¬ Ans den Leser macht die ganze Geschichte den Eindruck, als ob er im Fieber- Diese wunderbare Vermischung des Traums mit dem Leben, die um so mehr Die' Composition ist nicht ohne tiefes Nachdenken angelegt, aber die Aus' Jener Minister, von dessen feiger Flucht wir zu Anfange des Romans ge¬ Ans den Leser macht die ganze Geschichte den Eindruck, als ob er im Fieber- Diese wunderbare Vermischung des Traums mit dem Leben, die um so mehr <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0314" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/94755"/> <p xml:id="ID_956"> Die' Composition ist nicht ohne tiefes Nachdenken angelegt, aber die Aus'<lb/> führung entspricht Keineswegs der Anlage. Die Begebenheiten find lose anein¬<lb/> ander gefabelt. Eine Figur nach der andern tritt ans, um irgend welche Re¬<lb/> flexion einzuleiten, und verschwindet alsobald; die Handlung stockt auf einmal,<lb/> um durch allerhand Nebeugeschichten unterbrochen zu werden. Bei keiner Gele¬<lb/> genheit verfehlen die handelnden oder beteiligten Personen, den Eindruck der<lb/> Begebenheit in einem lyrischen Gedicht zu fixiren. Die Hauptsachen werden häufig<lb/> mehr angedeutet, als ausgesprochen. Mitten in einer Scene, die mit der scharfen<lb/> Zeichnung und dem lebendigen, farbenreichen Humor der'niederländischen Schule<lb/> ausgeführt ist, umspannt plötzlich das Grau einer unbestimmten nebelhaften Alle¬<lb/> gorie den Horizont, und dieselben Figuren, die wir eben lebensfrisch neben uns<lb/> gesehen, mit denen wir uns unterhalten, uns verständigt, verwandeln sich in Ab-<lb/> stractionen oder Gespenster. Von der einen Seite spielt die dunkle physikalische<lb/> Macht, von der andern das unheimliche Licht der übernatürlichen Welt in der<lb/> Realität des Menschenlebens hinein, und dnrch diese falsche Beleuchtung wird das<lb/> Wirkliche selber sich unverständlich und unheimlich. Der Schluß des Romans ist<lb/> in dieser Beziehung zu merkwürdig, um hier nicht angeführt zu werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_957"> Jener Minister, von dessen feiger Flucht wir zu Anfange des Romans ge¬<lb/> hört hatten, kehrt aus Indien als Nabob zurück, mit einem indischen Weibe. Er<lb/> findet sein Schloß festlich erleuchtet, seine zurückgelassene Gemahlin empfängt ihn<lb/> an der Schwelle mit ihren Kindern, und da er seiner neuen Heirath wegen etwas<lb/> in Verlegenheit geräth, so beruhigt sie ihn, erzählt ihm, sie habe das Gleiche ge¬<lb/> than und stellt ihm eben jenen stcilianischen Herzog als ihren neuen Gemahl vor.<lb/> Mau behandelt sich gegenseitig sehr höflich, obgleich in der ganzen Art und Weise<lb/> doch etwas Besonderes ist. Der Herzog beeilt sich, der schönen Tochter Hindo-<lb/> stans die Cour zu machen, und renssirt.</p><lb/> <p xml:id="ID_958"> Ans den Leser macht die ganze Geschichte den Eindruck, als ob er im Fieber-<lb/> traum wäre. Die Gemahlin des Ministers ist lange vor Anfang des Romans<lb/> gestorben; der Herzog, der nicht mit ihr, sondern mit ihrer Tochter vermählt<lb/> war, ist gleichfalls todt; das Schloß ist viele Jahre hindurch unbewohnt, und die<lb/> Anverwandten, die wir plötzlich darin antreffen, wissen wir in weit entlegenen<lb/> Landen. Dem Minister fängt gleichfalls die Sache an unheimlich zu werden; er<lb/> merkt endlich, daß er es mit lauter Gespenstern zu thun hat, und reist heimlich<lb/> ab, ohne sich etwas merken zu lassen. Mit dem Schlage Eins verschwindet der<lb/> Spuk, das Schloß wird von dem aufgeregten Landvolk an allen vier Ecken an¬<lb/> gezündet, und der Minister ist geneigt, sich selbst sür ein Gespenst zu Halten, bis<lb/> er seine Stelle wieder erhält und sich dnrch sorgfältige Verwaltung des Staats<lb/> von seiner Realität überzeugt.</p><lb/> <p xml:id="ID_959" next="#ID_960"> Diese wunderbare Vermischung des Traums mit dem Leben, die um so mehr<lb/> auffällt, da sie mit einem detaillirenden, fast ängstlichen Pragmatismus dar-</p><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0314]
Die' Composition ist nicht ohne tiefes Nachdenken angelegt, aber die Aus'
führung entspricht Keineswegs der Anlage. Die Begebenheiten find lose anein¬
ander gefabelt. Eine Figur nach der andern tritt ans, um irgend welche Re¬
flexion einzuleiten, und verschwindet alsobald; die Handlung stockt auf einmal,
um durch allerhand Nebeugeschichten unterbrochen zu werden. Bei keiner Gele¬
genheit verfehlen die handelnden oder beteiligten Personen, den Eindruck der
Begebenheit in einem lyrischen Gedicht zu fixiren. Die Hauptsachen werden häufig
mehr angedeutet, als ausgesprochen. Mitten in einer Scene, die mit der scharfen
Zeichnung und dem lebendigen, farbenreichen Humor der'niederländischen Schule
ausgeführt ist, umspannt plötzlich das Grau einer unbestimmten nebelhaften Alle¬
gorie den Horizont, und dieselben Figuren, die wir eben lebensfrisch neben uns
gesehen, mit denen wir uns unterhalten, uns verständigt, verwandeln sich in Ab-
stractionen oder Gespenster. Von der einen Seite spielt die dunkle physikalische
Macht, von der andern das unheimliche Licht der übernatürlichen Welt in der
Realität des Menschenlebens hinein, und dnrch diese falsche Beleuchtung wird das
Wirkliche selber sich unverständlich und unheimlich. Der Schluß des Romans ist
in dieser Beziehung zu merkwürdig, um hier nicht angeführt zu werden.
Jener Minister, von dessen feiger Flucht wir zu Anfange des Romans ge¬
hört hatten, kehrt aus Indien als Nabob zurück, mit einem indischen Weibe. Er
findet sein Schloß festlich erleuchtet, seine zurückgelassene Gemahlin empfängt ihn
an der Schwelle mit ihren Kindern, und da er seiner neuen Heirath wegen etwas
in Verlegenheit geräth, so beruhigt sie ihn, erzählt ihm, sie habe das Gleiche ge¬
than und stellt ihm eben jenen stcilianischen Herzog als ihren neuen Gemahl vor.
Mau behandelt sich gegenseitig sehr höflich, obgleich in der ganzen Art und Weise
doch etwas Besonderes ist. Der Herzog beeilt sich, der schönen Tochter Hindo-
stans die Cour zu machen, und renssirt.
Ans den Leser macht die ganze Geschichte den Eindruck, als ob er im Fieber-
traum wäre. Die Gemahlin des Ministers ist lange vor Anfang des Romans
gestorben; der Herzog, der nicht mit ihr, sondern mit ihrer Tochter vermählt
war, ist gleichfalls todt; das Schloß ist viele Jahre hindurch unbewohnt, und die
Anverwandten, die wir plötzlich darin antreffen, wissen wir in weit entlegenen
Landen. Dem Minister fängt gleichfalls die Sache an unheimlich zu werden; er
merkt endlich, daß er es mit lauter Gespenstern zu thun hat, und reist heimlich
ab, ohne sich etwas merken zu lassen. Mit dem Schlage Eins verschwindet der
Spuk, das Schloß wird von dem aufgeregten Landvolk an allen vier Ecken an¬
gezündet, und der Minister ist geneigt, sich selbst sür ein Gespenst zu Halten, bis
er seine Stelle wieder erhält und sich dnrch sorgfältige Verwaltung des Staats
von seiner Realität überzeugt.
Diese wunderbare Vermischung des Traums mit dem Leben, die um so mehr
auffällt, da sie mit einem detaillirenden, fast ängstlichen Pragmatismus dar-
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