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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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auch seinen barocken Gestalten wenigstens^so viel Idealität verleiht, daß man ihnen
nach irgend einer Seite hin menschliche Theilnahme schenken kann. -- Die inte¬
ressanteste Erfindung ist jener Sicilianische Herzog, der Gemahl der frommen Elelia.
Hochgebildet und mit den feinsten Empfindungen ausgestattet, wendet er seine Gaben
nur zur Lüge an. Er hat die Kunst, alle Seelen zu durchschauen und in seine Ge¬
walt zu bringen. Ein routinirter Weltmann, der die ausgedehntesten Studien durch¬
gemacht, um schrankenlos genießen zu können, die physische Lust wie den höchsten
geistigen Reiz, tritt er wie eimzweiter Proteus in den entgegengesetztesten Formen auf,
bald als Diplomat, bald als Gelehrter, bald als Schwarzkünstlet. Die Rollen, die
er spielt, gehören gewissermaßen'zu seinem Wesen; er empfindet in dem Augen¬
blick wirklich, wo er die Empfindung spielt. Er ist dabei von einer wirklich ge¬
fühlten Achtung von der seiner Natur fremden Wahrheit durchdrungen, und darin
der Gegensatz zu Karl und Clelia, die trotz ihres Ernstes und ihrer Frömmigkeit,
trotz ihres Hasses und ihrer Verachtung gegen die Welt der'Lüge und des Lasters,
die sie umgiebt, sich doch eines gewissen bewundernden Interesses für dieselbe
nicht erwehren können, eben weil sie ihnen unverständlich ist. Der Herzog er¬
innert lebhast an Jean Paul's Roquairol; er ist feiner erfunden, aber flüchtiger
gezeichnet. Der Anlage nach sehr gut erdacht und auch in manchen einzelnen
Zügen mit eben so viel Scharfsinn als Poesie ausgeführt, macht er doch im
Ganzen einen unbefriedigender Eindruck, weil der Dichter sich nicht die Mühe
gegeben hat, uns diesen Charakter zu vermitteln und verständlich zu machen. Es
ist aber ein großer Irrthum, wenn man das Seltsame und Unbegreifliche in der
Dichtung ebenso unbefangen vorführen zu dürfen glaubt, wie es uns im Leben
in der That begegnet, denn.anch das Gefühl der Uebetraschung und Verwunde¬
rung wird in der Poesie nur dadurch hergestellt, daß wir deu Contrast ermessen.--
Dieser Herzog, der steh uuter einem fremden Namen bei seinem Schwager Karl
eingeführt hat, verführt die schöne Dolores, und zwar nicht durch die gewöhn¬
lichen Künste, sondern dadurch, daß er sich ihr als eine Art Messias darstellt.
Nachher reist er ab, und Dolores entdeckt im Schlaf ihre Schuld ihrem Gemahl.
In seinem Gram des Lebens überdrüssig, giebt er ihr ein geladenes Gewehr in
die Hand, das sie ohne Absicht auf ihn abdrückt. Er fällt zur Erde, aber stirbt
nicht daran, und die schreckliche Folge macht in ihr das Gefühl ihrer Schuld
lebendig. Beide Gatten treten getrennt von einander eine Wallfahrt an, um zu
büßen, und finden sich uuter dem Schutz eines Muttergottesbildes zusammen,
durch welches sie versöhnt werden. Das ist beiläufig auch wieder ein Zug,-der
die Unklarheit in Arnim's Empfindungen ausdrückt. Arnim ist ein guter Pro¬
testant, und hat ein eben so lebhaftes als tiefes Gefühl für das Wesen dieser
Glaubensform; allein dasselbe ist doch nicht so stark, daß nicht zuweilen die Phan¬
tasie mit ihm durchgeht und ihn zu katholischen Einfällen verführt.


auch seinen barocken Gestalten wenigstens^so viel Idealität verleiht, daß man ihnen
nach irgend einer Seite hin menschliche Theilnahme schenken kann. — Die inte¬
ressanteste Erfindung ist jener Sicilianische Herzog, der Gemahl der frommen Elelia.
Hochgebildet und mit den feinsten Empfindungen ausgestattet, wendet er seine Gaben
nur zur Lüge an. Er hat die Kunst, alle Seelen zu durchschauen und in seine Ge¬
walt zu bringen. Ein routinirter Weltmann, der die ausgedehntesten Studien durch¬
gemacht, um schrankenlos genießen zu können, die physische Lust wie den höchsten
geistigen Reiz, tritt er wie eimzweiter Proteus in den entgegengesetztesten Formen auf,
bald als Diplomat, bald als Gelehrter, bald als Schwarzkünstlet. Die Rollen, die
er spielt, gehören gewissermaßen'zu seinem Wesen; er empfindet in dem Augen¬
blick wirklich, wo er die Empfindung spielt. Er ist dabei von einer wirklich ge¬
fühlten Achtung von der seiner Natur fremden Wahrheit durchdrungen, und darin
der Gegensatz zu Karl und Clelia, die trotz ihres Ernstes und ihrer Frömmigkeit,
trotz ihres Hasses und ihrer Verachtung gegen die Welt der'Lüge und des Lasters,
die sie umgiebt, sich doch eines gewissen bewundernden Interesses für dieselbe
nicht erwehren können, eben weil sie ihnen unverständlich ist. Der Herzog er¬
innert lebhast an Jean Paul's Roquairol; er ist feiner erfunden, aber flüchtiger
gezeichnet. Der Anlage nach sehr gut erdacht und auch in manchen einzelnen
Zügen mit eben so viel Scharfsinn als Poesie ausgeführt, macht er doch im
Ganzen einen unbefriedigender Eindruck, weil der Dichter sich nicht die Mühe
gegeben hat, uns diesen Charakter zu vermitteln und verständlich zu machen. Es
ist aber ein großer Irrthum, wenn man das Seltsame und Unbegreifliche in der
Dichtung ebenso unbefangen vorführen zu dürfen glaubt, wie es uns im Leben
in der That begegnet, denn.anch das Gefühl der Uebetraschung und Verwunde¬
rung wird in der Poesie nur dadurch hergestellt, daß wir deu Contrast ermessen.—
Dieser Herzog, der steh uuter einem fremden Namen bei seinem Schwager Karl
eingeführt hat, verführt die schöne Dolores, und zwar nicht durch die gewöhn¬
lichen Künste, sondern dadurch, daß er sich ihr als eine Art Messias darstellt.
Nachher reist er ab, und Dolores entdeckt im Schlaf ihre Schuld ihrem Gemahl.
In seinem Gram des Lebens überdrüssig, giebt er ihr ein geladenes Gewehr in
die Hand, das sie ohne Absicht auf ihn abdrückt. Er fällt zur Erde, aber stirbt
nicht daran, und die schreckliche Folge macht in ihr das Gefühl ihrer Schuld
lebendig. Beide Gatten treten getrennt von einander eine Wallfahrt an, um zu
büßen, und finden sich uuter dem Schutz eines Muttergottesbildes zusammen,
durch welches sie versöhnt werden. Das ist beiläufig auch wieder ein Zug,-der
die Unklarheit in Arnim's Empfindungen ausdrückt. Arnim ist ein guter Pro¬
testant, und hat ein eben so lebhaftes als tiefes Gefühl für das Wesen dieser
Glaubensform; allein dasselbe ist doch nicht so stark, daß nicht zuweilen die Phan¬
tasie mit ihm durchgeht und ihn zu katholischen Einfällen verführt.


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[0313] auch seinen barocken Gestalten wenigstens^so viel Idealität verleiht, daß man ihnen nach irgend einer Seite hin menschliche Theilnahme schenken kann. — Die inte¬ ressanteste Erfindung ist jener Sicilianische Herzog, der Gemahl der frommen Elelia. Hochgebildet und mit den feinsten Empfindungen ausgestattet, wendet er seine Gaben nur zur Lüge an. Er hat die Kunst, alle Seelen zu durchschauen und in seine Ge¬ walt zu bringen. Ein routinirter Weltmann, der die ausgedehntesten Studien durch¬ gemacht, um schrankenlos genießen zu können, die physische Lust wie den höchsten geistigen Reiz, tritt er wie eimzweiter Proteus in den entgegengesetztesten Formen auf, bald als Diplomat, bald als Gelehrter, bald als Schwarzkünstlet. Die Rollen, die er spielt, gehören gewissermaßen'zu seinem Wesen; er empfindet in dem Augen¬ blick wirklich, wo er die Empfindung spielt. Er ist dabei von einer wirklich ge¬ fühlten Achtung von der seiner Natur fremden Wahrheit durchdrungen, und darin der Gegensatz zu Karl und Clelia, die trotz ihres Ernstes und ihrer Frömmigkeit, trotz ihres Hasses und ihrer Verachtung gegen die Welt der'Lüge und des Lasters, die sie umgiebt, sich doch eines gewissen bewundernden Interesses für dieselbe nicht erwehren können, eben weil sie ihnen unverständlich ist. Der Herzog er¬ innert lebhast an Jean Paul's Roquairol; er ist feiner erfunden, aber flüchtiger gezeichnet. Der Anlage nach sehr gut erdacht und auch in manchen einzelnen Zügen mit eben so viel Scharfsinn als Poesie ausgeführt, macht er doch im Ganzen einen unbefriedigender Eindruck, weil der Dichter sich nicht die Mühe gegeben hat, uns diesen Charakter zu vermitteln und verständlich zu machen. Es ist aber ein großer Irrthum, wenn man das Seltsame und Unbegreifliche in der Dichtung ebenso unbefangen vorführen zu dürfen glaubt, wie es uns im Leben in der That begegnet, denn.anch das Gefühl der Uebetraschung und Verwunde¬ rung wird in der Poesie nur dadurch hergestellt, daß wir deu Contrast ermessen.— Dieser Herzog, der steh uuter einem fremden Namen bei seinem Schwager Karl eingeführt hat, verführt die schöne Dolores, und zwar nicht durch die gewöhn¬ lichen Künste, sondern dadurch, daß er sich ihr als eine Art Messias darstellt. Nachher reist er ab, und Dolores entdeckt im Schlaf ihre Schuld ihrem Gemahl. In seinem Gram des Lebens überdrüssig, giebt er ihr ein geladenes Gewehr in die Hand, das sie ohne Absicht auf ihn abdrückt. Er fällt zur Erde, aber stirbt nicht daran, und die schreckliche Folge macht in ihr das Gefühl ihrer Schuld lebendig. Beide Gatten treten getrennt von einander eine Wallfahrt an, um zu büßen, und finden sich uuter dem Schutz eines Muttergottesbildes zusammen, durch welches sie versöhnt werden. Das ist beiläufig auch wieder ein Zug,-der die Unklarheit in Arnim's Empfindungen ausdrückt. Arnim ist ein guter Pro¬ testant, und hat ein eben so lebhaftes als tiefes Gefühl für das Wesen dieser Glaubensform; allein dasselbe ist doch nicht so stark, daß nicht zuweilen die Phan¬ tasie mit ihm durchgeht und ihn zu katholischen Einfällen verführt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/313>, abgerufen am 22.12.2024.