Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.und Stimmung ist diesmal in der That poetisch, und einzelne Scenen sind von Der Roman scheint dazu bestimmt zu sein, alle möglichen Formen des Aber¬ und Stimmung ist diesmal in der That poetisch, und einzelne Scenen sind von Der Roman scheint dazu bestimmt zu sein, alle möglichen Formen des Aber¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0316" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/94757"/> <p xml:id="ID_963" prev="#ID_962"> und Stimmung ist diesmal in der That poetisch, und einzelne Scenen sind von<lb/> einem hinreißenden Zaub.er. Bei Eröffnung der Scene finden wir die junge<lb/> Zigeunerin Jsabelle unter dem Galgen, wie sie eine Alraunwurzel ausgräbt, als<lb/> eben ihr Vater, der gehängte Zigeunerköuig, mit der Krone auf dem Haupte,<lb/> auf dem vorüberfließenden Strome nach Aegypten schwimmt. Als die Wurzel<lb/> ausgerissen wird, hört man einen unendlich klagenden, herzzerreißenden Ton, der<lb/> das Mädchen todten würde, wenn sie sich nicht die Ohren verstopft hielte. Sie<lb/> ist dann eine Art lebendiges, aber sehr häßliches Wesen, welches von der schönen<lb/> Jsabelle mütterlich geliebt und gehegt wirb. Sie setzt ihm eine Hagebutte als<lb/> Mund ein, die sie aber schief küßt; ein paar Wachholderbeeren als Augen, und<lb/> zum Ueberfluß noch ein drittes Auge in deu Rucke», mit welchem er in den<lb/> Seelen der Menschen liest, bis man es ihm endlich eindrückt. Jsabelle ist ein<lb/> naives Kind, die in ihrer Unschuld den jungen Erzherzog Karl bittet, sie doch<lb/> mit einem Kinde zu beschenken, welches Gesuch ihr denn auch erfüllt wird. Jsa-<lb/> bella versteht es, mit ihrer lustigen, harmlosen Coguetterie auch den strengen<lb/> Erzieher Karls, den nachmaligen Papst Hadrian, so zu bethören, daß er endlich<lb/> in das Verhältniß einwilligt. Dabei muß auch jeues Alräunchen eine Rolle<lb/> spielen. Dies kleine Männchen ist boshaft und eitel. Er nennt sich Cornelius<lb/> Nepos, und will Feldmarschall, wenigstens Corporal werden. Mit geheimem<lb/> Verdruß erinnert er sich, an die frühere Zeit seines Lebens, wo er unter dem<lb/> Galgen gestanden und mit gemeinem Volk, mit Ameisen und ähnlichem Ungeziefer,<lb/> Bekanntschaft machen müssen. Wilhelm von Oranien stellt ihm für Geld und<lb/> gute Worte die schriftliche Bescheinigung aus, er sei kein Gespenst, er sei viel¬<lb/> mehr im Kriege sehr gut zu gebrauchen, da man ihn den Soldaten in die Tasche<lb/> stecken könne, von wo aus er deu Feind gefährlich überraschen würde. Der schlaue<lb/> Chievres, Karls Erzieher, macht ihn zum Finanzminister, weil er verborgene<lb/> Schätze zu entdecken weiß, und läßt ihm Jsabelle zur linken Hand antrauen.<lb/> Der arme Cornelius nimmt aber ein böses Ende. Statt der wirklichen Jsabelle<lb/> wird ihm ein Goten in die Hände gespielt, eine Lehmfigur, die durch Hexerei<lb/> Leben und Verstand erhält, und als diese durch neue Hexerei wieder in Staub<lb/> verwandelt ist, verfällt das Männchen in Verzweiflung und läßt sich vom Teufel<lb/> zerreißen. — Von dem „todten Bärenhäuter", dem allmählig gemüthliches Fleisch<lb/> in seine gemüthlose Gespenstcrrippen einwächst, haben wir schon oben gesprochen.<lb/> — Jsabelle führt endlich ihr Volk, die Zigeuner, nach Aegypten zurück und wird<lb/> feierlich als Herzogin anerkannt. Sie stirbt in demselben Jahre mit ihrem<lb/> alten Liebhaber Karl V., nachdem sie vorher ein Todtengericht über sich hat<lb/> halten lassen.</p><lb/> <p xml:id="ID_964"> Der Roman scheint dazu bestimmt zu sein, alle möglichen Formen des Aber¬<lb/> glaubens, der als Naturwüchs einer poetischen Darstellung werth war, in einem<lb/> lebendigen Gemälde zu vereinigen.</p><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0316]
und Stimmung ist diesmal in der That poetisch, und einzelne Scenen sind von
einem hinreißenden Zaub.er. Bei Eröffnung der Scene finden wir die junge
Zigeunerin Jsabelle unter dem Galgen, wie sie eine Alraunwurzel ausgräbt, als
eben ihr Vater, der gehängte Zigeunerköuig, mit der Krone auf dem Haupte,
auf dem vorüberfließenden Strome nach Aegypten schwimmt. Als die Wurzel
ausgerissen wird, hört man einen unendlich klagenden, herzzerreißenden Ton, der
das Mädchen todten würde, wenn sie sich nicht die Ohren verstopft hielte. Sie
ist dann eine Art lebendiges, aber sehr häßliches Wesen, welches von der schönen
Jsabelle mütterlich geliebt und gehegt wirb. Sie setzt ihm eine Hagebutte als
Mund ein, die sie aber schief küßt; ein paar Wachholderbeeren als Augen, und
zum Ueberfluß noch ein drittes Auge in deu Rucke», mit welchem er in den
Seelen der Menschen liest, bis man es ihm endlich eindrückt. Jsabelle ist ein
naives Kind, die in ihrer Unschuld den jungen Erzherzog Karl bittet, sie doch
mit einem Kinde zu beschenken, welches Gesuch ihr denn auch erfüllt wird. Jsa-
bella versteht es, mit ihrer lustigen, harmlosen Coguetterie auch den strengen
Erzieher Karls, den nachmaligen Papst Hadrian, so zu bethören, daß er endlich
in das Verhältniß einwilligt. Dabei muß auch jeues Alräunchen eine Rolle
spielen. Dies kleine Männchen ist boshaft und eitel. Er nennt sich Cornelius
Nepos, und will Feldmarschall, wenigstens Corporal werden. Mit geheimem
Verdruß erinnert er sich, an die frühere Zeit seines Lebens, wo er unter dem
Galgen gestanden und mit gemeinem Volk, mit Ameisen und ähnlichem Ungeziefer,
Bekanntschaft machen müssen. Wilhelm von Oranien stellt ihm für Geld und
gute Worte die schriftliche Bescheinigung aus, er sei kein Gespenst, er sei viel¬
mehr im Kriege sehr gut zu gebrauchen, da man ihn den Soldaten in die Tasche
stecken könne, von wo aus er deu Feind gefährlich überraschen würde. Der schlaue
Chievres, Karls Erzieher, macht ihn zum Finanzminister, weil er verborgene
Schätze zu entdecken weiß, und läßt ihm Jsabelle zur linken Hand antrauen.
Der arme Cornelius nimmt aber ein böses Ende. Statt der wirklichen Jsabelle
wird ihm ein Goten in die Hände gespielt, eine Lehmfigur, die durch Hexerei
Leben und Verstand erhält, und als diese durch neue Hexerei wieder in Staub
verwandelt ist, verfällt das Männchen in Verzweiflung und läßt sich vom Teufel
zerreißen. — Von dem „todten Bärenhäuter", dem allmählig gemüthliches Fleisch
in seine gemüthlose Gespenstcrrippen einwächst, haben wir schon oben gesprochen.
— Jsabelle führt endlich ihr Volk, die Zigeuner, nach Aegypten zurück und wird
feierlich als Herzogin anerkannt. Sie stirbt in demselben Jahre mit ihrem
alten Liebhaber Karl V., nachdem sie vorher ein Todtengericht über sich hat
halten lassen.
Der Roman scheint dazu bestimmt zu sein, alle möglichen Formen des Aber¬
glaubens, der als Naturwüchs einer poetischen Darstellung werth war, in einem
lebendigen Gemälde zu vereinigen.
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