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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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Mann ernsthaft mit Puppen spielen. Es ist noch der Nachklang der Tieck'schen
Ironie, die aber bei dem Letzten bewußt ist, denn Tieck weiß immer sehr wohl,
wenn er sich mit Kindereien beschäftigt,. während Arnim sich selber einzureden
sucht, er treibe etwas Wichtiges, wenn >er einem alten Hanswurst einen neuen
Schnurrbart anstreicht.

Wir gehen jetzt zu Arnim's größeren Werken über, zunächst zu dem Roman,
in welchem alle Strahlen seiner Poesie concentrirt sind: "Armuth, Reichthum,
Schuld und Buße der Gräfin DoloreS, eine wahre Geschichte zur
lehrreichen Unterhaltung armer Fräulein (-1810).

Wir wollen hier den Inhalt dieses wunderbaren Werks angeben. -- Ein
deutscher Minister von großer Bildung und wenig Charakter fällt in Ungnade,
und geht, um seineu Gläubigern zu entfliehen, nach Indien, indem er seine
Familie in Armuth zurückläßt. Die Familie stirbt aus bis auf zwei Mädchen,
die in dem alten verfallenen Schloß fortleben. Diese romantische Armuth ist
reizend geschildert, wie das Unkraut die Werke der Kunst überwuchert, wie Gassen¬
jungen sich in den verwilderten Baumgängen herumtreiben, die ehemals der Aufent¬
halt der feinsten Welt gewesen, und einer umgestürzten Venus mit Nesseln den
marmornen Hintern geißeln. In diesem Zustande werden die beiden Mädchen
von einem jungen Grasen gesehen, der eben Student ist. Das Studentenleben,
weil es aus eine träumerische Weise, wie ein weit ausgedehntes Maskenspiel aus
dem Zusammenhange de's vernünftigen Lebens herausgerissen ist, gehört zu den
Lieblingsgegenständen der Romantik. Er verliebt sich in die eine der beiden
Mädchen, Dolores, die leichtfertige kleine Coquette, und heirathet sie, während
die andere Schwester, Clelia, eine Holbein'sche Madonna mit etwas ritterlich
spanischem Anstrich, die Gemahlin eines sicilianischen Herzogs wird. Graf Karl
ist das Ideal des Dichters, christlich-fromm und dichterisch-kühn, göttlich hart und
von liebevollem Erbarmen, mädchenhaft schüchtern und männlich besonnen. Als
Jüngling war er mit den revolutionairen Gedanken der Zeit erfüllt. Es ist sehr
lehrreich, wie er davon zurückgeführt wird. Ein frecher Mensch, der unter dem
Namen des häßlichen Barons in der Geschichte auftritt, hat ihm eine schwere
Beleidigung zugefügt. "Viel hundertmal hatte der Graf demonstrirt, daß der
Zweikampf, nur zwischen gewissen Ständen eingeführt, eine elende Taschenspielerei
mit der Ehre sei, während ihn die zahlreichen Classen des Volks für etwas Schäd¬
liches halten; da sei keine allgemein geglaubte Ehrenreinigung dabei, und in seinem
unbestimmten Verhältniß zu deu Landesgesetzen und Sitten, die ihn bald geboten, bald
verboten, stelle er ein trauriges Zeichen jener Unbestimmtheit aller Einrichtungen dar,
die gerade so wesentliche, edelste,'höchste Beziehungen im Volk, wie die Ehre, ohne
allgemein durchgeführte Gesinnungen willkürlich mißhandelten, brauchten und unter¬
drückten. Das war seine Betrachtung. Aber mit dem Augenblick der Leiden¬
schaft saßt ihn die gewohnte Gesinnung seines Standes. -- Der Baron war aber


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Mann ernsthaft mit Puppen spielen. Es ist noch der Nachklang der Tieck'schen
Ironie, die aber bei dem Letzten bewußt ist, denn Tieck weiß immer sehr wohl,
wenn er sich mit Kindereien beschäftigt,. während Arnim sich selber einzureden
sucht, er treibe etwas Wichtiges, wenn >er einem alten Hanswurst einen neuen
Schnurrbart anstreicht.

Wir gehen jetzt zu Arnim's größeren Werken über, zunächst zu dem Roman,
in welchem alle Strahlen seiner Poesie concentrirt sind: „Armuth, Reichthum,
Schuld und Buße der Gräfin DoloreS, eine wahre Geschichte zur
lehrreichen Unterhaltung armer Fräulein (-1810).

Wir wollen hier den Inhalt dieses wunderbaren Werks angeben. — Ein
deutscher Minister von großer Bildung und wenig Charakter fällt in Ungnade,
und geht, um seineu Gläubigern zu entfliehen, nach Indien, indem er seine
Familie in Armuth zurückläßt. Die Familie stirbt aus bis auf zwei Mädchen,
die in dem alten verfallenen Schloß fortleben. Diese romantische Armuth ist
reizend geschildert, wie das Unkraut die Werke der Kunst überwuchert, wie Gassen¬
jungen sich in den verwilderten Baumgängen herumtreiben, die ehemals der Aufent¬
halt der feinsten Welt gewesen, und einer umgestürzten Venus mit Nesseln den
marmornen Hintern geißeln. In diesem Zustande werden die beiden Mädchen
von einem jungen Grasen gesehen, der eben Student ist. Das Studentenleben,
weil es aus eine träumerische Weise, wie ein weit ausgedehntes Maskenspiel aus
dem Zusammenhange de's vernünftigen Lebens herausgerissen ist, gehört zu den
Lieblingsgegenständen der Romantik. Er verliebt sich in die eine der beiden
Mädchen, Dolores, die leichtfertige kleine Coquette, und heirathet sie, während
die andere Schwester, Clelia, eine Holbein'sche Madonna mit etwas ritterlich
spanischem Anstrich, die Gemahlin eines sicilianischen Herzogs wird. Graf Karl
ist das Ideal des Dichters, christlich-fromm und dichterisch-kühn, göttlich hart und
von liebevollem Erbarmen, mädchenhaft schüchtern und männlich besonnen. Als
Jüngling war er mit den revolutionairen Gedanken der Zeit erfüllt. Es ist sehr
lehrreich, wie er davon zurückgeführt wird. Ein frecher Mensch, der unter dem
Namen des häßlichen Barons in der Geschichte auftritt, hat ihm eine schwere
Beleidigung zugefügt. „Viel hundertmal hatte der Graf demonstrirt, daß der
Zweikampf, nur zwischen gewissen Ständen eingeführt, eine elende Taschenspielerei
mit der Ehre sei, während ihn die zahlreichen Classen des Volks für etwas Schäd¬
liches halten; da sei keine allgemein geglaubte Ehrenreinigung dabei, und in seinem
unbestimmten Verhältniß zu deu Landesgesetzen und Sitten, die ihn bald geboten, bald
verboten, stelle er ein trauriges Zeichen jener Unbestimmtheit aller Einrichtungen dar,
die gerade so wesentliche, edelste,'höchste Beziehungen im Volk, wie die Ehre, ohne
allgemein durchgeführte Gesinnungen willkürlich mißhandelten, brauchten und unter¬
drückten. Das war seine Betrachtung. Aber mit dem Augenblick der Leiden¬
schaft saßt ihn die gewohnte Gesinnung seines Standes. — Der Baron war aber


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[0311] Mann ernsthaft mit Puppen spielen. Es ist noch der Nachklang der Tieck'schen Ironie, die aber bei dem Letzten bewußt ist, denn Tieck weiß immer sehr wohl, wenn er sich mit Kindereien beschäftigt,. während Arnim sich selber einzureden sucht, er treibe etwas Wichtiges, wenn >er einem alten Hanswurst einen neuen Schnurrbart anstreicht. Wir gehen jetzt zu Arnim's größeren Werken über, zunächst zu dem Roman, in welchem alle Strahlen seiner Poesie concentrirt sind: „Armuth, Reichthum, Schuld und Buße der Gräfin DoloreS, eine wahre Geschichte zur lehrreichen Unterhaltung armer Fräulein (-1810). Wir wollen hier den Inhalt dieses wunderbaren Werks angeben. — Ein deutscher Minister von großer Bildung und wenig Charakter fällt in Ungnade, und geht, um seineu Gläubigern zu entfliehen, nach Indien, indem er seine Familie in Armuth zurückläßt. Die Familie stirbt aus bis auf zwei Mädchen, die in dem alten verfallenen Schloß fortleben. Diese romantische Armuth ist reizend geschildert, wie das Unkraut die Werke der Kunst überwuchert, wie Gassen¬ jungen sich in den verwilderten Baumgängen herumtreiben, die ehemals der Aufent¬ halt der feinsten Welt gewesen, und einer umgestürzten Venus mit Nesseln den marmornen Hintern geißeln. In diesem Zustande werden die beiden Mädchen von einem jungen Grasen gesehen, der eben Student ist. Das Studentenleben, weil es aus eine träumerische Weise, wie ein weit ausgedehntes Maskenspiel aus dem Zusammenhange de's vernünftigen Lebens herausgerissen ist, gehört zu den Lieblingsgegenständen der Romantik. Er verliebt sich in die eine der beiden Mädchen, Dolores, die leichtfertige kleine Coquette, und heirathet sie, während die andere Schwester, Clelia, eine Holbein'sche Madonna mit etwas ritterlich spanischem Anstrich, die Gemahlin eines sicilianischen Herzogs wird. Graf Karl ist das Ideal des Dichters, christlich-fromm und dichterisch-kühn, göttlich hart und von liebevollem Erbarmen, mädchenhaft schüchtern und männlich besonnen. Als Jüngling war er mit den revolutionairen Gedanken der Zeit erfüllt. Es ist sehr lehrreich, wie er davon zurückgeführt wird. Ein frecher Mensch, der unter dem Namen des häßlichen Barons in der Geschichte auftritt, hat ihm eine schwere Beleidigung zugefügt. „Viel hundertmal hatte der Graf demonstrirt, daß der Zweikampf, nur zwischen gewissen Ständen eingeführt, eine elende Taschenspielerei mit der Ehre sei, während ihn die zahlreichen Classen des Volks für etwas Schäd¬ liches halten; da sei keine allgemein geglaubte Ehrenreinigung dabei, und in seinem unbestimmten Verhältniß zu deu Landesgesetzen und Sitten, die ihn bald geboten, bald verboten, stelle er ein trauriges Zeichen jener Unbestimmtheit aller Einrichtungen dar, die gerade so wesentliche, edelste,'höchste Beziehungen im Volk, wie die Ehre, ohne allgemein durchgeführte Gesinnungen willkürlich mißhandelten, brauchten und unter¬ drückten. Das war seine Betrachtung. Aber mit dem Augenblick der Leiden¬ schaft saßt ihn die gewohnte Gesinnung seines Standes. — Der Baron war aber 38*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/311>, abgerufen am 22.12.2024.