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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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man nur Jean Paul und Armin vergleichen. Auch Jean Paul geht, wie alle
Humoristen, darauf aus, durch das anscheinend Komische zu rühren, durch das .anschei¬
nend Rührende zu belustigen, das anscheinend Bedeutende in seiner Kleinlichkeit zu
analysiren, sür das anscheinend Unbedeutende Interesse zu erregen u. s. w. Aber wohl
gemerkt, er weiß immer sehr wohl, und er stellt es auch seinen Lesern immer sehr deutlich
heraus, daß hier nur von einer anscheinenden Vermischung der Gegensätzedie Rede
ist. Die Mittel, die er zur Rührung anwendet, sind nur scheinbar, nur einer trivialen
Auffassung gegenüber komisch, in der That aber verdienen sie wirklich die Theil¬
nahme, die sie erregen sollen,'und'wenn sich der Dichter zuweilen irrt, so liegt
das wenigstens nicht in seiner Intention. Für ihn besteht ein sehr bestimmter
Unterschied zwischen gut und böse, schön und häßlich, wahr und unwahr. Auch
wo er zu spielen und zu tändeln seint, ist es ihm um die Sache selbst Ernst,
und jeder Leser muß es herausfühlen, daß es ihm Ernst ist. Ganz anders bei
der Richtung, als deren Vertreter wir Arnim charakterisieren. Wenn anch in seinem
Geist ein sehr bestimmter Unterschied bestehen mag, so zeigt er ihn doch nicht;
er überläßt es vielmehr jedem Einzelnen, für das Labyrinth seiner Gedanken und
Empfindungen den Leitfaden selber herauszufinden. Dargestellt ist nicht der ge¬
ringste Unterschied. Der bare Unsinn tritt als gleichberechtigt neben die Vernunft,
der Aberglaube neben die Aufklärung, der Schein neben das Wesen, die Lüge,
neben das wahre.Gefühl, und, wenn wir trotz dem sehr häufig einem starken
Gefühl, einer lebhaften und klaren Vorstellung und.einem tiefen Gedanken be¬
gegnen, so dient das nur dazu, uns noch mehr zu verwirren, denn es schließt
die Möglichkeit einer naiven, unbefangenen Tändelei aus. So ist z. B. die An¬
wendung der übersinnlichen, unterirdischen Welt, des Spuks in der Poesie, wie
in der Kunst überhaupt, doch nur nnter zwei Umständen zu erklären: entweder
will man Schauder erregen, oder durch die übermüthige Anwendung grotesker
Formen eine ausgelassene Lustigkeit. Bei Arnim weiß man aber nie, welches
von'diesen-beiden er bezweckt. Er erregt keinen Schauder, denn er hebt die
Gespensterfurcht beständig durch bnrleöke, offenbar einem komischen Zweck dienende
Einfälle auf; aber er ruft auch keine Lustigkeit hervor, denn er nimmt zugleich
die Sache ernst. Nun kann zwar zuweilen der komische Eindruck dadurch "och
verstärkt werden, daß man eine ehrbare Miene aufzieht, aber dann muß man
wenigstens nachträglich merken, daß diese Gravität nur eine scheinbare ist. Das
merkt man bei Arnim nicht, und darum wird man fortwährend befangen und
bleibt in einem unangenehmen Zweifel. Beispiele dazu würden sich auf'jeder Seite
finden; wir heben nnr einige heraus. Der Gegenstand seines Romans "Die
Kronenwächter" ist eine geheime Verbindung zu den Zeiten der Reformation,
um die Hohenstaufen wieder auf deu.Thron zu sejzen. Zu diesem Zweck geschieht
eigentlich nichts Andere's, als daß das Geschlecht der HoheustaUfen im Verborgenen
beständig fortgepflanzt wird. Da das Jahrhunderte lang getrieben wird, so muß


man nur Jean Paul und Armin vergleichen. Auch Jean Paul geht, wie alle
Humoristen, darauf aus, durch das anscheinend Komische zu rühren, durch das .anschei¬
nend Rührende zu belustigen, das anscheinend Bedeutende in seiner Kleinlichkeit zu
analysiren, sür das anscheinend Unbedeutende Interesse zu erregen u. s. w. Aber wohl
gemerkt, er weiß immer sehr wohl, und er stellt es auch seinen Lesern immer sehr deutlich
heraus, daß hier nur von einer anscheinenden Vermischung der Gegensätzedie Rede
ist. Die Mittel, die er zur Rührung anwendet, sind nur scheinbar, nur einer trivialen
Auffassung gegenüber komisch, in der That aber verdienen sie wirklich die Theil¬
nahme, die sie erregen sollen,'und'wenn sich der Dichter zuweilen irrt, so liegt
das wenigstens nicht in seiner Intention. Für ihn besteht ein sehr bestimmter
Unterschied zwischen gut und böse, schön und häßlich, wahr und unwahr. Auch
wo er zu spielen und zu tändeln seint, ist es ihm um die Sache selbst Ernst,
und jeder Leser muß es herausfühlen, daß es ihm Ernst ist. Ganz anders bei
der Richtung, als deren Vertreter wir Arnim charakterisieren. Wenn anch in seinem
Geist ein sehr bestimmter Unterschied bestehen mag, so zeigt er ihn doch nicht;
er überläßt es vielmehr jedem Einzelnen, für das Labyrinth seiner Gedanken und
Empfindungen den Leitfaden selber herauszufinden. Dargestellt ist nicht der ge¬
ringste Unterschied. Der bare Unsinn tritt als gleichberechtigt neben die Vernunft,
der Aberglaube neben die Aufklärung, der Schein neben das Wesen, die Lüge,
neben das wahre.Gefühl, und, wenn wir trotz dem sehr häufig einem starken
Gefühl, einer lebhaften und klaren Vorstellung und.einem tiefen Gedanken be¬
gegnen, so dient das nur dazu, uns noch mehr zu verwirren, denn es schließt
die Möglichkeit einer naiven, unbefangenen Tändelei aus. So ist z. B. die An¬
wendung der übersinnlichen, unterirdischen Welt, des Spuks in der Poesie, wie
in der Kunst überhaupt, doch nur nnter zwei Umständen zu erklären: entweder
will man Schauder erregen, oder durch die übermüthige Anwendung grotesker
Formen eine ausgelassene Lustigkeit. Bei Arnim weiß man aber nie, welches
von'diesen-beiden er bezweckt. Er erregt keinen Schauder, denn er hebt die
Gespensterfurcht beständig durch bnrleöke, offenbar einem komischen Zweck dienende
Einfälle auf; aber er ruft auch keine Lustigkeit hervor, denn er nimmt zugleich
die Sache ernst. Nun kann zwar zuweilen der komische Eindruck dadurch »och
verstärkt werden, daß man eine ehrbare Miene aufzieht, aber dann muß man
wenigstens nachträglich merken, daß diese Gravität nur eine scheinbare ist. Das
merkt man bei Arnim nicht, und darum wird man fortwährend befangen und
bleibt in einem unangenehmen Zweifel. Beispiele dazu würden sich auf'jeder Seite
finden; wir heben nnr einige heraus. Der Gegenstand seines Romans „Die
Kronenwächter" ist eine geheime Verbindung zu den Zeiten der Reformation,
um die Hohenstaufen wieder auf deu.Thron zu sejzen. Zu diesem Zweck geschieht
eigentlich nichts Andere's, als daß das Geschlecht der HoheustaUfen im Verborgenen
beständig fortgepflanzt wird. Da das Jahrhunderte lang getrieben wird, so muß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/260>, abgerufen am 22.12.2024.