Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.vollkommen dabei einzuschlafen. Solchen Besuchern ist natürlich jede geistige An¬ 33*
vollkommen dabei einzuschlafen. Solchen Besuchern ist natürlich jede geistige An¬ 33*
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0271" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/94712"/> <p xml:id="ID_850" prev="#ID_849" next="#ID_851"> vollkommen dabei einzuschlafen. Solchen Besuchern ist natürlich jede geistige An¬<lb/> spannung im Theater unerwünscht, und sie vermeiden es sorgfältig, Stücke zu<lb/> besuchen, in denen solche etwa erforderlich sein könnte. Opern mit leichter, tän-<lb/> delt^der, süß einwiegender Musik oder glänzenden Auszügen und Decorationen,<lb/> sind ihnen daher am liebsten,- während bei Aufführung ernster dramatischer<lb/> Werke in den weiten Räumen fast immer eine erschreckende Leere zu sein pflegt.<lb/> Auch bei letzteren verlangt man starkes Auftragen der Farben. Feinheiten gehen<lb/> spurlos vorüber. In Hamburg wird durchgängig auf möglichst großen Effect gespielt.<lb/> Dagegen ist nicht zu läugnen, daß das Hamburger Publicum eine gewisse Gut¬<lb/> müthigreit für die einzelnen Darsteller hat, wie man sie in großen Städten sonst<lb/> selten findet. Wer einmal in seiner Gunst fest steht, den läßt es so leicht nicht<lb/> wieder fallen. Auch giebt man sich den theatralischen Eindrücken mit einer ge¬<lb/> wissen frischen Empfänglichkeit hin. Besonders im „Thalia-Theater" hat man<lb/> Gelegenheit, sich hiervon zu überzeugen, die albernsten Possen erregen ein solch<lb/> herzliches Gelächter, daß mau zuletzt selbst angesteckt wird. Ganz anders in<lb/> Berlin. Wird ein höheres dramatisches Stück auf der königlichen Bühne<lb/> gegeben, daun ist das Haus stets sehr gut besetzt, und enthält ein so<lb/> fein fühlendes, dabei aber auch so scharf kritisirendcs Publicum, wie mau<lb/> es in der Art in ganz Deutschland nicht mehr findet. Der höher gebildete Be-<lb/> "Mtenstand, die Universität, die vielen Schulen und gelehrten Anstalten aller Art,<lb/> die Berlin besitzt, liefern dann die Besucher, während das Parterre größtentheils<lb/> mit, den geistig anstrebenden Studenten gefüllt ist. Von gutmüthiger Nachsicht<lb/> ist hier kaum die Rede, und besondere Lieblinge, denen das Publicum ihrer<lb/> sonstigen Trefflichkeit wegen dann auch wieder andere etwaige Fehler verzeiht,<lb/> kennt man hier nicht. Daß übrigens die Mehrheit des Publicums sich solches<lb/> Genußes mit Hingebung erfreut, darf man nicht behaupten. Ein echter Berliner<lb/> kann sich niemals aufrichtig freuen. Es ist charakteristisch, daß man in Berlin<lb/> das Wörtlein,, nein", in Hamburg aber „ja" so häufig hört. Solch herzliches un¬<lb/> befangenes Lachen wie in Hamburg wird man in Berlin selbst in der Posse nie¬<lb/> mals hören; dagegen faßt man hier die einzelnen scharfen Pointe der Witze besser<lb/> auf, ja sucht sie oft mit natürlichem Geschick noch zu verbessern. Der Berliner der<lb/> unteren Stände ist sehr häufig witzig, ja selbst geistreich-witzig. Dieser Berliner<lb/> Witz hat aber fast niemals etwas Gutmüthiges, sondern größtentheils etwas Ver¬<lb/> letzendes. In Hamburg ist man dagegen mehr gutmüthig-humoristisch. Der be¬<lb/> kannte „Kladderadatsch" ist in dieser Hinsicht ein echtes Kind des Berliner Geistes,<lb/> während man in Hamburg, trotz aller Versuche, noch niemals ein derartiges<lb/> Blatt begründen konnte. Erscheint wirklich bisweilen dort ein solches.Blatt, so<lb/> wird es gewiß nnr von einigen fremden Literaten geschrieben, schleppt kümmerlich<lb/> sein Dasein fort und geht in die eigentliche Bevölkerung nicht im Mindesten über.</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 33*</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0271]
vollkommen dabei einzuschlafen. Solchen Besuchern ist natürlich jede geistige An¬
spannung im Theater unerwünscht, und sie vermeiden es sorgfältig, Stücke zu
besuchen, in denen solche etwa erforderlich sein könnte. Opern mit leichter, tän-
delt^der, süß einwiegender Musik oder glänzenden Auszügen und Decorationen,
sind ihnen daher am liebsten,- während bei Aufführung ernster dramatischer
Werke in den weiten Räumen fast immer eine erschreckende Leere zu sein pflegt.
Auch bei letzteren verlangt man starkes Auftragen der Farben. Feinheiten gehen
spurlos vorüber. In Hamburg wird durchgängig auf möglichst großen Effect gespielt.
Dagegen ist nicht zu läugnen, daß das Hamburger Publicum eine gewisse Gut¬
müthigreit für die einzelnen Darsteller hat, wie man sie in großen Städten sonst
selten findet. Wer einmal in seiner Gunst fest steht, den läßt es so leicht nicht
wieder fallen. Auch giebt man sich den theatralischen Eindrücken mit einer ge¬
wissen frischen Empfänglichkeit hin. Besonders im „Thalia-Theater" hat man
Gelegenheit, sich hiervon zu überzeugen, die albernsten Possen erregen ein solch
herzliches Gelächter, daß mau zuletzt selbst angesteckt wird. Ganz anders in
Berlin. Wird ein höheres dramatisches Stück auf der königlichen Bühne
gegeben, daun ist das Haus stets sehr gut besetzt, und enthält ein so
fein fühlendes, dabei aber auch so scharf kritisirendcs Publicum, wie mau
es in der Art in ganz Deutschland nicht mehr findet. Der höher gebildete Be-
"Mtenstand, die Universität, die vielen Schulen und gelehrten Anstalten aller Art,
die Berlin besitzt, liefern dann die Besucher, während das Parterre größtentheils
mit, den geistig anstrebenden Studenten gefüllt ist. Von gutmüthiger Nachsicht
ist hier kaum die Rede, und besondere Lieblinge, denen das Publicum ihrer
sonstigen Trefflichkeit wegen dann auch wieder andere etwaige Fehler verzeiht,
kennt man hier nicht. Daß übrigens die Mehrheit des Publicums sich solches
Genußes mit Hingebung erfreut, darf man nicht behaupten. Ein echter Berliner
kann sich niemals aufrichtig freuen. Es ist charakteristisch, daß man in Berlin
das Wörtlein,, nein", in Hamburg aber „ja" so häufig hört. Solch herzliches un¬
befangenes Lachen wie in Hamburg wird man in Berlin selbst in der Posse nie¬
mals hören; dagegen faßt man hier die einzelnen scharfen Pointe der Witze besser
auf, ja sucht sie oft mit natürlichem Geschick noch zu verbessern. Der Berliner der
unteren Stände ist sehr häufig witzig, ja selbst geistreich-witzig. Dieser Berliner
Witz hat aber fast niemals etwas Gutmüthiges, sondern größtentheils etwas Ver¬
letzendes. In Hamburg ist man dagegen mehr gutmüthig-humoristisch. Der be¬
kannte „Kladderadatsch" ist in dieser Hinsicht ein echtes Kind des Berliner Geistes,
während man in Hamburg, trotz aller Versuche, noch niemals ein derartiges
Blatt begründen konnte. Erscheint wirklich bisweilen dort ein solches.Blatt, so
wird es gewiß nnr von einigen fremden Literaten geschrieben, schleppt kümmerlich
sein Dasein fort und geht in die eigentliche Bevölkerung nicht im Mindesten über.
33*
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |