Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.waren dem wirklichen Leben feindselig. Hier dagegen nimmt' der Idealismus waren dem wirklichen Leben feindselig. Hier dagegen nimmt' der Idealismus <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0306" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/94747"/> <p xml:id="ID_941" prev="#ID_940" next="#ID_942"> waren dem wirklichen Leben feindselig. Hier dagegen nimmt' der Idealismus<lb/> seine Färbung gerade aus dem Bestimmter, Concreten und Individuellen, welches<lb/> die gewöhnliche Geschichtsschreibung vernachlässigt. Was die Tendenz betrifft,<lb/> so wird man sich am besten darüber klar, wenn man „des Knaben Wunderhorn"<lb/> mit den ,,Stimmen der-Völker" vergleicht, durch welche Herder vor ungefähr<lb/> einem Menschenalter die Emancipation des Naturwüchsigen für das Reich der<lb/> Bildung angebahnt hatte. Die „Stimmen der Völker" sollten zeigen, wie in<lb/> der ursprünglichen Poesie auch derjenigen Völker, die von der Cultur am wenig¬<lb/> sten ergriffen find, dennoch der ewig gleiche Geist der Menschheit sich offenbart;<lb/> wie erst in der Gesammtheit der mannigfaltigen Farben, in welche das Licht der<lb/> Menschheit gebrochen wird, die Totalität des Lichts zur Anschauung kommt.<lb/> Darum hatte Herder zwar schonend, aber mit einem bestimmt festgehaltenen Zweck<lb/> die Weise jener Naturvölker dem modernen Bewußtsein angenähert, gerade wie<lb/> er ^ es bei seiner Bearbeitung des Cid gemacht hatte, in welcher mit großer<lb/> Sorgfalt, alle Züge, die das Gefühl verletzen konnten, weggewischt waren. Es<lb/> ist nicht zu läugnen, daß durch diese Humanisirung die Erkenntniß des Charak¬<lb/> teristischen nicht gefördert wird, wie das zum Theil auch in Herder's Ideen der<lb/> Fall ist. Arnim verfolgte den entgegengesetzten Weg. Er suchte mit besonderer<lb/> Vorliebe diejenigen Züge des Volksliedes hervor, welche der conventionellen Sen¬<lb/> timentalität, dem conventionellen Idealismus widersprachen, in Bezug auf den<lb/> Inhalt wie auf die Form. Jene Naturlaute, deren Anwendung sowol Schiller<lb/> als Schlegel bei Bürger, wenn auch aus verschiedenen Gründen, mit gleicher<lb/> Energie getadelt hatten, kommen in dieser Sammlung im Uebermaß vor, und das<lb/> sittliche Gefühl, das sich in ihnen ausspricht, ist von eiuer so harten Naivetät, daß<lb/> wir zuweilen darüber erschrecken. Trotzdem war das Princip der Herausgeber<lb/> durchaus zu billigen, denn wenn wir uns von der Geschichte ein wirkliches Bild<lb/> machen wollen, so müssen wir sie anschauen,' wie sie ist, nicht wie wir sie gern<lb/> haben möchten. Eine andere Sache ist es freilich mit dem Werth, den man<lb/> jenen Productionen des Volksinstinkts beilegte, und der so weit ging, daß man sie<lb/> gern als ein Beispiel zur Nachahmung aufgestellt hätte, wie, denn auch Brentano<lb/> in seinen Liedern, soweit sie überhaupt poetisch sind, immer im Geist dieser alten<lb/> Volksgesänge empfindet und anschaut. Das Beispiel mußte, uM so reizender sein,<lb/> da uus die Zeit, in der die Lieder gedichtet waren, unendlich näher lag, als die<lb/> Zeit der Minnesänger und der Rittergedichte, welche Tieck und seine Schule uns<lb/> vorführten. Es ist damit gerade so, wie mit den Fastnachtspielen von Hans Sachs,<lb/> die schon auf Goethe einen so lebhaften Einfluß ausgeübt hatten, mit den Mär¬<lb/> chen, die uns Grimm überlieferte, und mit den altdeutschen Gemälden, namentlich<lb/> ans der rheinisch byzantinischen Schule, die damals von Boisserse gesammelt wurden.<lb/> Die Neigung der Künstler für die charakteristischen, aber ungebildeten Urformen<lb/> der alten nationalen Anschauungsweise, läßt sich mit jener Zeit der grie-</p><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0306]
waren dem wirklichen Leben feindselig. Hier dagegen nimmt' der Idealismus
seine Färbung gerade aus dem Bestimmter, Concreten und Individuellen, welches
die gewöhnliche Geschichtsschreibung vernachlässigt. Was die Tendenz betrifft,
so wird man sich am besten darüber klar, wenn man „des Knaben Wunderhorn"
mit den ,,Stimmen der-Völker" vergleicht, durch welche Herder vor ungefähr
einem Menschenalter die Emancipation des Naturwüchsigen für das Reich der
Bildung angebahnt hatte. Die „Stimmen der Völker" sollten zeigen, wie in
der ursprünglichen Poesie auch derjenigen Völker, die von der Cultur am wenig¬
sten ergriffen find, dennoch der ewig gleiche Geist der Menschheit sich offenbart;
wie erst in der Gesammtheit der mannigfaltigen Farben, in welche das Licht der
Menschheit gebrochen wird, die Totalität des Lichts zur Anschauung kommt.
Darum hatte Herder zwar schonend, aber mit einem bestimmt festgehaltenen Zweck
die Weise jener Naturvölker dem modernen Bewußtsein angenähert, gerade wie
er ^ es bei seiner Bearbeitung des Cid gemacht hatte, in welcher mit großer
Sorgfalt, alle Züge, die das Gefühl verletzen konnten, weggewischt waren. Es
ist nicht zu läugnen, daß durch diese Humanisirung die Erkenntniß des Charak¬
teristischen nicht gefördert wird, wie das zum Theil auch in Herder's Ideen der
Fall ist. Arnim verfolgte den entgegengesetzten Weg. Er suchte mit besonderer
Vorliebe diejenigen Züge des Volksliedes hervor, welche der conventionellen Sen¬
timentalität, dem conventionellen Idealismus widersprachen, in Bezug auf den
Inhalt wie auf die Form. Jene Naturlaute, deren Anwendung sowol Schiller
als Schlegel bei Bürger, wenn auch aus verschiedenen Gründen, mit gleicher
Energie getadelt hatten, kommen in dieser Sammlung im Uebermaß vor, und das
sittliche Gefühl, das sich in ihnen ausspricht, ist von eiuer so harten Naivetät, daß
wir zuweilen darüber erschrecken. Trotzdem war das Princip der Herausgeber
durchaus zu billigen, denn wenn wir uns von der Geschichte ein wirkliches Bild
machen wollen, so müssen wir sie anschauen,' wie sie ist, nicht wie wir sie gern
haben möchten. Eine andere Sache ist es freilich mit dem Werth, den man
jenen Productionen des Volksinstinkts beilegte, und der so weit ging, daß man sie
gern als ein Beispiel zur Nachahmung aufgestellt hätte, wie, denn auch Brentano
in seinen Liedern, soweit sie überhaupt poetisch sind, immer im Geist dieser alten
Volksgesänge empfindet und anschaut. Das Beispiel mußte, uM so reizender sein,
da uus die Zeit, in der die Lieder gedichtet waren, unendlich näher lag, als die
Zeit der Minnesänger und der Rittergedichte, welche Tieck und seine Schule uns
vorführten. Es ist damit gerade so, wie mit den Fastnachtspielen von Hans Sachs,
die schon auf Goethe einen so lebhaften Einfluß ausgeübt hatten, mit den Mär¬
chen, die uns Grimm überlieferte, und mit den altdeutschen Gemälden, namentlich
ans der rheinisch byzantinischen Schule, die damals von Boisserse gesammelt wurden.
Die Neigung der Künstler für die charakteristischen, aber ungebildeten Urformen
der alten nationalen Anschauungsweise, läßt sich mit jener Zeit der grie-
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