Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.längst über dergleichen Verhältnisse hinaus; er lachte den Grafen an, ob er ihn Das Eheleben der beiden Gatten dient nun einerseits dazu, die Verirrungen längst über dergleichen Verhältnisse hinaus; er lachte den Grafen an, ob er ihn Das Eheleben der beiden Gatten dient nun einerseits dazu, die Verirrungen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0312" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/94753"/> <p xml:id="ID_953" prev="#ID_952"> längst über dergleichen Verhältnisse hinaus; er lachte den Grafen an, ob er ihn<lb/> denn für wahnsinnig halte, sich auf so etwas einzulassen,.....er dictirte in<lb/> großer Ruhe eine so beschämende Abbitte, daß der Graf, der von dem Muth<lb/> des Barons manche Proben Mißte, über eine Natur staunte, die aus dem ganzen<lb/> Ehrenkreise seiner Zeit, seines Volkes ohne große Begebenheiten, blos durch sich<lb/> selbst herausgerissen worden; mit Schrecken dachte er, daß eine Revolution<lb/> nothwendig gerade solche Menschen an ihrer Spitze tragen müsse,<lb/> und mancher jugendliche Umwälzungsplan, den er mit dem gährenden Most der<lb/> Zeit getränkt hatte, verschwand vor seinen Augen in Einem bedeutenden Augen¬<lb/> blick: nur der Ruchlose fängt eine neue Welt an in sich. Wir haben<lb/> diese Stelle angeführt, um auf die tiefe, überraschend wahre Auffassung der Re¬<lb/> volution aufmerksam zu machen. Aehnliche geistvolle Auffassungen finden sich<lb/> alle Augenblicke, aber eben so häufig durch die widersinnigsten Einfalle unter¬<lb/> brochen.</p><lb/> <p xml:id="ID_954" next="#ID_955"> Das Eheleben der beiden Gatten dient nun einerseits dazu, die Verirrungen<lb/> eines an sich gut gearteten Gemüths, welches aber eines.starken Gefühls entbehrt,<lb/> zu charakrerisiren, außerdem aber eine Reihe von Charakteren einzuführen, in<lb/> denen sich die Hohlheit und Lügenhaftigkeit des Zeitalters ausprägt. Der eine<lb/> derselben ist eben jener häßliche Baron, in dem sich das Bewußtsein der allge¬<lb/> meinen Heuchelei in einem ironischen Cynismus, der sich von den Falstaff'schen<lb/> dadurch unterscheidet, daß er durch eine ziemlich weitgehende Bildung vermittelt<lb/> ist, consolidirt. — Ein zweiter ist der Dichter Waller, einer von jenen unglück-<lb/> lichen Genies, deren Leben sich im Anempfinder fremder Begeisterung ausgiebt,<lb/> die, weil sie jede Empfindung zu einem Gedicht umwandeln, sich wie Nachtwandler<lb/> in eiuer dichterischen Traumwelt bewegen, aber durch die Fäden, welche diese<lb/> Traumwelt mit der sittlichen Welt verbinden, mit verhängnißvoller Unsittlichkeit<lb/> in das Reich der Wirklichkeit übergreifen. Auch diese an sich sehr fein ausgedachte<lb/> Figur ist durch mystische und undeutliche Aeußerlichkeiten entstellt. Seine Ge¬<lb/> dichte sind durch einen sonderbaren Zufall in einem Kirchthnrmknopf eingemauert<lb/> und er ist untröstlich über den Verlust derselben, bis er sie sich endlich von seinem<lb/> clairvoyanten Sohn von da aus vorlesen und wieder dictiren läßt. Das ist so<lb/> ein Beispiel von dem Hereinziehen des Mystischen und Räthselhaften, durch<lb/> welches scheinbar der moralische Eindruck der grellem Zeichnung wegen verstärkt,<lb/> in der That aber verwirrt wird, weil man seine Aufmerksamkeit nothgedrungen<lb/> auf ein Gebiet richten' muß, das der moralischen Betrachtung keinen Spielraum<lb/> läßt. — Es sind noch einige andere satyrische Figuren, in denen die Hohlheit<lb/> und Lügenhaftigkeit der Zeit sich ausprägen soll, ungefähr wie in Immermann's<lb/> Münchhausen, dargestellt, z. B. ein Prinzenhofmeister, ein Judcnmesfias u. s. w.;<lb/> aber alle diese Figuren sind so eckig und schon in ihrer Anlage so irrationell,<lb/> daß man sie nur als Curiosttäten betrachten kann; während der wahre Dichter</p><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0312]
längst über dergleichen Verhältnisse hinaus; er lachte den Grafen an, ob er ihn
denn für wahnsinnig halte, sich auf so etwas einzulassen,.....er dictirte in
großer Ruhe eine so beschämende Abbitte, daß der Graf, der von dem Muth
des Barons manche Proben Mißte, über eine Natur staunte, die aus dem ganzen
Ehrenkreise seiner Zeit, seines Volkes ohne große Begebenheiten, blos durch sich
selbst herausgerissen worden; mit Schrecken dachte er, daß eine Revolution
nothwendig gerade solche Menschen an ihrer Spitze tragen müsse,
und mancher jugendliche Umwälzungsplan, den er mit dem gährenden Most der
Zeit getränkt hatte, verschwand vor seinen Augen in Einem bedeutenden Augen¬
blick: nur der Ruchlose fängt eine neue Welt an in sich. Wir haben
diese Stelle angeführt, um auf die tiefe, überraschend wahre Auffassung der Re¬
volution aufmerksam zu machen. Aehnliche geistvolle Auffassungen finden sich
alle Augenblicke, aber eben so häufig durch die widersinnigsten Einfalle unter¬
brochen.
Das Eheleben der beiden Gatten dient nun einerseits dazu, die Verirrungen
eines an sich gut gearteten Gemüths, welches aber eines.starken Gefühls entbehrt,
zu charakrerisiren, außerdem aber eine Reihe von Charakteren einzuführen, in
denen sich die Hohlheit und Lügenhaftigkeit des Zeitalters ausprägt. Der eine
derselben ist eben jener häßliche Baron, in dem sich das Bewußtsein der allge¬
meinen Heuchelei in einem ironischen Cynismus, der sich von den Falstaff'schen
dadurch unterscheidet, daß er durch eine ziemlich weitgehende Bildung vermittelt
ist, consolidirt. — Ein zweiter ist der Dichter Waller, einer von jenen unglück-
lichen Genies, deren Leben sich im Anempfinder fremder Begeisterung ausgiebt,
die, weil sie jede Empfindung zu einem Gedicht umwandeln, sich wie Nachtwandler
in eiuer dichterischen Traumwelt bewegen, aber durch die Fäden, welche diese
Traumwelt mit der sittlichen Welt verbinden, mit verhängnißvoller Unsittlichkeit
in das Reich der Wirklichkeit übergreifen. Auch diese an sich sehr fein ausgedachte
Figur ist durch mystische und undeutliche Aeußerlichkeiten entstellt. Seine Ge¬
dichte sind durch einen sonderbaren Zufall in einem Kirchthnrmknopf eingemauert
und er ist untröstlich über den Verlust derselben, bis er sie sich endlich von seinem
clairvoyanten Sohn von da aus vorlesen und wieder dictiren läßt. Das ist so
ein Beispiel von dem Hereinziehen des Mystischen und Räthselhaften, durch
welches scheinbar der moralische Eindruck der grellem Zeichnung wegen verstärkt,
in der That aber verwirrt wird, weil man seine Aufmerksamkeit nothgedrungen
auf ein Gebiet richten' muß, das der moralischen Betrachtung keinen Spielraum
läßt. — Es sind noch einige andere satyrische Figuren, in denen die Hohlheit
und Lügenhaftigkeit der Zeit sich ausprägen soll, ungefähr wie in Immermann's
Münchhausen, dargestellt, z. B. ein Prinzenhofmeister, ein Judcnmesfias u. s. w.;
aber alle diese Figuren sind so eckig und schon in ihrer Anlage so irrationell,
daß man sie nur als Curiosttäten betrachten kann; während der wahre Dichter
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