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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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und dann weiter, nur tels sei schön, was den gewöhnlichen Begriffen von Schönheit
widerspräche. Von da bis zu dem Hexenspruch: Schön ist häßlich, häßlich schön,
ist nur noch ein Schritt, nud es ist in der That so weit gekommen, daß eine nicht
unbedeutende Schule im Häßlichen den ausschließlichen Gegenstand der Kunst
gesucht hat. Ganz eben so wie mit den ästhetischen Empfindungen machte man
es mit dem Gebiet der Sittlichkeit und der reinen Gedanken. Früher hatte man
für gut uur' das gelten lassen, was mit dem Katechismus des kategorischen Im¬
perativs übereinstimmte; jetzt wurde nur das Individuelle, das dem Gesetz Wider¬
sprechende, oder wenigstens aus dem Gesetz uicht Herzuleitende als berechtigt er¬
achtet. Früher hatte man nur klare und übersichtliche Gedanken in das Reich
der Begriffe aufgenommen; jetzt verachtete man jeden Gedanken, der nicht et¬
was Irrationelles, Unauflösliches enthielt, als flach und trival. Bis zu welcher
Verirrung dieser Satz der Identität getrieben werden kann, geht ins Unglaubliche:
das Lächerliche ist das Erhabene, das Sonderbare ist das Regelmäßige, das
Unbedeutende ist das Bedeutende, das Absurde ist das Vernünftige, das Wunder¬
bare ist das Gewöhnliche, das Unmögliche ist das Nothwendige n. s. w. In dieser
Darstellung liegt nicht die geringste Uebertreibung, wenn man die damalige Lite¬
ratur unbefangen betrachtet.

Es ist das ein Mißverständniß der geistigen Freiheit, wie man es auf dem
religiösen Gebiete eben so und vielleicht noch schärfer markirt antrifft. Alle Welt
ist jetzt darüber einig, den Pantheismus als.etwas Irreligiöses und Unsittliches
zu verwerfen, und zwar ganz mit Recht, wenn man blos seine neueste Phase in
Anschlag bringt, während er doch ursprünglich nur eine Erhöhung und Jdealisi-
rung des religiösen Gesühls ist. Gegen die Einseitigkeit der altchristlichen Kate-
chetik, welche unfähig war, die Welt irgendwie zu verstehn, wenn sie nicht jeden
Augenblick die Hölle zu Hilfe nahm, um die ewigen Rechnungsfehler Gottes zu
corrigiren, war es unstreitig ein sittlich religiöser Fortschritt, wenn man auch
das Böse mit in dem Weltplan aufnahm' und es als ein Uebergangsmoment
zur Verwirklichung der göttlichen Ideen betrachtete. Allein es liegt hier die
Verirrung zu nahe, zuerst uur in dieser Beziehung, dann aber überhaupt das
Böse als gleichberechtigt neben das Gute zu stellen und endlich den Unterschied
ganz und gar aufzuheben. Dieser Wahnsinn des Pantheismus ist im gegenwär¬
tigen Augenblick im Gebiet der schönen Literatur beinahe das herrschende Princip,
und daß die ästhetischen, sittlichen und religiösen Begriffe ihrem wesentlichen
Charakter nach zusammenfallen, ist nicht gerade einebene Erfahrung.

Die angemessene Kunstform, in welcher sich diese Idee, oder vielmehr die
Reaction gegen die bisherige Exclusivität des Schönen, Guten und Wahren aus¬
sprechen konnte, war der Humor. Damit soll aber keineswegs gesagt sein, daß
man, den Humor aus jener Gesinnung ableiten, oder daß Beides stets zusammen¬
fallen müsse. Um sich von der Verkehrtheit dieser Ansicht zu überzeugen, darf


und dann weiter, nur tels sei schön, was den gewöhnlichen Begriffen von Schönheit
widerspräche. Von da bis zu dem Hexenspruch: Schön ist häßlich, häßlich schön,
ist nur noch ein Schritt, nud es ist in der That so weit gekommen, daß eine nicht
unbedeutende Schule im Häßlichen den ausschließlichen Gegenstand der Kunst
gesucht hat. Ganz eben so wie mit den ästhetischen Empfindungen machte man
es mit dem Gebiet der Sittlichkeit und der reinen Gedanken. Früher hatte man
für gut uur' das gelten lassen, was mit dem Katechismus des kategorischen Im¬
perativs übereinstimmte; jetzt wurde nur das Individuelle, das dem Gesetz Wider¬
sprechende, oder wenigstens aus dem Gesetz uicht Herzuleitende als berechtigt er¬
achtet. Früher hatte man nur klare und übersichtliche Gedanken in das Reich
der Begriffe aufgenommen; jetzt verachtete man jeden Gedanken, der nicht et¬
was Irrationelles, Unauflösliches enthielt, als flach und trival. Bis zu welcher
Verirrung dieser Satz der Identität getrieben werden kann, geht ins Unglaubliche:
das Lächerliche ist das Erhabene, das Sonderbare ist das Regelmäßige, das
Unbedeutende ist das Bedeutende, das Absurde ist das Vernünftige, das Wunder¬
bare ist das Gewöhnliche, das Unmögliche ist das Nothwendige n. s. w. In dieser
Darstellung liegt nicht die geringste Uebertreibung, wenn man die damalige Lite¬
ratur unbefangen betrachtet.

Es ist das ein Mißverständniß der geistigen Freiheit, wie man es auf dem
religiösen Gebiete eben so und vielleicht noch schärfer markirt antrifft. Alle Welt
ist jetzt darüber einig, den Pantheismus als.etwas Irreligiöses und Unsittliches
zu verwerfen, und zwar ganz mit Recht, wenn man blos seine neueste Phase in
Anschlag bringt, während er doch ursprünglich nur eine Erhöhung und Jdealisi-
rung des religiösen Gesühls ist. Gegen die Einseitigkeit der altchristlichen Kate-
chetik, welche unfähig war, die Welt irgendwie zu verstehn, wenn sie nicht jeden
Augenblick die Hölle zu Hilfe nahm, um die ewigen Rechnungsfehler Gottes zu
corrigiren, war es unstreitig ein sittlich religiöser Fortschritt, wenn man auch
das Böse mit in dem Weltplan aufnahm' und es als ein Uebergangsmoment
zur Verwirklichung der göttlichen Ideen betrachtete. Allein es liegt hier die
Verirrung zu nahe, zuerst uur in dieser Beziehung, dann aber überhaupt das
Böse als gleichberechtigt neben das Gute zu stellen und endlich den Unterschied
ganz und gar aufzuheben. Dieser Wahnsinn des Pantheismus ist im gegenwär¬
tigen Augenblick im Gebiet der schönen Literatur beinahe das herrschende Princip,
und daß die ästhetischen, sittlichen und religiösen Begriffe ihrem wesentlichen
Charakter nach zusammenfallen, ist nicht gerade einebene Erfahrung.

Die angemessene Kunstform, in welcher sich diese Idee, oder vielmehr die
Reaction gegen die bisherige Exclusivität des Schönen, Guten und Wahren aus¬
sprechen konnte, war der Humor. Damit soll aber keineswegs gesagt sein, daß
man, den Humor aus jener Gesinnung ableiten, oder daß Beides stets zusammen¬
fallen müsse. Um sich von der Verkehrtheit dieser Ansicht zu überzeugen, darf


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/259>, abgerufen am 22.12.2024.