Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.chischen Kunst vergleichen, wo man aus Ueberdruß ein der sinnlichen Weichheit Man vergesse uicht, daß alle diese Ausstellungen keineswegs der Sammlung chischen Kunst vergleichen, wo man aus Ueberdruß ein der sinnlichen Weichheit Man vergesse uicht, daß alle diese Ausstellungen keineswegs der Sammlung <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0307" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/94748"/> <p xml:id="ID_942" prev="#ID_941"> chischen Kunst vergleichen, wo man aus Ueberdruß ein der sinnlichen Weichheit<lb/> zu den harten, eckigen Formen der äginetischen Schule zurückkehrte. Es war<lb/> keineswegs ein christliches Interesse, das diese naiven Heiligenbilder auf Gold¬<lb/> grund verklärte. Die gemüthliche Auffassung des Christenthums war uur eine<lb/> Individualität unter der Masse anderer Individualitäten, welche durch die souveraine<lb/> Laune, die allen Sinn des Allgemeinen von sich abgestreift hatte, in gleicher<lb/> Berechtigung neben einander gestellt wurden. Man suchte uicht mehr, wie in der<lb/> romantischen Schule, den romantischen Stoss zusammen und stellte ihn der Phi¬<lb/> listerwelt gegenüber, sondern man warf Beides mit gleichmäßiger Vorliebe durch¬<lb/> einander; christliche Märtyrer, Käfer, Blumen, ehrbare Bürgermeister, Musikanten,<lb/> Kürassiere, venetianische Gläser, Hexen und Gnomen, Feen und Eisen, Störche,<lb/> Gänse, Heuschober, Alräunchen, Zigeuner n. s. w., Alles auf das Burleske durch¬<lb/> einander. Das Alberne und Tolle wird als geniale Freiheit bewundert, der Hu¬<lb/> mor jubelt in einem halb lustigen, halb ehrbaren Se. Veitstanz über die Unend¬<lb/> lichkeit der phantastisch kreisenden Welten. Dabei ist es keineswegs der naive<lb/> Instinkt, der das Interesse hergicbt, sondern eine gebildete Reflexion; des Knaben<lb/> Wunderhorn ist eine falsche Bezeichnung.</p><lb/> <p xml:id="ID_943"> Man vergesse uicht, daß alle diese Ausstellungen keineswegs der Sammlung<lb/> als solcher, sondern nur der falschen Stellung gelten, die man ihr geben wollte.<lb/> Die britischen Dichter, die ganz in der nämlichen Zeit in der Weise der alten<lb/> Volkslieder zu empfinden strebten, z. B. Walter Scott und Thomas Moore,<lb/> übertrugen mit weiser Schonung in die alten Formen die neue Empfindung. Eben<lb/> darum wurden sie populair, während der reflectirte deutsche Naturwuchs nur den<lb/> Gebildeten zugänglich war, welche die Fähigkeit hatten, sich auf einen fremden<lb/> Standpunkt zu versetzen, am wenigsten dem Volke und der Kinderwelt, für die<lb/> er dem Anschein nach berechnet war, denn die wirkliche Naivetät liebt es nicht,<lb/> sich selber anzuschauen. Es war immer nur die an ihrem eigenen Wesen ver¬<lb/> zweifelnde Aufklärung, die mit bewußtem Eigensinn zu den unteren Schichten der<lb/> Bildung, dem beschränkten Bewußtsein gemüthlicher Zustände zurückkehrte, und<lb/> es dadurch in ein phantastisches Licht stellte. Die Naturmenschen der Romantik<lb/> sind Sonntagskinder, welche die Feiertagsstuuden der Sammlung fixiren, während<lb/> das wirkliche Volk sich uur darum an ihnen erfreuen kann, weil sie Ausnahmen<lb/> sind. Es ist die neue alexandrinische Zeit, die in dem Bewußtsein der eigenen<lb/> Entzweiung eine Welt sich dichtet, die mit sich selber übereinstimmen soll und ihr<lb/> den trügerischen Schimmer der wirklichen leiht. Darum ist es keine andächtige<lb/> Hingebung an das Wesen der Natur; es ist die Ironie der Sentimentalität gegen<lb/> sich selber. Nirgend ist es Ernst mit der Freude an der Beschränktheit; sie ver¬<lb/> liert sofort ihren Werth, sobald sie aufhört, bloße Sehnsucht des Herzens, freie<lb/> Schöpfung des Gedichts zu sein. Das gedichtete Naturgemüth ist nichts Anderes<lb/> als die Spitze des romantisch gebildeten Gemüths.</p><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0307]
chischen Kunst vergleichen, wo man aus Ueberdruß ein der sinnlichen Weichheit
zu den harten, eckigen Formen der äginetischen Schule zurückkehrte. Es war
keineswegs ein christliches Interesse, das diese naiven Heiligenbilder auf Gold¬
grund verklärte. Die gemüthliche Auffassung des Christenthums war uur eine
Individualität unter der Masse anderer Individualitäten, welche durch die souveraine
Laune, die allen Sinn des Allgemeinen von sich abgestreift hatte, in gleicher
Berechtigung neben einander gestellt wurden. Man suchte uicht mehr, wie in der
romantischen Schule, den romantischen Stoss zusammen und stellte ihn der Phi¬
listerwelt gegenüber, sondern man warf Beides mit gleichmäßiger Vorliebe durch¬
einander; christliche Märtyrer, Käfer, Blumen, ehrbare Bürgermeister, Musikanten,
Kürassiere, venetianische Gläser, Hexen und Gnomen, Feen und Eisen, Störche,
Gänse, Heuschober, Alräunchen, Zigeuner n. s. w., Alles auf das Burleske durch¬
einander. Das Alberne und Tolle wird als geniale Freiheit bewundert, der Hu¬
mor jubelt in einem halb lustigen, halb ehrbaren Se. Veitstanz über die Unend¬
lichkeit der phantastisch kreisenden Welten. Dabei ist es keineswegs der naive
Instinkt, der das Interesse hergicbt, sondern eine gebildete Reflexion; des Knaben
Wunderhorn ist eine falsche Bezeichnung.
Man vergesse uicht, daß alle diese Ausstellungen keineswegs der Sammlung
als solcher, sondern nur der falschen Stellung gelten, die man ihr geben wollte.
Die britischen Dichter, die ganz in der nämlichen Zeit in der Weise der alten
Volkslieder zu empfinden strebten, z. B. Walter Scott und Thomas Moore,
übertrugen mit weiser Schonung in die alten Formen die neue Empfindung. Eben
darum wurden sie populair, während der reflectirte deutsche Naturwuchs nur den
Gebildeten zugänglich war, welche die Fähigkeit hatten, sich auf einen fremden
Standpunkt zu versetzen, am wenigsten dem Volke und der Kinderwelt, für die
er dem Anschein nach berechnet war, denn die wirkliche Naivetät liebt es nicht,
sich selber anzuschauen. Es war immer nur die an ihrem eigenen Wesen ver¬
zweifelnde Aufklärung, die mit bewußtem Eigensinn zu den unteren Schichten der
Bildung, dem beschränkten Bewußtsein gemüthlicher Zustände zurückkehrte, und
es dadurch in ein phantastisches Licht stellte. Die Naturmenschen der Romantik
sind Sonntagskinder, welche die Feiertagsstuuden der Sammlung fixiren, während
das wirkliche Volk sich uur darum an ihnen erfreuen kann, weil sie Ausnahmen
sind. Es ist die neue alexandrinische Zeit, die in dem Bewußtsein der eigenen
Entzweiung eine Welt sich dichtet, die mit sich selber übereinstimmen soll und ihr
den trügerischen Schimmer der wirklichen leiht. Darum ist es keine andächtige
Hingebung an das Wesen der Natur; es ist die Ironie der Sentimentalität gegen
sich selber. Nirgend ist es Ernst mit der Freude an der Beschränktheit; sie ver¬
liert sofort ihren Werth, sobald sie aufhört, bloße Sehnsucht des Herzens, freie
Schöpfung des Gedichts zu sein. Das gedichtete Naturgemüth ist nichts Anderes
als die Spitze des romantisch gebildeten Gemüths.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |