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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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ten. Er nickt ihnen aber freundlich zu". -- Ferner unterbricht er, wie Brentano,
seine Erzählungen alle Augenblicke durch eine Lyrik, die den trockensten Calcul
eines reflectirenden Verstandes mit den wildesten Sprüngen einer zügellosen Phan¬
tasie vereinigt. Wie in den Opern sangen in diesen Novellen die Figuren, wenn
sie irgendwie erregt werden, sofort an zu singen, und zwar wie in einer Arie
in unmittelbarer Beziehung auf das vorliegende Ereigniß. Hier ein Pröbchen von
dieser Lyrik.


Kalte Hände, warmes Herz
Hab' ich wohl empfunden,
Nahe Thränen, fernen Schmerz'
In den Abschiedsstunden;
In der Hände letztem Druck
Froren sie zusammen;
Doch das Herz war heiß genug,
Löste sie in Flammen.

Am tollsten nimmt sich diese Mischung von eigensinnigem Realismus und
unbegreiflichen Märcheuwesen in seinem Theater aus. Ueberall scheint ein über-
irdisches gespenstisches Licht in das breite Detail der Geschichte hinein. So possenhaft
diese buntscheckigen Harlekine sich herumtummeln, mau kann nicht über sie lachen;
so greulich das Schicksal wüthet, man wird nicht erschüttert; so seltsam die
Abenteuer wechseln, man wird nicht gespannt; und doch ist auch hier mitunter
manch feines und ansprechendes Bild, z. B. in dem "Auerhahn", einem histo¬
rischen Stück, welches die höchste Tragik und die höchste Komik vereinigen soll.
Ein Landgraf von Thüringen hinterläßt drei illegitime Kinder, die nun in dem
verödeten Schloß ihr Leben in der Einsamkeit fortführen: dem einen wachsen
vor Langerweile die Beine unter dem Tisch fort; der andere' beklagt sich, daß
sein guter seliger Vater ihm keinen Fußtritt mehr giebt und ihm dabei ein Stück
trocken Brod zuwirft; sie alle werden von ihrem Stiefbruder, dem eisernen Land¬
grafen, aus dem Schlosse getrieben, der endlich im Jähzorn seineu frommen Sohn
tobtet und durch seinen Halbbruder erschlagen wird. Eine ahnungsvoll träume¬
rische Unbestimmtheit weht über die Handlung, deren einzelne Momente in den
schärfsten Umrissen gezeichnet sind, und drückt sich selbst in dem prosaischen Rhyth¬
mus der Sprache aus, in welchem der trochäische Charakter vorwiegt. -- In
einem andern Stück, der "Belagerung von Wesel", muß der ehrliche Nieder¬
länder, welcher die Stadt von den Spaniern befreit, sich erst in einem Traum¬
gesicht die zur Durchbrechung der Pallisaden nöthigen Werkzeuge beschreiben lasse".
-- Die übrigen Stücke: ,,Jans erster und zweiter Dienst," ,,das Loch oder das
wiedergefundene Paradies", "Herr Hahnrei", "Jemand und Niemand" u. f. w.
sind in der Manier der alten Puppenspiele gehalten. Arnim hat jener Stimmung,
die vorübergehend wohl in ihrem Recht ist, das Leben durch Narrenspossen zu
versüßen, fixirt. Es wird einem dabei zu Muthe, als sähe man einen erwachsenen


ten. Er nickt ihnen aber freundlich zu". — Ferner unterbricht er, wie Brentano,
seine Erzählungen alle Augenblicke durch eine Lyrik, die den trockensten Calcul
eines reflectirenden Verstandes mit den wildesten Sprüngen einer zügellosen Phan¬
tasie vereinigt. Wie in den Opern sangen in diesen Novellen die Figuren, wenn
sie irgendwie erregt werden, sofort an zu singen, und zwar wie in einer Arie
in unmittelbarer Beziehung auf das vorliegende Ereigniß. Hier ein Pröbchen von
dieser Lyrik.


Kalte Hände, warmes Herz
Hab' ich wohl empfunden,
Nahe Thränen, fernen Schmerz'
In den Abschiedsstunden;
In der Hände letztem Druck
Froren sie zusammen;
Doch das Herz war heiß genug,
Löste sie in Flammen.

Am tollsten nimmt sich diese Mischung von eigensinnigem Realismus und
unbegreiflichen Märcheuwesen in seinem Theater aus. Ueberall scheint ein über-
irdisches gespenstisches Licht in das breite Detail der Geschichte hinein. So possenhaft
diese buntscheckigen Harlekine sich herumtummeln, mau kann nicht über sie lachen;
so greulich das Schicksal wüthet, man wird nicht erschüttert; so seltsam die
Abenteuer wechseln, man wird nicht gespannt; und doch ist auch hier mitunter
manch feines und ansprechendes Bild, z. B. in dem „Auerhahn", einem histo¬
rischen Stück, welches die höchste Tragik und die höchste Komik vereinigen soll.
Ein Landgraf von Thüringen hinterläßt drei illegitime Kinder, die nun in dem
verödeten Schloß ihr Leben in der Einsamkeit fortführen: dem einen wachsen
vor Langerweile die Beine unter dem Tisch fort; der andere' beklagt sich, daß
sein guter seliger Vater ihm keinen Fußtritt mehr giebt und ihm dabei ein Stück
trocken Brod zuwirft; sie alle werden von ihrem Stiefbruder, dem eisernen Land¬
grafen, aus dem Schlosse getrieben, der endlich im Jähzorn seineu frommen Sohn
tobtet und durch seinen Halbbruder erschlagen wird. Eine ahnungsvoll träume¬
rische Unbestimmtheit weht über die Handlung, deren einzelne Momente in den
schärfsten Umrissen gezeichnet sind, und drückt sich selbst in dem prosaischen Rhyth¬
mus der Sprache aus, in welchem der trochäische Charakter vorwiegt. — In
einem andern Stück, der „Belagerung von Wesel", muß der ehrliche Nieder¬
länder, welcher die Stadt von den Spaniern befreit, sich erst in einem Traum¬
gesicht die zur Durchbrechung der Pallisaden nöthigen Werkzeuge beschreiben lasse».
— Die übrigen Stücke: ,,Jans erster und zweiter Dienst," ,,das Loch oder das
wiedergefundene Paradies", „Herr Hahnrei", „Jemand und Niemand" u. f. w.
sind in der Manier der alten Puppenspiele gehalten. Arnim hat jener Stimmung,
die vorübergehend wohl in ihrem Recht ist, das Leben durch Narrenspossen zu
versüßen, fixirt. Es wird einem dabei zu Muthe, als sähe man einen erwachsenen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/310>, abgerufen am 22.12.2024.