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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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Wo man gern und viel ißt, da hat man nicht Zeit, recht witzig zu sein; bei
einem nur nothdürftig gesättigten Magen gedeiht der Witz am besten.

Was das gesellige. Leben anbelangt, so ist dasselbe ebenfalls in Berlin viel
mannichfaltiger und geistig anregender wie in Hamburg, obgleich man in letzterer
Stadt wieder viel gastfreundlicher und wohlwollender für den Fremden ist. Wer
mir etwas empfohlen ist, der wird in Hamburg leicht in Familien eingeführt,
und diese Einführungen tragen ihm dann zahlreiche Einladungen zu Diners
ein. So gut, ja selbst glänzend diese Diners aber sind, und so sehr der Gour¬
mand seine Rechnung dabei findet, so hat doch diese Art von Geselligkeit etwas
Schwerfälliges, ja selbst Langweiliges. Um ö oder 6 Uhr setzt man sich zu Tisch
und bleibt dann circa 2--2'/s Stunden an demselben sitzen, trinkt denn eine
Tasse Kaffee und geht um 9 oder 10 Uhr mit etwas vollem Magen wieder nach
Hanse. Andere kleine Gesellschaften findet man selten, und besonders die Sitte,
offene Hänser an gewissen Abenden zu halten, ist nnr bei einigen Fremden oder
den Diplomaten verbreitet. In Berlin sind solche Diners seltner, schon aus
dem Grunde, weil die Leute nicht das Geld dazu haben, sie häufig zu geben,
dagegen sind offene Abendcirkel, in denen jeder einmal Eingeführte an bestimmten
Abenden der Woche, anch ohne besondere Einladung willkommen ist, ungleich
verbreiteter wie in Hamburg. Da die- materiellen Genüsse mit Recht in solchen
Abendgesellschaften nur den zweiten Rang einnehmen, so ist man mehr auf geistige
Unterhaltung in ihnen angewiesen, und die angeborne Gabe der Berliner Damen
wie Herren, viel und rasch und mitunter auch ganz gut zu reden, kommt ihnen
dabei zu statten. Es herrscht in diesen Kreisen oft eine solche geistige Lebendig¬
keit, eine Plänkelei des Geistes und Witzes, wie man sie in Hamburg selten
finden dürfte. Freilich läuft anch so viel Gehaltloses und besonders anch Affectirtes
dazwischen, und gar viele .sehr leichte Waare wird mit großer Prätension als
etwas Werthvolles dargestellt. Besonders unter dem schönen Geschlecht der Re¬
sidenz ist das nicht selten. Gar viele Berlinerinnen wären in der That ganz
geistreich, wenn sie es nur selbst weniger sein wollten. Dieses Haschen nach "osprit",
diese Sucht, ja recht gebildet zu scheinen, artet bisweilen in arge Lächerlichkeiten
aus. In Hamburg ist die höhere Damenwelt hierin ungleich natürlicher, und
daher anch oft liebenswürdiger. Vielleicht in keiner zweiten Stadt Deutschlands
findet man in der bessern Gesellschaft so viel wahrhaft gebildete, gründlich unter¬
richtete Frauen, aber sie siud etwas zurückhaltend, und es bedarf längerer Bekannt¬
schaft, sie zu würdigen.

Worin Hamburg weit über Berlin steht, ist der öffentliche Geist seiner
Bewohner und besouders ihre Wohlthätigkeit. Wo nnr irgendwo ein größeres
Unglück im lieben deutschen Vaterland die öffentliche Mildthätigkeit auffordert,
steht Hamburg an der Spitze mit seiner Theilnahme und spendet mit vollen Hän¬
den, während Berlin im Verhältniß seiner Größe stets einen sehr niedrigen Platz


Wo man gern und viel ißt, da hat man nicht Zeit, recht witzig zu sein; bei
einem nur nothdürftig gesättigten Magen gedeiht der Witz am besten.

Was das gesellige. Leben anbelangt, so ist dasselbe ebenfalls in Berlin viel
mannichfaltiger und geistig anregender wie in Hamburg, obgleich man in letzterer
Stadt wieder viel gastfreundlicher und wohlwollender für den Fremden ist. Wer
mir etwas empfohlen ist, der wird in Hamburg leicht in Familien eingeführt,
und diese Einführungen tragen ihm dann zahlreiche Einladungen zu Diners
ein. So gut, ja selbst glänzend diese Diners aber sind, und so sehr der Gour¬
mand seine Rechnung dabei findet, so hat doch diese Art von Geselligkeit etwas
Schwerfälliges, ja selbst Langweiliges. Um ö oder 6 Uhr setzt man sich zu Tisch
und bleibt dann circa 2—2'/s Stunden an demselben sitzen, trinkt denn eine
Tasse Kaffee und geht um 9 oder 10 Uhr mit etwas vollem Magen wieder nach
Hanse. Andere kleine Gesellschaften findet man selten, und besonders die Sitte,
offene Hänser an gewissen Abenden zu halten, ist nnr bei einigen Fremden oder
den Diplomaten verbreitet. In Berlin sind solche Diners seltner, schon aus
dem Grunde, weil die Leute nicht das Geld dazu haben, sie häufig zu geben,
dagegen sind offene Abendcirkel, in denen jeder einmal Eingeführte an bestimmten
Abenden der Woche, anch ohne besondere Einladung willkommen ist, ungleich
verbreiteter wie in Hamburg. Da die- materiellen Genüsse mit Recht in solchen
Abendgesellschaften nur den zweiten Rang einnehmen, so ist man mehr auf geistige
Unterhaltung in ihnen angewiesen, und die angeborne Gabe der Berliner Damen
wie Herren, viel und rasch und mitunter auch ganz gut zu reden, kommt ihnen
dabei zu statten. Es herrscht in diesen Kreisen oft eine solche geistige Lebendig¬
keit, eine Plänkelei des Geistes und Witzes, wie man sie in Hamburg selten
finden dürfte. Freilich läuft anch so viel Gehaltloses und besonders anch Affectirtes
dazwischen, und gar viele .sehr leichte Waare wird mit großer Prätension als
etwas Werthvolles dargestellt. Besonders unter dem schönen Geschlecht der Re¬
sidenz ist das nicht selten. Gar viele Berlinerinnen wären in der That ganz
geistreich, wenn sie es nur selbst weniger sein wollten. Dieses Haschen nach „osprit",
diese Sucht, ja recht gebildet zu scheinen, artet bisweilen in arge Lächerlichkeiten
aus. In Hamburg ist die höhere Damenwelt hierin ungleich natürlicher, und
daher anch oft liebenswürdiger. Vielleicht in keiner zweiten Stadt Deutschlands
findet man in der bessern Gesellschaft so viel wahrhaft gebildete, gründlich unter¬
richtete Frauen, aber sie siud etwas zurückhaltend, und es bedarf längerer Bekannt¬
schaft, sie zu würdigen.

Worin Hamburg weit über Berlin steht, ist der öffentliche Geist seiner
Bewohner und besouders ihre Wohlthätigkeit. Wo nnr irgendwo ein größeres
Unglück im lieben deutschen Vaterland die öffentliche Mildthätigkeit auffordert,
steht Hamburg an der Spitze mit seiner Theilnahme und spendet mit vollen Hän¬
den, während Berlin im Verhältniß seiner Größe stets einen sehr niedrigen Platz


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[0272] Wo man gern und viel ißt, da hat man nicht Zeit, recht witzig zu sein; bei einem nur nothdürftig gesättigten Magen gedeiht der Witz am besten. Was das gesellige. Leben anbelangt, so ist dasselbe ebenfalls in Berlin viel mannichfaltiger und geistig anregender wie in Hamburg, obgleich man in letzterer Stadt wieder viel gastfreundlicher und wohlwollender für den Fremden ist. Wer mir etwas empfohlen ist, der wird in Hamburg leicht in Familien eingeführt, und diese Einführungen tragen ihm dann zahlreiche Einladungen zu Diners ein. So gut, ja selbst glänzend diese Diners aber sind, und so sehr der Gour¬ mand seine Rechnung dabei findet, so hat doch diese Art von Geselligkeit etwas Schwerfälliges, ja selbst Langweiliges. Um ö oder 6 Uhr setzt man sich zu Tisch und bleibt dann circa 2—2'/s Stunden an demselben sitzen, trinkt denn eine Tasse Kaffee und geht um 9 oder 10 Uhr mit etwas vollem Magen wieder nach Hanse. Andere kleine Gesellschaften findet man selten, und besonders die Sitte, offene Hänser an gewissen Abenden zu halten, ist nnr bei einigen Fremden oder den Diplomaten verbreitet. In Berlin sind solche Diners seltner, schon aus dem Grunde, weil die Leute nicht das Geld dazu haben, sie häufig zu geben, dagegen sind offene Abendcirkel, in denen jeder einmal Eingeführte an bestimmten Abenden der Woche, anch ohne besondere Einladung willkommen ist, ungleich verbreiteter wie in Hamburg. Da die- materiellen Genüsse mit Recht in solchen Abendgesellschaften nur den zweiten Rang einnehmen, so ist man mehr auf geistige Unterhaltung in ihnen angewiesen, und die angeborne Gabe der Berliner Damen wie Herren, viel und rasch und mitunter auch ganz gut zu reden, kommt ihnen dabei zu statten. Es herrscht in diesen Kreisen oft eine solche geistige Lebendig¬ keit, eine Plänkelei des Geistes und Witzes, wie man sie in Hamburg selten finden dürfte. Freilich läuft anch so viel Gehaltloses und besonders anch Affectirtes dazwischen, und gar viele .sehr leichte Waare wird mit großer Prätension als etwas Werthvolles dargestellt. Besonders unter dem schönen Geschlecht der Re¬ sidenz ist das nicht selten. Gar viele Berlinerinnen wären in der That ganz geistreich, wenn sie es nur selbst weniger sein wollten. Dieses Haschen nach „osprit", diese Sucht, ja recht gebildet zu scheinen, artet bisweilen in arge Lächerlichkeiten aus. In Hamburg ist die höhere Damenwelt hierin ungleich natürlicher, und daher anch oft liebenswürdiger. Vielleicht in keiner zweiten Stadt Deutschlands findet man in der bessern Gesellschaft so viel wahrhaft gebildete, gründlich unter¬ richtete Frauen, aber sie siud etwas zurückhaltend, und es bedarf längerer Bekannt¬ schaft, sie zu würdigen. Worin Hamburg weit über Berlin steht, ist der öffentliche Geist seiner Bewohner und besouders ihre Wohlthätigkeit. Wo nnr irgendwo ein größeres Unglück im lieben deutschen Vaterland die öffentliche Mildthätigkeit auffordert, steht Hamburg an der Spitze mit seiner Theilnahme und spendet mit vollen Hän¬ den, während Berlin im Verhältniß seiner Größe stets einen sehr niedrigen Platz

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/272>, abgerufen am 22.12.2024.